Blochers Held, der den USA die Stirn bot
Die Diskussion um den Steuerdeal mit den USA nimmt immer groteskere Züge an. Neuerdings werden Männer aus der Vergangenheit beschworen. Ein ungewöhnliches Beispiel nannte Christoph Blocher in der «Arena».

Die Schweizer Geschichte ist gespickt mit Mythen von Männern, die mit Mut und Selbstlosigkeit das Land vor grossem Schaden bewahrt haben. Nun hat Christoph Blocher eine weitere Lichtgestalt der Eidgenossenschaft entdeckt: Walter Stucki.
Stucki habe, führte der SVP-Gewaltige in der «Arena» aus, die Schweiz vor einem Angriff aus den USA nach dem Zweiten Weltkrieg gerettet. Schön und gut, werden sich die meisten TV-Zuschauer gesagt und mehr oder weniger ratlos in die Röhre geguckt haben. Aber wer zum Teufel ist Walter Stucki?
Das gnädige Abkommen von 1946
Walter Stucki war zunächst freisinniger Nationalrat und später der führende Handelsdiplomat des Landes. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er für das sogenannte Abkommen von Washington zuständig. Eine heikle Mission: Wie heute waren die Amerikaner damals stinksauer auf uns. Die Neutralität im Zweiten Weltkrieg war in ihren Augen Feigheit vor dem Feind, vor allem aber war das Waschen von Nazigold der Schweizerischen Nationalbank ein kriegerischer Akt gegen die Alliierten, denn dank diesem Geld konnte Hitler seine Kriegsmaschinerie länger finanzieren. Die USA verlangten deshalb von der Schweiz Schadenersatz und die Offenlegung der fremden Konten, vor allem der Deutschen. Das wiederum galt es aus Schweizer Sicht um jeden Preis zu verhindern.
Auch damals waren die Verhandlungen zwischen den Amerikanern und den Schweizern lange und zäh. Trotzdem fiel das Abkommen, das am 25. Mai 1946 geschlossen wurde, aus Schweizer Sicht relativ gnädig aus. Als Busse für den regen Goldhandel mit Nazi-Deutschland musste sie zwar 250 Millionen Franken für den Aufbau von Europa bezahlen. Das war damals zwar noch viel Geld, aber verkraftbar. Sehr viel schwerer wog die Auflage, wonach die Banken alle in der Schweiz liegenden Guthaben von in Deutschland wohnhaften Deutschen zu inventarisieren und zu liquidieren hatten. Das hätte das Ende des Schweizer Bankgeheimnisses bedeutet, aber genau das konnte Stucki erfolgreich verhindern. Wie?
Wie Stucki das Bankgeheimnis rettete
Stucki hatte Glück. Er konnte das Verfahren zunächst mit technischen Gründen verzögern. Die alte Reichsmark war wertlos geworden, die D-Mark noch nicht geboren. Zu welchem Kurs also hätten die deutschen Vermögen berechnet werden sollen? Wie wären die Tochtergesellschaften im Ausland zu bewerten gewesen? Die Schweiz blieb so lange bockig, bis im Sommer 1952 all diese Fragen unter Einbezug der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland geklärt werden konnten. Damit hatte Stucki sein Ziel erreicht und das Schweizer Bankgeheimnis gerettet.
In der Zwischenzeit hatte sich nämlich die geopolitische Situation grundlegend verändert: Der Kalte Krieg war ausgebrochen, und die USA stellten ihre strategischen Interessen auf den Kopf. Die Abrechnung mit den Nazis wurde zweitrangig. Priorität erhielt der Kampf gegen Stalin und den Warschauer Pakt. Das Gespenst des Kommunismus ging in Europa sehr heftig um. Revolutionen und sozialistische Machtübernahmen in Ländern wie Italien oder gar Frankreich wurden nicht nur befürchtet, sondern als realistische Optionen betrachtet.
Die neue Rolle der Schweiz
Damit erhielt die kleine, neutrale Schweiz im Herzen Europas eine neue Rolle, ebenso das Bankgeheimnis. Das ist auch auf konservativer Seite unbestritten. So schreibt etwa Markus Somm, Chefredaktor der «Basler Zeitung», in seiner Blocher-Biografie: «Dass die reichen, meist amerikafreundlichen Italiener und Franzosen ihr Geld in der Schweiz in Sicherheit bringen konnten, lag nun im Interesse der USA.»
Heute sind die Umstände völlig anders. Ausserhalb der Landesgrenzen sind Sinn und Zweck des Schweizer Bankgeheimnisses nicht mehr zu vermitteln. Das zeigen etwa die Reaktionen auf den geplanten Deal zwischen dem Bundesrat und dem amerikanischen Department of Justice in der internationalen Presse. Während bei uns von Landesverrat, Erpressung und gar neuem Kolonialismus die Rede ist, reagiert beispielsweise die «Financial Times» kühl. Für die wohl bedeutendste Wirtschaftszeitung der Welt war der Schritt des Bundesrates überfällig, und die Amerikaner haben einem «zappelnden und schreienden Kind» eine längst verdiente Lektion erteilt.
Verständnis für die Schweiz gibt es nirgends – ausser vielleicht in Kasachstan oder Zimbabwe. Dass ein neuer Held die Eidgenossenschaft aus dieser sehr misslichen Situation heraushauen wird, ist sehr unwahrscheinlich geworden. Mit anderen Worten: Selbst ein Walter Stucki hätte keine Chance.
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