Boxen in Kunos Schatten
Starker Generationenwechsel im Berner Mundartrock – aber Züri West sind immer noch die Platzhirsche.
«U jetzt bini bald älter als alt / i bi 17 gsi.» Mike Egger und seine Band Jeans for Jesus reiben sich wie alle Rockbands an den Zumutungen des Erwachsenwerdens – nur tun sie dies mit einem Sound, wie man ihn im Schweizer Mundartrock noch nie gehört hat. Ihr Debütalbum machte sie 2014 schlagartig zur Nachwuchshoffnung, jetzt doppeln sie mit dem zweiten virtuos nach: «PRO» ist super verspielter, grandios inszenierter Hightech-Pop, der sich problemlos an der internationalen Avantgarde von Kanye West bis Frank Ocean messen kann. Und erst noch auf Berndeutsch.
Guter Mundartrock kommt immer aus Bern. Das ist in der Schweiz ein jahrhundertealtes Gesetz. Wie die Zauberformel oder das Bankgeheimnis – es stimmt also längst nicht mehr. Erstens ist der Berner Mundartrock kein Rock mehr, spätestens seit Trauffer mit seinem verstärkten Hudigäggeler das Zepter von Gölä übernommen hat. Und zweitens kommt er auch nicht mehr nur aus Bern. Manuel Stahlberger etwa dichtet in seinem St. Galler Dialekt die inspiriertesten Versli der letzten Jahre. Aber jetzt, diesen Frühling, scheint es, erobern sich die Berner ihre einst durch Polo Hofer errungene Hegemonie zurück.
Lo & Leduc – «Mis Huus dis Huus». Video: Youtube
Eine ganze Schwetti Berner Mundartalben erscheint in den nächsten Wochen. Und sie sind verdammt gut. Den Anfang machen Lo & Leduc. Ihr geschmeidiger Sound ist fern von dem gmögigen Rockgerumpel, mit dem Patent Ochsner & Co. in den Neunzigerjahren die Schweiz in den Sack steckten. Lo & Leducs karibisches Reggae-Flair umschmeichelt die Sinne, mit unwiderstehlichen Ohrwürmern bohrt sich das Duo in die Gehörgänge. «Jung verdammt» war 2014 ein Megahit, hielt das Debütalbum «Zucker fürs Volk» über ein Jahr in der Hitparade. Nun ist der Song sogar in die Wiederaufnahme des Musicals «Ewigi Liebi» aufgenommen worden. Auf Lo & Leduc können sich alle Eidgenossen einigen.
Scharnier zwischen den Generationen
Das neue Album «Ingwer und Ewig», das am nächsten Freitag erscheint, wird daran nichts ändern. Es wimmelt von Sprachbildern, die sofort hängen bleiben. «Mis Herz isch es Hotel» ist so eines. Oder die Zeile «I chume gäng a / wenn di angere göö». Schon sprachlich hat das einen unwiderstehlichen Rhythmus, und metaphorisch holt der Satz aus dem Damenvelo, das dem Song den Titel gibt, alles heraus: «Die Pneu si düre / u i bis oo», «si säge i söll doch mal i d Gäng cho». Charmant und witzig: Dem etwas langsameren Berner Groove, der eben auch in Bern viel schneller geworden ist, trauern Lo & Leduc mit einem reizenden, zum Mitwippen animierenden Ständchen nach.
Mit all ihren Songs zeigen Lo & Leduc, dass sie das Scharnier zwischen den Generationen sind: Ihr Salsa-Reggae ist nicht gerade der letzte Schrei, hat einen starken Draht in die Siebzigerjahre und ist weicher als alles, was derzeit die Hitparade dominiert. Ihr Produzent Dodo bezirzt eben auch die Generation 50 plus: Er schunkelt und flunkert, samplet und pitcht aber auch wie ein Hip-Hop-Mogul. Sein eigener «Hippie Bus» ist bereits zum Schweizer Evergreen geworden. Zeitloser Mainstream. Jeans for Jesus: Geniale
Jeans for Jesus – «Dr letscht Popsong (Gäubi Taxis im Sand)». Video: Youtube
Ganz anders Jeans for Jesus. «Die Lieblinge des Feuilletons», wie sie sich selber titulieren, grenzen sich ab von der glorreichen Vergangenheit des Berner Mundartrocks. Ihre raffinierten Beats und kunstvollen Synthie-Muster kokettieren mit einer genialen Machart, verweigern sich aber gleichzeitig jeder kommerziellen Verwertung. «Bi so glücklech gsi / wo d plötzlich mit Ching chunsch, als wär nüt debi», singen sie. Den Schock des Erwachsenwerdens fangen sie mit Ironie und Galanterie auf. Schon das Falsett des Sängers setzt einen gewissen Snobismus gezielt als Abwehrwaffe gegen jegliche Umarmung ein. Jeans for Jesus spielen mit Kraftwerk, Daft Punk und Stephan Eicher auf Augenhöhe (etwa in «Europe»), aber gleichzeitig distanzieren sie sich mit jedem Ton von einer Poptradition, die die grossen Gefühle bedient. Kühle Virtuosität.
Züri West – «Schatteboxe». Video: Youtube
Womit wir bei Züri West wären. Das neue Album «Love» erscheint in zehn Tagen. Erst zwei Songs sind zu hören, aber die sind eine Wucht. Der eine heisst «Schatteboxe», ist eine von Kuno Laueners himmeltraurig schönen Balladen. Am Anfang ist nur Klavier, dann setzt die Stimme ein: «D Sunne schiint dür d Store uf mis Pult / und malt es chliises Vieregg druf us Gold.» Da ist man schon mitten drin in einer Welt, die so konkret ist, wie sie eben nur die Lauener-Lyrik entstehen lassen kann. Und wenn Lauener singt: «Mir muesch nüt erkläre, we de geisch», bleibt man einmal mehr mit weinendem Herzen zurück.
Es geht so weiter: «Schachtar gäge Gent» ist zwar ein rockiger Titel – juhee, Züri West rockt wieder! –, aber der fadengerade Beat knüttelt nur eine Beziehung nieder, die eigentlich schon lange kaputt ist. Das Riff des neuen Gitarristen Manuel Häfliger befeuert die euphorisch-depressive Melancholie. Kuno Lauener, 55, ist wieder dort, wo er angefangen hat: beim Elend der Achtzigerjahre, als die Schweiz vom Salsa-Reggae eines Lo & Leduc noch jahrelang entfernt war.
Züri West – «Schachtar gäge Gent». Video: Youtube
Dabei hat er auf dem letzten Album «Göteborg» doch noch Frau und Tochter am Flughafen abgeholt. Das Leben des Rockers, der immer in der Ich-Form erzählt, schien in Ordnung und geregelt. Über mehrere Alben hinweg hat Lauener das Glück besungen, das ihn unverhofft befiel. Jetzt schmerzt die Liebe wieder. Nächste Woche, wenn Lauener den Medien Interview um Interview gibt, wird er einige kritische private Fragen beantworten müssen.
Die Antwort ist vielleicht auf Lo & Leducs Album zu hören: «I weiss chuum, wär i bii», auch wenn sie «Bärn i bii» singen.
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