Bund muss Tuberkulose-Strategie erarbeiten
Die Migration führt zu neuen Fällen der früher Schwindsucht genannten Krankheit in der Schweiz. Wie gefährlich ist dies?

Unterschätzt der Bundesrat die Gefahr einer Rückkehr der schweren Krankheit Tuberkulose in die Schweiz? Dieser Meinung ist SVP-Nationalrat Adrian Amstutz. Der Berner konfrontiert den Bundesrat deshalb mit Fragen zur Prävention, und zwar im Zusammenhang mit der Migration. In seiner Interpellation schreibt Amstutz, «dass durch die erhöhte Aufnahme von Asylsuchenden auch die Gefahr des Einschleppens von Infektionskrankheiten in die Schweiz» erhöht sei. In Erfahrung bringen will er deshalb, welche konkreten Anordnungen der Bundesrat bei Asylbewerbern treffe – Anordnungen, die der Schweizer epidemiologischen Gesetzgebung über Abklärung, Isolation und Therapie vor der Einreise in die Schweiz gerecht würden.
Amstutz sagt auf Anfrage, er sehe eine wachsende Gefahr, dass die fälschlicherweise besiegt geglaubte Infektionskrankheit wieder zum Problem werden könnte. «Etwa, wenn wie geplant und beschlossen jährlich 750 bis 1000 Flüchtlinge per Flugzeug direkt aus Flüchtlingscamps in die Schweiz geflogen werden.» Für ihn sei klar, «der Infektionsschutz der Menschen in der Schweiz muss an erster Stelle stehen, und zwar vor der grosszügigen Aufnahme von Asylanten».
Zunehmende Resistenzen
Ist die Sorge des SVP-Mannes objektiv begründet, oder geht es hier vorab um politische Stimmungsmache? Das Bundesamt für Gesundheit veröffentlicht regelmässig die Fallzahlen der meldepflichtigen Infektionskrankheit Tuberkulose, die früher Schwindsucht genannt wurde. Demnach melden Ärzte jährlich rund 550 Fälle an den Bund. Im Jahr 2014 erfuhr das Bundesamt so von 494 neuen Tuberkulose-Erkrankten im Land. 2016 waren es 587 und letztes Jahr 522. Offenbar ist man beim Bund gewarnt. Denn in einem Hinweis an die Ärzte schreibt das BAG: «Die Behandlung der Tuberkulose über die gesamte vorgesehene Dauer ist nicht nur weltweit, sondern auch in der Schweiz ein Problem.»
Sorge hat man im zuständigen Bundesamt vor allem aber wegen zunehmender Resistenzen gegen Anti-Tuberkulose-Medikamente. Behandlungsabbrüche von Asylbewerbern stellen gemäss BAG vor allem dann ein Problem dar, wenn diese mit einem negativen Asylentscheid konfrontiert sind. In einem Merkblatt an die Ärzteschaft schreibt das Bundesamt deshalb: «Zum Zeitpunkt einer Ausschaffung oder Rückführung stehen diese Patienten oft seit mehreren Wochen unter Tuberkulose-Behandlung und fühlen sich subjektiv schon besser. Behandlungsabbrüche sind dann vorprogrammiert, zumal die Information bezüglich Tuberkulose nicht zuverlässig ins Ausland weitergegeben werden kann.» Das Problem habe seit der Einführung des Dublin-Abkommens zugenommen, hält das BAG fest. Eine Vereinbarung zwischen Bundesamt für Gesundheit und Staatssekretariat für Migration sieht deshalb vor, dass Tuberkulose-Behandlungen in der Schweiz zu Ende geführt werden sollen, und zwar unabhängig vom Asylentscheid.
7 Fälle auf 100'000 Einwohner
Wie schätzt Immunologe Beda Stadler die Lage ein? «Ich finde es richtig, wenn man dieser Frage die notwendige Beachtung schenkt», sagt der emeritierte Professor der Universität Bern auf Anfrage. Er erinnert an die grossen Bemühungen vergangener Jahrzehnte im Kampf gegen die Tuberkulose – von grenzsanitarischen Posten, an denen Einreisende zuerst einmal isoliert und eingehend untersucht wurden, bis zu den Impfungen, die bis in die 1980er-Jahre hinein allen Einwohnern der Schweiz ein Mal am Arm bescherten. Die Tuberkulose sei in der Praxis schwierig zu diagnostizieren, sagt Stadler und fügt an: «Es wäre sehr schade, wenn diese Kinderkrankheit zurückkäme.»
Aufgrund der Anfrage von Nationalrat Amstutz müsse das Bundesamt für Gesundheit nun eine Strategie präsentieren, wie im heutigen Umfeld zunehmender Migration und häufiger Reisetätigkeit der Tuberkulose-Gefahr rechtzeitig und effektiv begegnet werden könne. Stadler beruhigt: Panik im Alltag und Angst vor Ansteckung seien verfehlt. «Ebenso unangebracht wäre es auch, hinter jedem, der anders aussieht, einen Seuchenherd zu vermuten.» Noch ist die vom Bundesamt für Gesundheit erfasste Melderate mit gut 7 Tuberkulose-Fällen auf 100'000 Einwohner jedenfalls überschaubar.
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