Busfahrer fährt nicht weiter, Badi stellt warmes Wasser ab
Rassistische Zwischenfälle haben in der Schweiz zugenommen – besonders an Schulen, Unis und Kitas.

Immer weniger Fahrgäste sitzen im Bus, bis schliesslich nur noch minderjährige Asylsuchende an Bord sind. Da beendet der Chauffeur seine Fahrt vorzeitig. Warum er sie nicht bis zur Endstation bringe, fragen die Kinder. Weil sie in der Schweiz keine Rechte hätten, sagt der Fahrer und schimpft: «Geht doch zurück nach Afrika.»
Ein abscheulicher Vorfall, aber keine Einzelerscheinung. Dies zeigt der noch unveröffentlichte Jahresbericht des Beratungsnetzes für Rassismusopfer, an dem sich auch der Bund beteiligte. Die landesweit 27 Fachstellen registrierten demnach letztes Jahr 301 Fälle von rassistischer Diskriminierung.
Da gab es den Mitarbeiter einer Badeanstalt, welcher Migranten beim Duschen das warme Wasser abdrehte. Einen Polizisten, der im Internet islamophobe Bilder und Kommentare verbreitete. Oder einen Türsteher, der keine Flüchtlinge in den Nachtclub liess.
301 Fälle sind ein deutlicher Rekord in der zehnjährigen Statistik, bisher waren es maximal 249. Und der neue Bericht zeigt noch nicht das ganze Ausmass. «Die Dunkelziffer ist hoch», sagt Mitautor David Mühlemann. «Es ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der rassistischen Vorfälle nirgends gemeldet wird.» Vor einem Jahr verzeichnete das Beratungsnetz 199 rassistische Diskriminierungen. Die deutliche Zunahme könnte laut Mühlemann auf eine Sensibilisierung der Betroffenen oder einen verbesserten Zugang zu Beratungsstellen hindeuten. «Sie kann aber durchaus auch ein Indiz für eine tatsächliche Zunahme von Vorfällen sein.» In ganz Europa hätten politische Parteien extreme Positionen salonfähig gemacht, auch in der Schweiz gehörten diese zum Mainstream. «Viele Bürger fühlen sich nicht mehr an gesellschaftliche Konventionen gebunden und äussern sich ganz offen rassistisch», sagt Mühlemann.
Schweizer werden am häufigsten Opfer
Die meisten Angriffe gehen auf eine generelle Ausländerfeindlichkeit zurück (112 Fälle), dahinter folgen Rassismus gegen Schwarze (95) und gegen Muslime (54). Sehr oft wurden Benachteiligungen und Beschimpfungen registriert, es gab zum Beispiel aber auch zwei Angriffe mit Waffen. Absurderweise sind die meisten Opfer Schweizer (56), danach kommen Eritreer (24) und Franzosen (16).
«Auffällig ist die Zunahme im Bildungsbereich», sagt Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der Eidgenössische Kommission gegen Rassismus. 42 Meldungen betrafen Kindertagesstätten, obligatorische Schulen oder das Studium. Das sind doppelt so viele wie im Vorjahr; nur am Arbeitsplatz gab es zuletzt mehr Zwischenfälle.
«Gerade die Schule ist ein heikler Ort, weil junge Menschen dort lernen, wie sie mit Fremdem umgehen sollen», sagt Brunschwig Graf. Sie stelle fest, dass Lehrer in ihrer Ausbildung kaum spezifisch geschult würden. «Und auch im Unterricht selbst wird ungenügend über Rassismus gesprochen.» Eine kurze Erwähnung in der Staatskunde reiche nicht. «Rassismus ist ein Thema, das man in verschiedenen Fächern behandeln sollte.»
Tatsächlich kommt das Wort «Rassismus» im Lehrplan 21 kein einziges Mal vor. Laut Schweizer Lehrerverband (LCH) wird das Thema dennoch vermittelt. «Es gibt den neuen Bereich ‹Ethik, Religionen, Gemeinschaft›, in dem unter anderem Toleranz gelehrt wird», sagt LCH-Vizepräsidentin Marion Heidelberger. «Zudem ist der Umgang mit Vielfalt tagtäglich eine Herausforderung. Schon Kindergärtler lernen, dass alle Menschen gleich zu behandeln sind.» Wichtig sei, diskriminierende Vorfälle nicht totzuschweigen. «Wenn etwas vorfällt, sollte dies unmittelbar und offen mit den Kindern thematisiert werden», sagt Heidelberger.
An den Schulen gedeiht der Rechtsextremismus
Solche Vorfälle gab es im Berichtsjahr zur Genüge. Im Raum Bern wehrten sich Eltern vehement dagegen, dass ihre Kinder mit minderjährigen Asylsuchenden in eine Klasse kommen. Schliesslich gab die Schule nach, unterrichtete die beiden «Gruppen» nur noch getrennt. An einer anderen Schule beschimpften Klassenkameraden einen Buben als «Negerlein», er stinke und habe Ebola. Opfer und Täter waren erst zehn Jahre alt.
«Gerade in einem solch jungen Alter können wir noch gut mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten», sagt Giorgio Andreoli, Leiter der Beratungsstelle «Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus». Diese besucht im Kanton Bern Schulklassen, um über Diskriminierung aufzuklären. «Wir diskutieren in der gesamten Klasse, definieren gemeinsam Regeln und erklären die Menschenrechte», sagt Andreoli. «Meist sind es nur Einzelne, die empfänglich sind für extremistische Haltungen. Wenn sich aber der Rest der Klasse deutlich gegen Rassismus stellt, ändern diese Einzelnen oft ihr Verhalten.»
Andreoli stellt bei Schulbesuchen aktuell eine beunruhigende Tendenz fest: «Nazi-Symbole oder auch entsprechende Lieder werden bei einzelnen Jugendlichen wieder beliebter.» Auch andere Experten sprechen von einer Zunahme beim Rechtsextremismus. «In den letzten Jahren hat sich von der Polizei bis zur Schule alles auf Islamismus konzentriert», sagt Lothar Janssen, Präsident des Schweizerischen Instituts für Gewalteinschätzung. «In dessen Windschatten konnte der Rechtsextremismus still gedeihen, hatte mit den Salafisten auch gleich ein Feindbild dazu.» Gerade Schulen komme nun eine wichtige Aufgabe zu. «Die Lehrer müssen deutlich machen, dass Rassismus ein No-go ist. Und sofort reagieren, wenn ein Schüler abdriftet.»
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