Bundesgerichtsurteil erfreut getrennt lebende Väter
Wer Kinder betreut, muss wieder zu 50 Prozent arbeiten, wenn das jüngste Kind obligatorisch eingeschult wird. Die Regel gilt aber nicht für alle.

Der Fall betrifft eine Scheidungsfamilie aus dem Kanton St. Gallen. Die Mutter ist 46, der Vater 49 Jahre alt, sie waren 18 Jahre lang verheiratet und haben vier Kinder. Zwei davon sind heute erwachsen, zwei sind Teenager.
Das Bundesgericht hat den Vater abgewiesen, der höhere Unterhaltsbeiträge von der Mutter wollte – die Kinder leben teilweise bei ihm – und der die Küchenmaschine der Marke Kenwood behalten wollte, die er seiner Ex-Frau einst geschenkt hatte.
Item – das Bundesgericht erhörte den Vater also nicht, aber es fällte mit dem am Freitag publizierten Entscheid ein Urteil, das getrennt lebende Väter allgemein erfreuen wird. Denn es hat anhand dieses Falls entschieden, dass die sogenannte 10/16-Regel nun nicht mehr gilt. Diese Regel, die ursprünglich für die altrechtliche Scheidungsrente entwickelt wurde, besagt, dass der betreuende Elternteil, also meistens die Mutter, erst wieder eine Teilzeitarbeit aufnehmen muss, wenn das jüngste Kind 10 Jahre alt ist. Ein Vollzeitpensum war zumutbar, wenn das jüngste Kind 16 Jahre alt ist.
Gesellschaftliche Realität
Diese Regel sei mit Blick auf das seit Anfang 2017 geltende Unterhaltsrecht nicht mehr sachgemäss, befand das Gericht, und es entspreche auch der heutigen gesellschaftlichen Realität nicht mehr. Neu muss, wer Kinder betreut, wieder zu 50 Prozent arbeiten, wenn das jüngste Kind obligatorisch eingeschult wird, also in den meisten Kantonen mit dem Kindergarteneintritt. Wenn es in die Sekundarstufe kommt, ist ein Pensum von 80 Prozent zumutbar, und wenn das Kind 16 Jahre alt wird, eines von 100 Prozent. Die neue Regel verringert die Alimentenlast des erwerbstätigen Elternteils, der die Kinder nicht betreut, meist sind dies die Väter. Sie werden nun sechs Jahre früher als bisher von ihrer Ex-Partnerin beim Erwerb des Familieneinkommens unterstützt.
Die alte Regel sei dem Kindeswohl verpflichtet gewesen, schreibt das Bundesgericht; doch nach den neuen gesetzlichen Grundlagen seien Fremd- und Eigenbetreuung des Kindes grundsätzlich gleichwertig. Mit anderen Worten: Dem Kindeswohl ist nicht unbedingt besser gedient, wenn die Mutter länger zu Hause bleibt. Es geht ihm vielleicht ebenso gut, wenn es an zwei oder drei Tagen einen Mittagstisch und Nachmittagshort besucht, während die Mutter arbeitet.
Bundesgericht verweist auf Deutschland
Scheidungsrechtsexperten hatten diesen Entscheid lange erwartet. Das Bundesgericht verweist denn auch auf Deutschland, wo die Erwerbstätigkeit schon ab dem dritten Altersjahr des Kindes zumutbar sei. Dies scheint der zweiten zivilrechtlichen Abteilung des schweizerischen Bundesgerichts «eine sinnvolle gesetzgeberische Entscheidung zu sein».
Allerdings sei diese Altersgrenze auf die Schweiz nicht übertragbar, weil die gesetzgeberischen Vorgaben fehlten und eine solche Altersschwelle demnach willkürlich erscheinen würde. Das Bundesgericht stellt deshalb auf den Schuleintritt und damit auf das vorhandene objektivierbare Kriterium ab, wobei auch objektivierbar sei, dass sich die schulische Betreuung im Laufe der Jahre ausdehnt, dass sich das Kind entwickelt und dass eine Ausdehnung der Erwerbsquote nach Schulstufen deshalb angezeigt sei.
Grösserer Rechenaufwand
Die Gerichte müssen im Einzelfall allerdings abklären, ob das familienexterne Betreuungsangebot vorhanden ist, und sie müssen die Erwerbsmöglichkeiten der Mutter berücksichtigen. Der Zürcher Rechtsanwalt Andreas Egli sagt: «Bei einer Frau, die nicht Deutsch spricht und keine Ausbildung hat, wird die neue Regel toter Buchstabe bleiben.» Doch im Normalfall könnten die Gerichte nun nicht mehr ohne Not von dieser neuen Praxis abweichen, sagt er. Auch Männer.ch, der Dachverband der Schweizer Männer- und Vätervereinigungen, reagierte gestern erfreut. Das Bundesgericht mache klar, dass für Mütter wie für Väter Erwerbskontinuität auch bei Elternschaft gelte, schrieb der Verband in einem Communiqué.
Rechtsanwalt Jonas Schweighauser bezeichnet den Schritt als überfällig. Jedoch sagt er: «Es ist zu hoffen, dass Politik und Wirtschaft die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, ansonsten dürfte die neue Praxis zu Lasten der betreuenden Eltern gehen.» Das dreistufige Modell werde den Rechenaufwand in den Verfahren erheblich vergrössern. Und er gibt zu bedenken: «Eine 80-Prozent-Erwerbsarbeit und daneben alleine zwei Heranwachsende im Alter von zum Beispiel 12 und 15 Jahren zu betreuen, dürfte eine echte Herausforderung sein.»
Urteil 5A_384/2018
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