Chantal Galladé wechselt die Partei
Die ehemalige Nationalrätin verlässt die SP und politisiert neu für die Grünliberalen. Im grossen Interview verrät sie, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Frau Galladé, Sie treten aus der SP aus und wechseln zur GLP. Warum gerade die Grünliberalen?
Die GLP ist die Partei, die für das Rahmenabkommen eintritt und damit für eine vernünftige Beziehung zu Europa steht. Das hat mir die letzte Gewissheit zum Wechsel gegeben. Die GLP arbeitet lösungsorientiert und faktenbasiert, nicht ideologisch und mit Scheuklappen. Und sie geht tolerant mit anderen Meinungen um. Zudem bin ich überzeugt, dass ich hier meine sozial- und bildungspolitischen Ideen einbringen kann.
Ist die Haltung der SP zu Europa also unvernünftig?
Vor 30 Jahren bin ich der SP beigetreten. Damals stand gerade die SP für Offenheit zu Europa. Und für die SP hatte, neben den Grünen, auch die Ökologie einen zentralen Stellenwert. Die SP stand damals zur Armee, für eine solide Wirtschaftspolitik und für gesellschaftlichen Fortschritt, etwa für Tagesschulen, Gleichberechtigung oder die Rechte homosexueller Menschen. Damals war die SP mit diesen Zielen allein. Das hat sich in diesen 30 Jahren verändert. Heute steht nur noch die GLP für all dies und gleichzeitig auch für eine vernünftige, lösungsorientierte Beziehung zu Europa.
Die klimapolitische Verhinderin ist immer noch die FDP.
Wann war der Punkt in Ihrer Karriere erreicht, sich über einen Parteiwechsel Gedanken zu machen?
Das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hat die abwehrende Haltung der Gewerkschaften und in deren Schlepptau der SP gegen den Rahmenvertrag. Eine gute Beziehung zu Europa ist für die Chancen unserer Kinder und für unsere Arbeitsplätze zentral. Mein Antrieb – und auch mein heutiger Job als Schulpräsidentin – ist es, Kindern die besten Chancen zu geben. Und dazu gehört auch ein Forschungsabkommen mit Europa. Beim Rahmenabkommen steht viel zu viel auf dem Spiel, als dass es sich eine Partei leisten könnte, stur auf einem ideologischen Kurs zu verharren. Mit der GLP ist es mir möglich, einen konstruktiven Weg weiterzugehen – in der Europa-, aber auch in der Klimapolitik und in gesellschaftspolitischen Fragen.
Was bemängeln Sie an der Klimapolitik der SP?
Grundsätzlich nichts, da ist die SP so gut aufgestellt wie die GLP. Die klimapolitische Verhinderin ist immer noch die FDP.
Wie schwer fällt Ihnen der Parteiwechsel?
Seit ich mich entschieden habe, geht es mir wahnsinnig gut. Ich habe keine Rechnung offen gegenüber der SP, ich bin immer hingestanden und habe meine Meinung gesagt. Innerhalb der Partei hatte ich mich in der reformorientierten Plattform engagiert – zusammen mit Daniel Jositsch, Pascale Bruderer und anderen. Lange Zeit habe ich versucht, der SP zusammen mit meinen Weggefährten die nötige Breite zu geben. Und musste einsehen, dass ich damit keinen Erfolg habe. Mein Parteiwechsel war ein langer Prozess. Es fiel mir nicht leicht, denn ich bin ein sehr loyaler Mensch.
Sie bezeichnen sich als loyal. Sind Sie auch dankbar? Ohne SP wären Sie weder Nationalrätin geworden noch wären Sie heute Schulpräsidentin.
Ich muss wirklich kein schlechtes Gewissen haben. Ich zügle ja nicht einen Nationalratssitz von der SP zur GLP, sondern ich bekleide als Schulpräsidentin ein eher unpolitisches Amt. Die letzten 30 Jahre zwischen mir und der SP waren ein gegenseitiges Geben und Nehmen – das stimmte für beide. Ich habe immer überdurchschnittlich viele Stimmen geholt und mich 2007 für den Ständeratswahlkampf engagiert. Ich konnte in der SP eine moderne Sicherheitspolitik erarbeiten – welche die Partei leider nie wollte.
Hatten Sie nie Lust, bereits als Nationalrätin zur GLP zu wechseln?
Ich wurde auf einer SP-Liste gewählt. Für mich wäre ein Wechsel während der Legislatur deshalb keine Option gewesen.
Mein Entschluss hat nichts mit den Personen in der Parteileitung zu tun.
Sie wurden aber auch mit dem SP-Logo auf dem Flyer zur Schulpräsidentin gewählt.
Ich wurde in einer Kampfwahl gegen den früheren Grünen und amtierenden Präsidenten Felix Müller gewählt und erreichte 93 Prozent der Stimmen. Dieses Resultat lässt vermuten, dass ich es auch als Parteilose hätte schaffen können. Ausserdem war ich der Vorschlag der Interparteilichen Konferenz und hatte damit die Unterstützung aller Parteien.
