Protest gegen RentenreformCharles wollte Kopf und Kragen nicht riskieren
Der britische Monarch verschiebt seinen Staatsbesuch in Frankreich wegen der anhaltenden Proteste. Die Ehre des ersten Staatsbesuchs wird nun Deutschland zuteil.

Am Freitag sagten London und Paris den für Sonntag bis Mittwoch geplanten Staatsbesuch des britischen Monarchen und seiner Frau Camilla im Nachbarland ab. Dass die gegenwärtigen Unruhen in Frankreich diese Reise unmöglich machen würden, hatte sich abgezeichnet. Im Buckingham-Palast und im britischen Aussenministerium war die Nervosität stündlich gewachsen. Beim Blick über den Kanal musste sich selbst König Charles III. am Freitagmorgen fragen, ob es sinnvoll sei, am Wochenende zu einem mehrtägigen Staatsbesuch über den Kanal zu setzen.
Ein Telefongespräch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron am gleichen Morgen machte klar, dass auch die französische Seite es für ratsam hielt, den Charles-Besuch erst einmal «zu verschieben». Charles erklärte dazu, er «freue» sich auf eine spätere Gelegenheit zum Besuch, «sobald ein Termin dafür gefunden werden kann». Ausgerechnet der erste Auslandstrip des britischen Monarchen und der Königsgemahlin Camilla muss aber nun so erst einmal ausfallen. Dabei war der Besuch seit Monaten sorgsam geplant. Er sollte, zusammen mit der anschliessenden Weiterreise des Paares nach Deutschland, dem vom Brexit ramponierten Verhältnis zu den europäischen Nachbarn neuen Halt und neue Bedeutung geben.
Charles’ vorgesehene Auftritte in beiden Staaten, seine Ansprachen im französischen Parlament und im Deutschen Bundestag sowie die Festmähler mit den jeweiligen Präsidenten sollten Höhepunkte einer neuen diplomatischen Offensive Londons sein. Wegen der sich ausweitenden Proteste gegen Macrons Rentenpolitik und nach den teils gewaltsamen Tumulten der letzten Tage schien der britischen Seite der Besuch aber zu riskant – und das nicht nur in politischer Hinsicht. Sondern wegen des Erscheinungsbilds.
«Begreifen die denn nicht, was hier bei uns los ist?»
Denn Plätze wie der Pariser Triumphbogen, an denen Charles erwartet wurde, waren durch den Aufmarsch wütender Demonstranten bereits mehrfach unzugänglich geworden. In Bordeaux, der zweiten Station der geplanten Reise, war in der Nacht auf Freitag das Hauptportal des Rathauses in Brand gesteckt worden. Speziell für die Tage des königlichen Aufenthalts hatten französische Gewerkschaften schon neue Proteste und Blockaden angekündigt. In London fürchtete man, dass gar Steine fliegen und König Charles III. und Gemahlin Camilla in Gefahr geraten könnten, falls die Situation sich weiter verschärfen würde.
Die geringste Sorge war dabei noch, dass Macrons Administration offenbar Schwierigkeiten hatte, die Strassen mit Fahnen zu schmücken und rote Teppiche auszurollen oder auch nur hier und da Berge von Müll, die sich in der Hauptstadt als Folge der Streiks auftürmen, aus dem Blickfeld der Gäste zu räumen. Sehr viel ernster genommen wurde, dass allein zu dem für Montagabend geplanten Galadinner in Versailles über tausend Polizisten abbestellt werden sollten – mit Anti-Krawall-Truppen, berittenen Einheiten und Drohnen, die auf den Abschuss anderer, feindlicher Drohnen spezialisiert waren.

Zeitweise wurde erwogen, zumindest den Versailles-Empfang in den leichter zu sichernden Élysée-Palast im Stadtzentrum zu verlegen. All die Assoziationen, die sich mit Versailles und geköpften französischen Royals aus den Tagen der Revolution verbanden, seien unter diesen Umständen «höchst unglücklich», wurde den britischen Royals aus Frankreich zugetragen. Dass ausgerechnet jetzt der britische König sich vom «republikanischen Monarchen» Macron die Aufwartung machen lassen wolle, während man sich überall im Lande gegen Macron auflehne, sei wahrhaftig unglaublich, wurde die französische Abgeordnete Sandrine Rousseau von der gesamten britischen Presse zitiert: «Begreifen die denn nicht, was hier bei uns los ist? Natürlich muss der Besuch abgesagt werden.»
Deutschland-Besuch nach Plan
Auch der in Paris lebende britische Autor und Queen-Elizabeth-Biograf Stephen Clarke warnte seine Landsleute. Das Timing sei ganz schlecht. «Normalerweise würden die Franzosen einen britischen König willkommen heissen. Aber im Augenblick sind die Leute, die an den Protesten teilnehmen, äusserst allergisch gegen alle Zeichen von Privilegien und Reichtum.» Das Ganze sehe nicht gut aus, meinte Clarke. Versailles rufe nur «1789 in Erinnerung» – das Jahr der Französischen Revolution. Am Ende beschloss man in London, dass das Charles und Camilla nicht zuzumuten sei. Gemeinsam, und mit grossem Bedauern, sagten die britische und die französische Regierung den Staatsbesuch darum ab. «Wir würden es nicht ernst meinen und es würde uns an gesundem Menschenverstand fehlen, wenn wir Seiner Majestät dem König und der Königsgemahlin vorschlagen würden, inmitten der Demonstrationen zu einem Staatsbesuch zu kommen», sagte Präsident Emmanuel Macron am Freitag nach einem EU-Gipfel in Brüssel.
Statt den Franzosen wird nun den Deutschen die Ehre zuteil werden, erste auswärtige Gastgeber von Charles III. zu sein – noch vor dessen Krönung in sechs Wochen. Am Deutschland-Besuch kommender Woche, vom 29. bis zum 31. März, ändert sich nichts.
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