Britisches Pfund auf Talfahrt
Neue Brexit-Unsicherheiten und die Möglichkeit baldiger Neuwahlen haben dem britischen Pfund zugesetzt. Gelassener reagierte dagegen die Londoner Börse auf den überraschenden Wahlausgang.

Das Pfund Sterling ist auf dem Weg zum grössten Tagesverlust in diesem Jahr. Bislang hat die britische Währung gegenüber dem Dollar rund 2 Prozent an Wert verloren, der derzeitige Kurs von um die 1.27 Dollar (entspricht rund 1.24 Franken) entspricht in etwa einem Zweimonatstief. Noch Mitte Mai kletterte der Pfund-Kurs über die Marke von 1.30 Dollar, als Umfragen eine komfortable Mehrheit für die Konservativen im Unterhaus verhiessen. Den bislang grössten Verlust an einem einzelnen Handelstag erlitt die britische Valuta am 24. Juni 2016, nachdem das Ergebnis des Brexit-Referendums bekannt war. Damals sackte der Wechselkurs um gut 8 Prozent auf 1.3679 Dollar ab.
An den Aktienmärkten hält sich die Aufregung über den unerwarteten Wahlausgang in Grenzen: Der Index FTSE 100 – in dem Konzerne mit grossen Auslandengagements überwiegen – startete mit einem Kursplus von gegen 1 Prozent in den Handel. Die gegenläufige Bewegung von Pfund- und Aktienkursen ist in Grossbritannien häufig zu beobachten, hat doch eine Schwäche der britischen Währung für die auf der Insel ansässigen Grosskonzerne den positiven Nebeneffekt, dass im Ausland erzielte Umsätze und Gewinne bei der Umrechnung in Pfund höher ausfallen. Der breiter gefasste und damit stärker inlandorientierte Aktienindex FTSE verzeichnete zu Handelsbeginn hingegen einen Rückgang von 0,6 Prozent.
Genug gespart?
Die Gelassenheit der britischen Börsianer erklären Beobachter zum einen mit den veränderten makroökonomischen Perspektiven für Grossbritannien. Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit der Konservativen im Parlament wird sich die bisherige Sparpolitik wohl kaum fortsetzen lassen. Wie die OECD im jüngsten Wirtschaftsausblick in dieser Woche festhielt, war Britannien noch die einzige grössere entwickelte Volkswirtschaft mit einer betont restriktiven Fiskalpolitik. Eine Aufweichung des Sparkurses dürfte sich mittelfristig positiv auf das Wachstum der britischen Wirtschaft und damit auf die Gewinnentwicklung der dortigen Unternehmen auswirken. Demgegenüber steht zu befürchten, dass der offene Wahlausgang und die damit verbundenen Unsicherheiten die Stimmung bei Konsumenten und Firmen belasten werden; sollten sie aus diesem Grund ihre Nachfrage einschränken, wäre eine weitere Wachstumsabschwächung unvermeidlich.
Aus britischer Unternehmens- und Börsensicht noch stärker ins Gewicht fällt die nach den Unterhauswahlen veränderte Ausgangslage für die Brexit-Verhandlungen. Der von Premierministerin Theresa May verfochtene harte Brexit – mit einem Austritt aus der Zollunion und dem europäischen Binnenmarkt – dürfte für die Konservativen schwieriger durchzusetzen sein, wenn sie im Parlament auf Koalitionspartner angewiesen sind. Darauf gründen die Hoffnungen, dass eine neue Londoner Regierung nun eher zu Zugeständnissen an die EU bereit sein könnte.
Brexit-Verhandlungsbeginn in der Schwebe
Unter Analysten kursiert aber auch eine skeptischere Lesart zu den anstehenden Scheidungsgesprächen zwischen London und Brüssel. Da es für die Briten nun schwieriger wird, geeint aufzutreten, könnte der ohnedies enorm komplizierte Verhandlungsprozess noch weiter erschwert werden. Schon ob die Gespräche wie geplant am 19. Juni beginnen können, erscheint fraglich angesichts der absehbar schwierigen Regierungsbildung in London. Die Aussichten auf ein beiderseits zufriedenstellendes Verhandlungsergebnis bis März 2019 sind damit gewiss nicht besser geworden.
Und über allem schwebt schliesslich das Damoklesschwert erneuter baldiger Neuwahlen, falls Theresa May mit ihrem Versuch scheitert, eine parlamentarische Mehrheit zusammenzuschustern. Vor diesem Hintergrund rechnen Beobachter mit weiteren scharfen Kursausschlägen beim Pfund. Diesem dürfte auf absehbare Zeit die Rolle eines politischen Blitzableiters zufallen – durchaus mit der Möglichkeit, dass sich die Spannungen auch an den Aktien- und Anleihenmärkten entladen.
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