Kampf gegen StrassenlärmBund will gegen laute E-Autos vorgehen
Ab 1. Juli müssen alle Elektroautos künstlich Geräusche erzeugen, um Fussgänger und Velofahrer zu schützen. Die Wagen dürfen dabei so laut werden wie Benziner. Dagegen regt sich Widerstand.

Mit der Elektromobilität sind viele Hoffnungen verknüpft. Zumindest eine davon könnte sich bald schon zerschlagen: die Hoffnung auf weniger Strassenlärm. Ab 1. Juli müssen in der Schweiz wie in der EU alle Elektroautos über einen künstlichen Geräuscherzeuger verfügen, ein sogenanntes Acoustic Vehicle Alerting System (Avas). Der Grund: Elektroautos sind so leise, dass sie bei niedrigen Tempi zum potenziellen Risiko für Velofahrer und Fussgänger werden. Das System soll deshalb bis zu einer Geschwindigkeit von 20 Stundenkilometern ertönen und dann wieder leiser werden, weil bei höheren Tempi das Abrollgeräusch der Reifen lauter wird – so die ursprüngliche Absicht.
Es gibt indes keine Vorschrift, die verbietet, dass die Geräte auch bei mehr als Tempo 20 künstlich lärmen. Der maximal erlaubte Pegel liegt bei 75 Dezibel und damit genau so hoch wie bei Benzin- und Dieselwagen. Die Autoindustrie nutzt diesen Spielraum aus: Sie wirbt mit der perfekten Soundkulisse, die je nach Tempo und Fahrweise variiert, ergänzt um Extras: «Wenn der Kunde das optionale Soundpaket bestellt, kommt ein zweiter, grosser Lautsprecher im Heck dazu», schreibt ein deutscher Autohersteller auf seiner Website.
Nirgends vorgeschrieben ist auch, wie ein solches Fahrgeräusch klingen muss. In der Autobranche sieht man darin ein «grosses Potenzial für ein Sounddesign», das nicht nur auf das Auto aufmerksam macht, sondern auch auf die Marke. Futuristische Geräusche, die an ein Raumschiff erinnern: Nichts scheint unmöglich.
Die neue Regel ist umstritten – und wird nun auch den Bundesrat beschäftigen. «Sie macht den Lärmvorteil der E-Autos zunichte», sagt Marionna Schlatter (Grüne). Die Nationalrätin wird am Mittwoch eine Interpellation einreichen. Der Bundesrat muss darlegen, ob er bereit ist, diese «Fehlentwicklung» zu stoppen. Und, falls ja, welche gesetzlichen Möglichkeiten er dafür sieht, die künstliche Geräuschkulisse ab Tempo 20 zu untersagen.
«Die neue Regel macht den Lärmvorteil der E-Autos zunichte.»
Schlatter argumentiert mit dem Lärmschutz. Mehr als eine Million Menschen in der Schweiz werden in ihrem Wohlbefinden durch Lärm erheblich gestört. Das mindert im Minimum ihre Lebensqualität, kann aber auch schlimmere Folgen haben, etwa Schlafstörungen oder andere Gesundheitsschäden. Selbst in der SVP, die Regulierungen für gewöhnlich kritisch sieht, löst die neue Regel Skepsis aus. Bei niedrigen Geschwindigkeiten mache ein künstliches Geräusch durchaus Sinn, sagt Nationalrat Walter Wobmann. Er will allerdings noch vertieft prüfen, ob die Obergrenze idealerweise bei Tempo 20 oder etwas höher liegen soll.
Einsatz auf internationalem Parkett
Wie der Bundesrat die Causa beurteilt, wird sich weisen. Zumindest die federführende Stelle beim Bund, das Bundesamt für Strassen (Astra), hat eine klare Haltung: «Wir sehen den Nutzen respektive den Sicherheitsgewinn von Avas bis zu 20 Stundenkilometern», sagt Sprecher Thomas Rohrbach. Alles, was darüber hinausgeht, lehnt das Astra indes entschieden ab, wie Rohrbach klarmacht.
Das Astra hat sich eigenen Angaben gemäss in den zuständigen Fachgremien der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa gegen die neue Regel ausgesprochen, vergeblich. Aber: «Wir sind weiterhin aktiv, diesen Entscheid – die Zulassung von Aussenlautsprechern – rückgängig zu machen», sagt Rohrbach.
Im Parlament könnte sich durchaus eine breite Allianz gegen allzu lärmige E-Autos bilden. Nach dem Nationalrat in der Frühjahrssession hat letzte Woche auch der Ständerat die Absicht bekräftigt, gegen übermässigen Lärm im Strassenverkehr vorzugehen, zum Beispiel gegen getunte Autos.
Kommen die Lärmblitzer?
Der Bundesrat muss nun darlegen, welche Optionen er in Betracht zieht. Zur Debatte stehen etwa Lärmblitzer, Führerausweisentzug, die Beschlagnahme des Autos sowie ein generelles Fahrverbot für besonders laute Wagen auf gewissen Strecken. Der Entscheid war ganz im Sinne des Bundesrats, der beantragt hatte, die entsprechende Motion anzunehmen.
In der Debatte letzte Woche sprach Umweltministerin Simonetta Sommaruga einen Punkt an, der auf die Kontroverse um lärmige E-Autos leicht übertragbar ist. Demnach will sich der Bundesrat darauf konzentrieren, den Lärm möglichst an der Quelle einzudämmen – nicht zuletzt aus Kostengründen. «Wir geben Hunderte von Millionen Franken zur Lärmbekämpfung und zum Lärmschutz in unserem Land aus», sagte Sommaruga. «Hier geht es jetzt um den vermeidbaren übermässigen Lärm.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.