Brexit: Der Anfang ist geschafft
Die EU und Grossbritannien haben die Verhandlungen über den Brexit begonnen. Der Auftakt sei «konstruktiv» gewesen, hiess es gestern Abend.

Immerhin gut sieben Stunden war man zusammengesessen. Und ganz ohne Anzeichen, dass es hinter den verschlossenen Türen bereits zum Eklat gekommen wäre. Dieses Treffen sei «wichtig und nützlich» gewesen, sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier gestern Abend. Brexit-Minister David Davis sprach von einer «produktiven» Diskussion und lobte gar den «konstruktiven» Geist am Sitz der EU-Kommission.
Ziemlich genau ein Jahr nach dem britischen Votum für den Austritt aus der EU ist immerhin der Anfang geschafft. Und die Atmosphäre scheint besser gewesen zu sein, als man hätte vermuten können. Auch wenn bei der Ankunft die Anspannung der Kontrahenten zu spüren war. Besucher David Davis lächelte angestrengt in die Kameras. Gastgeber Michel Barnier gab sich betont ernst.
Scheidung nach 44 Jahren
Immerhin ging es um eine Premiere, vielleicht war es sogar ein historischer Moment. Jedenfalls schickt sich erstmals ein Mitgliedsstaat an, die EU zu verlassen. Gestern war der Anfang vom Ende einer 44-jährigen Beziehung. Dutzende Medienschaffende aus Grossbritannien waren mitgereist zu diesem besonderen Rendezvous auf dem Kontinent.
Wer sich jedoch erste Indizien zu den Konturen des Brexit erhofft hatte, sah sich enttäuscht. Es war nicht viel mehr als ein Gespräch über die kommenden Gespräche: «Wir haben uns auf die Daten, die Organisation und die Prioritäten für die Verhandlungen geeinigt», sagte Michel Barnier. So will man jeden Monat eine Woche konzentriert verhandeln und die Zeit dazwischen nutzen, um an den Positionen zu arbeiten.
Michel Barnier betonte, worum es aus seiner Sicht zuerst gehen muss. Nämlich die Unsicherheit anzugehen, die durch die Brexit entstanden sei. Zuallererst für die 3,2 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger, die in Grossbritannien leben und arbeiten. Aber auch für die 1,5 Millionen Briten, die in den anderen EU-Staaten zu Hause sind. Die EU hat ihre Verhandlungsposition längst ins Netz gestellt. Transparenz kann manchmal auch ein Druckmittel sein. Die EU will den Europäischen Gerichtshof auch nach dem Austritt Grossbritanniens am 29. März 2019 darüber wachen lassen, dass sich am Status der EU-Bürger dort nichts ändert und deren Rechte für alle Zeiten garantiert sind.
David Davis kam gestern zum Auftakt noch ohne Verhandlungsmandat. Premierministerin Theresa May werde Montag nächster Woche aber die Position bekannt geben, versprach der Brexit-Minister. «Wir warten darauf mit grossem Interesse», verbarg Michel Barnier seine Ungeduld in diplomatischen Worten. Und erwähnte als weitere Priorität, dass die Briten trotz Austritt zu ihren langfristigen finanziellen Verpflichtungen stehen müssten. Die Rede ist von einer Abschlussrechnung in der Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro.
Doch über Geld wollte man gestern noch nicht streiten. Natürlich stellt sich die Frage, was die Runde sieben Stunden lang beredete. Interessant, dass offenbar die Nordirlandfrage auf der Prioritätenliste nach oben gerutscht ist und gestern viel Zeit beanspruchte. Jetzt, da Theresa May nach der Schlappe bei der Parlamentswahl die Unterstützung der nordirischen Unionisten sucht, sehen viele den Frieden in Nordirland in Gefahr.
David Davis hatte am Ende der ersten Runde den deutlich schwereren Stand. Immer wieder spielten britische Medienschaffende auf die politische Unsicherheit in London an. Ob er damit rechne, David Davis noch lange als Gesprächspartner zu haben, wurde Michel Barnier gefragt. Und wie viel Zusagen des Brexit-Ministers denn wert seien. Andere bemerkten, dass die britische Regierung ihre Ausgangsposition bereits geräumt hat, parallel zu den Austrittsverhandlungen von Anfang an auch über die künftige Beziehung reden zu wollen.
Dies will die EU erst, wenn die Scheidungsmodalitäten einigermassen geklärt sind. Welche Konzessionen denn die EU im Gegenzug gemacht habe, wurde Barnier gefragt. Grossbritannien verlasse die EU, nicht umgekehrt, entgegnete der EU-Chefunterhändler. Er habe schon immer gesagt, dass der Austritt für die Briten nicht schmerzlos sein werde. Man werde aber «mit und nicht gegen» Grossbritannien arbeiten, betonte der Franzose und versprach, von seiner Seite werde es keinerlei Feindseligkeiten geben. Es gehe nicht um eine Strafe oder eine Revanche, sondern darum, die Beziehung auseinanderzudividieren. Ein fairer Deal sei möglich und sicher besser als kein Deal.
«Die EU ist krank, sehr krank», Seite 29
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