Bloss nicht zu viel der Ehre
Die meisten Gedenktafeln in Zürich gehen auf die Initiative von privater Seite zurück. Die Stadt behält sich ein Vetorecht vor und führt eine Liste mit noch nicht geehrten Persönlichkeiten.
Rund 150 Gedenktafeln für 110 verschiedene Persönlichkeiten hängen an Hauswänden der Stadt Zürich. Wer eine Tafel bekommt oder bekommen sollte, ist nirgendwo geregelt. Die Denkmalpflege und das Stadtarchiv haben sich bewusst dagegen entschieden, generelle Kriterien für die Errichtung von Erinnerungstafeln festzulegen. Jeder Fall wird jeweils für sich selbst entschieden.
Die Initiative für die Errichtung einer Gedenktafel geht meist von Privaten – Vereinen oder Hauseigentümern – aus. Der Stadtrat dagegen ehrt Persönlichkeiten, indem er Strassen oder Plätze nach ihnen benennt. Bei den Gedenktafeln dagegen hält er sich zurück.
Geschäftliche Interessen
Den Privaten, die sich um eine Gedenktafel bemühen, geht es nicht immer ausschliesslich um das Andenken an eine Persönlichkeit. Auch geschäftliche Interessen können manchmal mitschwingen. So etwa im Fall des Hotels Adler im Niederdorf, in dessen Mauern der Tier- und Landschaftsmaler Rudolf Koller aufgewachsen war. Dessen populärstes Werk, «Die Gotthardpost», hängt als Kopie in der Lobby des Hotels, und gleich zwei Gedenktafeln an der Aussenfassade erinnern an den berühmten Sohn des Hauses.
Nicola Behrens, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stadtarchivs, findet es schön, dass der Prozess der Erinnerung in Zürich viel Raum für Eigeninitiative lässt und weniger institutionalisiert ist als in Ländern wie Frankreich oder Deutschland, wo der Personenkult mehr politischen Sprengstoff birgt als in der Schweiz. Demnächst möchte Behrens, auf dessen Anregung hin schon der Stauffacherplatz in Ernst-Nobs-Platz umbenannt wurde, selber die Errichtung einer Gedenktafel anregen, und zwar für Hermann Balsiger, einen Pionier der Zürcher Kulturpolitik und Denkmalpflege.
Mehr Erinnerung als Ehrung
Ein Nachteil des privatisierten Gedenkens ist die etwas verzerrte Proportion, mit der verschiedene Persönlichkeiten im öffentlichen Raum präsent sind. Rekordhalter ist Gottfried Keller – an ihn erinnern nebst zwei Denkmälern zusätzlich sechs Gedenktafeln. Und der deutsche Dichterfürst Goethe wird mit vier Tafeln geehrt, obwohl er nur einige Monate in Zürich verbrachte. Schriftsteller Conrad Ferdinand Meyer hingegen hat überhaupt keine Gedenktafel, weil sein Wohnhaus an der Stadelhoferstrasse nicht mehr steht.
Zu öffentlichen Kontroversen kommt es wegen solcher postumer Ungerechtigkeiten aber selten. Das hat auch damit zu tun, dass Gedenktafeln mehr der Erinnerung als der Ehrung dienen. So bleibt auch Platz für streitbare Figuren wie Lenin, dem an der Spiegelgasse gedacht wird. Eine gewisse Selektion behält sich die Stadt dennoch vor. «Wenn wir ein Gesuch erhalten für jemanden, den wir nicht kennen, dann lassen wir die Biografie vom Stadtarchiv abklären. Nicht dass das noch ein Nazi oder etwas Ähnliches war», sagt Urs Baur, der Leiter der Praktischen Denkmalpflege.
Bloss eine einzige Tafel wurde in den letzten Jahrzehnten wieder von der Wand genommen: diejenige in der Froschaugasse für Captain Henry Wirz – einem Auswanderer, der im amerikanischen Bürgerkrieg in der Föderationsarmee Karriere gemacht hatte und nach deren Niederlage als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde.
Zwar sind Historiker heute überwiegend der Ansicht, Captain Wirz sei das Opfer eines Justizmords gewesen, doch bei Gedenktafeln gilt: im Zweifel gegen den Angeklagten. Und schliesslich soll das Andenken an Persönlichkeiten nicht inflationär werden. «Es ist wie mit Verkehrsschildern: je weniger, desto wirksamer», sagt Nicola Behrens. Darum lanciert die Stadtverwaltung auch höchst selten eine Gedenktafel aus eigenem Antrieb, obwohl das Stadtarchiv eine Liste von Persönlichkeiten führt, an die bis heute nicht erinnert wird.
Kommt Solschenizyn auf die Liste?
Auf dieser Liste stehen unter anderem Alois Carigiet, Schöpfer des «Schellenursli», der in Zürich an neun verschiedenen Adressen gewohnt hat, und Paul Burkhard, der Komponist der «Niederdorfoper» und der «Zäller Wienacht». Wenn die Warteliste der Erinnerung nachgeführt wird, kommt wohl auch der kürzlich verstorbene Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn auf sie zu stehen, der zwei Jahre an der Stapferstrasse gewohnt hat.
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