Boris Johnsons letzter Spruch?
Der Aussenminister schockiert Grossbritannien mit einer unbedachten Aussage – er müsse zurücktreten, fordern seine Kritiker.

In London mehren sich die Stimmen, die den Rücktritt von Aussenminister Boris Johnson verlangen. Auch konservative Parlamentarier haben begonnen, dem Top-Diplomaten des Vereinigten Königreichs ihre Unterstützung zu entziehen. Oppositionschef Jeremy Corbyn, der Vorsitzende der Labour Party, forderte am Sonntag die unverzügliche Entlassung Johnsons. Der Aussenminister habe den Ruf Britanniens in der Welt «untergraben». Er bringe nun gar «unsere Bürger in Gefahr».
Am Montag wollen Johnsons Kritiker im Unterhaus einen Antrag einbringen, der den Minister grober «Irreführung des Parlaments» beschuldigt. Sollte Johnson sein Amt abgeben müssen, wäre dies der dritte Ministerrücktritt in kurzer Folge, nachdem Verteidigungsminister Sir Michael Fallon und Entwicklungshilfeministerin Priti Patel sich bereits zum Rücktritt gezwungen gesehen haben.
Sollte Johnson sein Amt abgeben müssen, wäre dies der dritte Ministerrücktritt in kurzer Folge.
Johnson, der nach May prominenteste Politiker im Regierungslager, hat sich seit seiner Ernennung zum Aussenminister vor 16 Monaten durch sorgloses Verhalten und leichtfertige Sprüche schon mehrfach scharfe Kritik zugezogen. Regelrechte Bestürzung löste er aber bei einer Sitzung des aussenpolitischen Ausschusses im Unterhaus Anfang November aus.
Bei der Sitzung ging es um das Schicksal einer voriges Jahr in Teheran zu fünf Jahren Haft verurteilten Frau britisch-iranischer Nationalität namens Nazanin Zaghari-Ratcliffe. Die iranische Justiz hatte die Wohlfahrtsaktivistin und Mutter eines zweijährigen Kindes der Spionage gegen den Iran bezichtigt. Die Beschuldigung ist von der Familie der Verurteilten ebenso wie von der Thompson Reuters Foundation, für die Zaghari-Ratcliffe arbeitete, von Anfang an entschieden bestritten worden.
Nazanin habe lediglich auf einem Heimaturlaub ihren Eltern ihre kleine Tochter Gabriella zeigen wollen, schwört die Familie. Der Fall der Verurteilten, die acht Monate in Isolationshaft verbrachte und von der befürchtet wird, dass sie sich aus Verzweiflung töten könnte, hatte in Grossbritannien einiges Aufsehen erregt – Johnson aber nicht zu besonderen Bemühungen veranlasst.
Es drohen nun zehn Jahre Haft
Stattdessen erklärte der Minister am 1. November vor dem Parlamentsausschuss, seines Wissens habe die Verurteilte bei ihrem Iranaufenthalt gewissen Leuten «Unterricht in Journalismus erteilt». Das bestärkte die iranischen Behörden in ihrer Überzeugung, Zaghari-Ratcliffe habe nicht nur für britische Medien «spioniert», sondern auch Propaganda verbreitet, während sie sich im Iran aufhielt. «Ein einziger Satz aus dem Mund des britischen Aussenministers» habe all die Dementis aus Grossbritannien «Lügen gestraft», hiess es dazu im staatlichen iranischen Fernsehen. Die Verurteilte war unmittelbar nach Johnsons «Geständnis» erneut vor Gericht geschleppt und verhört worden.
Britische Experten befürchten, dass ihre 5-Jahres-Strafe nun verdoppelt werden könnte. Johnson selbst hat sich bisher geweigert, seine Äusserung zurückzunehmen. Er meinte lediglich, er hätte sich vielleicht «klarer ausdrücken» sollen. Für sein Festhalten an einer irreführenden Aussage, die derart ernste Folgen haben könnte, soll er nun offenbar im Unterhaus Rede und Antwort stehen. «Es ist höchste Zeit für ihn, abzutreten», meinte gestern Labour-Chef Corbyn. Auch Tories wie die prominente Abgeordnete Anna Soubry sehen keine Zukunft mehr für Johnson im Kabinett.
Michael Gove nimmt ihn in Schutz
Soubry freilich ist konservative Pro-Europäerin: Und die Brexit-Hardliner bei den Tories haben May vor einer Entlassung des Ministers gewarnt. Ein Abgang des Brexit-Wortführers Johnson würde die sorgsam gewahrte Balance zwischen Pro- und Anti-EU-Tories in Mays Regierung gefährden – und May selbst einem Sturz näherbringen.
Der frühere Justiz- und heutige Umweltminister Michael Gove, ein anderer Top-Brexiteer, nahm «Boris» am Sonntag in Schutz: Niemand wisse, was Zaghari-Ratcliffe in Teheran wirklich gemacht habe. Diese Bemerkung trug auch Gove scharfe Kritik ein. Johnson nahm unterdessen erstmals Kontakt auf zu Richard Ratcliffe, dem Ehemann der Verurteilten, und vereinbarte eine Zusammenkunft mit ihm noch im November – nachdem sich der Aussenminister monatelang geweigert hatte, auch nur mit Ratcliffe zu telefonieren.
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