Flugzeugbauer in TurbulenzenBoeing gerät erneut in einen Abwärtsstrudel
Ein Crash in China, ein Krieg in der Ukraine, Abhängigkeit von russischem Titan: Für den US-Industriekonzern läuft wieder einmal alles falsch.

Der März hätte ein grosser Monat für Boeing werden sollen. Der US-Flugzeughersteller wollte die erste modifizierte Maschine vom Typ 737 Max nach China liefern und hoffte, nach einem Unterbruch von drei Jahren das Vertrauen im wichtigsten Markt wiederherzustellen.
Doch der Crash einer Maschine der China Eastern Airlines vom Montag hat Boeing erneut zurückgeworfen. Kurz nachdem die Boeing 737-800 mit 132 Insassen aus grosser Höhe abgestürzt war, verloren die Boeing-Aktien 8 Prozent.
Nach dem Crash versuchte Konzernchef David Calhoun, die Beschäftigten zu beruhigen: «Wir tun alles, um unsere Kunden und die Unfallermittlungen zu unterstützen und das Vertrauen zu festigen.»
Chinesischer Flugzeugbauer rückt Boeing auf die Pelle
Die chinesischen Behörden allerdings haben es nicht eilig. Sie haben eine strikte Informationskontrolle zu den Ursachen des Absturzes verhängt, bei dem alle Passagiere und Besatzungsmitglieder umkamen. Die Ungewissheit lastet auf Boeing, dauert doch die Ermittlung der Unfallursache erfahrungsgemäss mehrere Monate.
Als weitere Bremse wirkt der erneute Ausbruch der Corona-Epidemie in China. Der Luftverkehr dürfte erneut zurückgehen, und neue Maschinen seien nicht dringend, sagt Robert Spingarn, Flugverkehrsanalyst von Melius Research. «Wir erwarten, dass sich die Inverkehrsetzung der 737-Max-Maschinen in China erneut verzögert.»
Je länger Boeing aber gebremst wird, desto näher rückt die Konkurrenz durch die staatliche Commercial Aircraft Corporation of China. Sie hat mit der C919 eine Alternative zur 737 von Boeing entwickelt und will sie noch dieses Jahr in Verkehr bringen – und zwar ausgerechnet bei China Eastern Airlines. Das wiegt umso mehr, als die Regierung die heimischen Fluggesellschaften dazu zwingen kann, die C919 zu beschaffen.
Erneut ein Milliardenverlust wegen interner Probleme
Vom Absturz von zwei 737-Max-Maschinen vor drei Jahren hat sich Boeing bisher nicht ganz erholt, und noch immer bemängelt die US-Zulassungsbehörde die letzten Anpassungen der Max-Maschinen.
Zwar sah es im vergangenen Jahr nach einer Erholung aus. Der Umsatz stieg auf den höchsten Stand seit 2018, bevor Boeing im Dezember wegen Produktionsproblemen der Dreamliner-Maschinen 3,5 Milliarden Dollar abschreiben und im vierten Quartal einen Verlust von 4,2 Milliarden Dollar ausweisen musste.
Immerhin begann sich der Himmel über China aufzuhellen. Nachdem es 2019 als erstes Land die Boeing-Maschinen gegroundet hatte, schritt die Zulassung der modifizierten Max-Maschinen voran. Das Flugverbot wog schwer. China ist mit einem Anteil von 17 Prozent der stärkste Absatzmarkt und für Boeing der wichtigste Kunde der Zukunft. Konzernchef David Calhoun sagt, dass Boeing entscheidend auf China angewiesen sei, um sich gegen Airbus behaupten zu können.
Konkurrenten profitieren vom Krieg – Boeing geht leer aus
Boeing ist ein oft falsch verstandenes Unternehmen. Obwohl 40 Prozent des Umsatzes mit Rüstungsmaterial erzielt werden, behandeln die Finanzmärkte Boeing als puren Hersteller von kommerziellen Flugzeugen. Das zeigt sich an der Kursentwicklung der Aktien, die wiederum das geringe Vertrauen der Anleger in einen erfolgreichen Neustart abbildet.
Doch auch im Rüstungsbereich läuft es für Boeing nicht rund. In der Ukraine ist das Unternehmen anders als Lockheed Martin und Raytheon kein Kriegsgewinnler. Die beiden Konkurrenten liefern die Stinger- und Javelin-Lenkwaffen, die erfolgreich gegen russische Panzer eingesetzt werden.
Putin-Freund liefert Titan – wie lange noch?
Auf Boeing lastet dagegen, dass das Unternehmen mehr als die anderen US-Rüstungskonzerne von der Lieferung von russischem Titan abhängig ist. Dieses wird als ein rost- und ermüdungsresistentes Material für die Leichtbauweise der zivilen Maschinen gebraucht. Boeing ist seit mehr als zwanzig Jahren in einem Gemeinschaftsunternehmen mit dem russischen Rüstungskonzern Rostec verbunden und deckt damit rund ein Drittel des Bedarfs.
Wie lange diese Beziehung noch hält, ist nach der Invasion in die Ukraine aber ungewisser denn je. Das Problem ist Rostec-Chef Sergey Chemezov, der nach Angaben des «Wall Street Journal» zusammen mit Wladimir Putin als Agent in Ostdeutschland aktiv war und sogar im gleichen Haus wohnte. Chemezov wurde bereits nach der Krim-Besetzung 2014 mit Sanktionen belegt, ohne dass die Titanlieferungen betroffen waren.
Jetzt aber haben die USA die Sanktionen weiter verschärft. Und damit seien frühere Liefergarantien nicht mehr gesichert, warnte Boeing-Chef Calhoun bereits im Januar. «Solange die geopolitische Lage unter Kontrolle ist, kein Problem. Wenn nicht, sind wir noch eine gewisse Zeit geschützt, aber nicht für ewig.»
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