Bürgerliche wollen Berset entmachten
Landbewohner sollen höhere Krankenkassenprämien zahlen, Städter tiefere. Das will Bundesrat Alain Berset. Nun bildet sich massiver Widerstand.

Die Bevölkerung in vielen, vor allem ländlichen Gemeinden bezahlt heute tiefere Krankenkassenprämien als die Städter. Dies liegt einerseits am Angebot, das in urbanen Gebieten besser ist – es gibt mehr Spitäler und Spezialisten. Andererseits verhält sich die Landbevölkerung kostenbewusster. Abhängig ist die Prämie nicht nur davon, in welchem Kanton man lebt. Entscheidend ist auch, zu welcher Prämienregion die Wohngemeinde zählt.
An diesem System rüttelt nun Gesundheitsminister Alain Berset. Der SP-Bundesrat will die Prämienregionen neu einteilen mit dem Ziel, die Städter zu entlasten. Mit der Reform wollen Bersets Fachleute im Bundesamt für Gesundheit (BAG) mehr Gerechtigkeit schaffen: Heute kämen etwa die Stadtzürcher oder Stadtberner mit ihren Prämien für einen Teil der Kosten der billigeren Regionen auf.
Die Folgen von Bersets Plan können ins Geld gehen. Das zeigt zum Beispiel ein Blick auf die Durchschnittsprämien im Kanton Zürich für dieses Jahr: In der teuersten Region zahlen Erwachsene mit Grundfranchise monatlich 488 Franken. In der mittleren Region sind es 439 Franken und in der günstigsten 408 Franken. Ein Regionswechsel kann also eine Mehrbelastung von mehreren Hundert Franken pro Jahr bewirken.
Landbevölkerung zahlt 300 Millionen Franken mehr
Gegen Bersets Vorhaben laufen die Krankenkassen Sturm. Der Branchenverband Santésuisse warnt in einem Communiqué von heute Morgen, die Neuerung würde rund 3 Millionen Personen in über 1200 eher ländlichen Gemeinden «pauschal negativ treffen». Dieser Teil der Bevölkerung müsste laut Santésuisse jährlich rund 300 Millionen Franken zusätzlich an Prämiengeldern bezahlen. Die Bewohner städtischer Agglomerationen dagegen kämen in den Genuss eines Prämiennachlasses – auf Kosten derjenigen Gemeinden, «die deutlich tiefere Gesundheitskosten verursachen».

Santésuisse fordert den sofortigen Abbruch des Projekts. Und nicht nur das: «Der insgesamt staatspolitische Gehalt dieser Vorlage verlangt, dass die Rahmenbedingungen vom Gesetzgeber zu definieren sind» – und nicht mit einer Verordnungsänderung von Bersets Departement. Die Krankenkassen wollen Berset in diesem Geschäft also entmachten – ein Vorschlag, der bei bürgerlichen Gesundheitspolitikern Anklang findet. «Eine Neueinteilung der Prämienregionen betrifft so viele Menschen, dass der Entscheid Gesetzescharakter haben und also vom Parlament abgesegnet werden muss», sagt Ständerat Pirmin Bischof (CVP).
«Der Entscheid muss näher zum Volk»
Auch Ständerat Hannes Germann (SVP) verlangt eine Kompetenzverschiebung. Mit einer Motion, die 26 bürgerliche Ständeräte unterzeichnet haben, will er Berset nicht nur dazu bringen, an den «bewährten» Prämienregionen festzuhalten. Er fordert auch, dass nicht Berset, sondern der Gesamtbundesrat für die Einteilung der Prämienregionen verantwortlich zeichne. Im Licht der aktuellen Debatte will Germann nun aber wie Bischof einen Schritt weitergehen: Wenn alles nichts nütze, müsse das Parlament das Krankenversicherungsaufsichtsgesetz derart abändern, dass es selber über die Einteilung der Prämienregionen entscheiden könne. «Der Entscheid muss näher zum Volk», sagt der SVP-Politiker. Der Spielraum von Bersets Departement sei zu gross.
Dieser Ansicht ist auch Nationalrat Bruno Pezzatti (FDP). Zwar handle es sich bei der Regioneneinteilung um eine klassische operative Aufgabe. «Angesichts solcher Fehlentscheidungen zwingt uns Bundesrat Berset aber dazu, die Entscheidungskompetenz zum Parlament zu verschieben.»
SP-Politikerin sieht Problem woanders
Ob Berset seinen Plan weiterverfolgen wird, ist angesichts des massiven Widerstands fraglich. Support erhält er derzeit nur aus den eigenen Reihen. SP-Nationalrätin Bea Heim warnt vor einem «regionalpolitischen Hickhack», sollte das Parlament künftig über die Prämienregionen befinden. Die Delegierung an den Gesamtbundesrat bezeichnet Heim hingegen als «denkbaren Vorschlag».
Unabhängig von der Kompetenzfrage: Heim taxiert Bersets Vorhaben als sinnvoll: «Es gibt Signale, die darauf hinweisen, dass sich die Patientenflüsse nach urbanen Zentren intensivieren», sagt Heim und verweist auf entsprechende Studien des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) aus den Jahren 2015 und 2016. «Immer mehr Leute, die auf dem Land leben, lassen sich in den Zentren behandeln», bilanziert die SP-Politikerin. Für Heim ist klar: Die Bürgerlichen nehmen mit ihrer Kritik an Berset das falsche Ziel ins Visier: «Das Grundproblem ist weniger das der Einteilung der Prämienregionen. Was die Leute vielmehr ärgert, ist der jährliche Prämienanstieg.»
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