Sie müssen in drei Jahren wieder als Winterthurer Schulpräsidentin gewählt werden. Haben Sie keine Angst, dass die SP Ihr Amt wieder zurückholen will und gegen Sie antritt?
Das wäre von der SP völlig legitim, auch wenn die Schulpräsidien kein politischer Job sind. Wenn ich von Angst getrieben wäre, hätte ich in meinem Leben vieles nicht gemacht. Ich habe in den nächsten drei Jahren in meinem Schulkreis sehr viel zu tun und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit vielen tollen Menschen.
2007 wurde Verena Diener von der GLP auf Ihre Kosten Ständerätin. Sind Sie noch immer sauer?
Aus heutiger Sicht freut mich das (lacht). Im Ernst: Natürlich war ich damals enttäuscht, aber es war mein Entscheid, ihr zugunsten der Sache den Vortritt zu lassen. Heute komme ich mit Verena Diener bestens aus. Sie freut sich über meinen Parteieintritt.
Wären Sie in einem anderen Kanton mit einer anderen Parteileitung auch aus der SP ausgetreten?
Mein Entschluss hat nichts mit den Personen in der Parteileitung zu tun. Ich bin froh, dass Andreas Daurù und Priska Seiler das Präsidium in einer schwierigen Zeit übernahmen.
Meine Tochter ist schon vor mir der GLP beigetreten.
Und doch haben Sie die Parteileitung vor einem halben Jahr im Zusammenhang mit der lauen Unterstützung von Mario Fehr scharf kritisiert. Die SP habe Fehr «zum Abschuss freigegeben». War das die öffentliche Distanzierung?
Ich habe damals die Personalpolitik kritisiert, den Umgang der Partei mit Menschen. Man lässt engagierte Parteimitglieder nicht einfach im Regen stehen.
Sie sind stark verwurzelt in der SP. Wie intensiv haben Sie den Parteiwechsel mit Ihrem engsten Umfeld besprochen?
Der Entscheid ist primär allein in mir selber gewachsen. Ganz wenige wussten Bescheid. Meine 14-jährige Tochter übrigens ist schon vor mir der GLP beigetreten. Sie engagiert sich in der Klimabewegung und im kantonalen Jugendparlament.
Kam die GLP auf Sie zu, oder haben Sie angeklopft?
Der Kontakt kam von mir aus. Ich habe GLP-Co-Präsidentin Corina Gredig kontaktiert. Die Art, wie sie und Nicola Forster die Kantonalpartei führen und politisieren, spricht mich sehr an.

Kommts in der SP nun zur Spaltung? Nehmen Sie eine ganze Reihe von EU-freundlichen Genossinnen und Genossen mit in die GLP?
Nein, ich will niemanden bekehren – ich war noch nie missionarisch veranlagt. Ich bleibe einfach meiner eigenen Grundhaltung treu. Und möchte in der GLP eine Heimat schaffen für all die vielen Sozialliberalen, die lange Zeit keine Heimat hatten.
Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl, sich so engagieren zu dürfen.
Aus Sicht der Linken ist die GLP aber alles andere als eine soziale Partei. Wenns ums Sparen und um Finanzen geht, steht ihr die FDP wesentlich näher als SP und Grüne.
An der GLP schätze ich die Breite. Als Sozialliberale habe ich nichts dagegen, bei den Finanzen genau hinzuschauen, damit das Geld den Menschen zugutekommt. Da, wo sich Doppelspurigkeiten und administrativer Aufwand verringern lassen, ist es gut, hinzuschauen und das Geld gezielt da zu investieren, wo es wichtig ist. Gerade in meiner heutigen Tätigkeit für die Schule und die Kinder sehe ich durchaus Bedarf.
In vier Jahren finden wieder Regierungsratswahlen statt. Bei der SP wird voraussichtlich Mario Fehr aufhören, der eine ähnliche politische Haltung hat wie Sie. Holen Sie dann für die GLP den Regierungssitz, den Ihnen die SP 2015 verweigert hatte?
Für mich ist ein politisches Amt in nächster Zeit keine Option. Mein Schulkreis Stadt-Töss ist in einer Umbruchphase, und die vielen tollen Menschen dort verdienen meine volle Präsenz. Ich habe mehr als genug zu tun.
Ein Nein zu einer Regierungsrats-Kandidatur tönt anders.
Ich bin ein sehr politischer Mensch. Mit dem Wechsel zur GLP fühle ich mich wie aus einem Korsett befreit. Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl, sich so engagieren zu dürfen. Es wird faktenbasiert diskutiert, und unterschiedliche Meinungen haben Platz. Jetzt werde ich mich für die vielen neuen Parteikollegen und -kolleginnen in der GLP einsetzen, etwa für Corina Gredig oder Tiana Angelina Moser.
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