China spielt globales Monopoly
Peking weitet seinen Einfluss weltumspannend aus. Für die armen Partner kann das riskant sein. Im einst sowjetischen Kirgistan zeigt sich, wie China vorgeht.

Chinas Kampf um die politische Deutungshoheit der Seidenstrassen-Initiative wird in Bischkek aus einem unscheinbaren Gebäude in der Tschui-Allee geführt, die zu Sowjetzeiten noch nach Lenin benannt war. Dort sitzt Deng Hao im chinesischen Kulturzentrum und tippt auf seinem Handy herum. In den Regalen stehen fast nur chinesischsprachige Bücher. Dazu Porzellanvasen und Teetassen. An der Wand hängt eine chinesische Flagge. Davor stapelt sich eine menschhohe Pyramide aus Büchern von Präsident Xi Jinping.
Dass nie jemand kommt, um sie zu kaufen, ist laut Deng kein Problem. Es gehe nicht um Profit: «Wir sollen das Image Chinas verbessern.» Deng selbst ist hier auf Befehl aus Peking. 3500 Kilometer entfernt von seiner Heimatstadt ist der Mittzwanziger in schwarzem T-Shirt eine Art kultureller Botschafter.
Die Folgen des chinesischen Geldregens
Sechs Jahre ist es her, dass Präsident Xi Jinping in Kasachstan die Initiative neue Seidenstrasse ausgerufen hat, um alte Handelswege zwischen Europa und China wiederzubeleben. Inzwischen gibt es auch eine maritime, eine arktische und eine digitale Seidenstrasse. Chinesische Firmen kaufen im Namen der Politik Hightechfirmen in Europa, bauen Strassen, Häfen und Kraftwerke in Afrika und Südostasien und investieren weltweit in kritische Infrastrukturen.
Roman Mogilevskii spürt die Folgen des chinesischen Geldregens jeden Tag auf dem Weg in sein kleines Büro im Zentrum Bischkeks. Viele Strassen wurden mithilfe Pekings gebaut und repariert. In der Stadt, die zu Sowjetzeiten als grünes Paradies bekannt war, werden Bäume gefällt, um breiteren Strassen zu weichen.
Kredite ohne Bedingungen
Ökonom Mogilevskii lehrt an der University of Central Asia und forscht zu Investitionen in Kirgistan. Aus seiner Sicht ist es einfach: Nach dem Ende der Sowjetunion traf die Deindustrialisierung das Land hart. Die kleinste der fünf zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken mit 6 Millionen Einwohnern gilt als Insel der Demokratie. Doch ausser in der Landwirtschaft und im Tourismus gibt es kaum Jobs, dafür viel Korruption.
1 Million Kirgisen müssen im Ausland Arbeit suchen. Ein Drittel des Bruttoinlandprodukts stammt von ihnen. Moskau gilt weiter als sicherheitspolitisch wichtigster Akteur der Region. Doch wirtschaftliche Hilfe gibt es nicht mehr. Die EU bietet gern Rat, aber kaum Geld. Und ob die USA unter Trump eine zentralasiatische Strategie haben, weiss in Bischkek niemand.
In den nächsten Jahren wird auch Kirgistan die Schulden zurückzahlen müssen.
China hingegen vergibt Kredite ohne Bedingungen. Die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards, die Anträge bei internationalen Geldgebern so schwierig machen, spielen bei den Deals keine Rolle. Die Verführung ist einfach zu gross.
Kirgistan ist ein gutes Beispiel dafür, wie China vorgeht: Es macht lukrative Angebote, verführt Regierungen zu Projekten, die sie sich nicht leisten können, und nutzt aus, wenn sie in finanzielle Schieflage geraten. Je instabiler die politische Lage, desto leichter hat es Peking.
In der jungen Demokratie ist es längst der grösste Kreditgeber. Die Kosten für die von China finanzierten Infrastrukturprojekte belaufen sich auf 2,2 Milliarden Dollar. Die Hälfte floss in den Strassenbau. Mehr als 120 Millionen Dollar davon in Bischkek. In zehn Jahren sind die kirgisischen Schulden nur bei Chinas Staatsbank Exim-Bank von 9 Millionen auf 1,7 Milliarden Dollar gestiegen. Das Kreditinstitut hält 42 Prozent der ausländischen Schulden des Landes.
Verdienen kann das Land nur, wenn mehr Waren über die neuen Strassen transportiert werden.
In den nächsten Jahren wird auch Kirgistan die Schulden zurückzahlen müssen. Doch bisher hat es kaum profitiert von den teuren Investitionen. Bauherren waren meist chinesische Firmen, sie schafften Arbeiter und Material aus China her. Chinesische Firmen haben auch eigenes Geld investiert – vor allem in geologische Erkundungen und die wichtige Goldindustrie.
Trotzdem lassen die Zahlen nichts Gutes ahnen. Verdienen kann das Land nur, wenn mehr Waren über die neuen Strassen transportiert werden. Die zwei Highways, die den Norden und den Süden mit China verbinden, wurden erneuert. Das Handelsvolumen zwischen den Ländern stieg nicht. Zwischen 2013 und 2017 schrumpfte es in den wichtigsten Handelssektoren sogar um 16 Prozent. Ähnlich könnte es mit einer geplanten Gaspipeline und einer Zugstrecke nach Usbekistan enden. Kirgistan soll nur als Transitland dienen, ohne Anbindung an die Infrastruktur.
Charmeoffensive mit Kalkül
Unterdessen wachsen Zweifel an Chinas Absichten. Die USA warnen Länder vor einer Partnerschaft mit Peking. Die EU fordert ein Ende der Einbahnstrassenpolitik, die chinesische Firmen beim Bau der Infrastruktur systematisch bevorteilt. In Pakistan und Malaysia gibt es seit Regierungswechseln Bedenken. Indien trat der Kooperation aus Protest nie bei. Und spätestens seit Sri Lanka einen Hafen und Land für 99 Jahre an China verpachten musste, weil es Kredite nicht mehr bedienen konnte, hat die Initiative ein Imageproblem.
Darum sind Deng Hao und sein Kulturzentrum ein wichtiger Teil der Seidenstrassen-Initiative. Peking will die Deutungshoheit. Über die Investitionen, das Land, das eigene politische System. Dafür investiert es nicht nur in Zukunftstechnik, sondern weltweit auch in Medienhäuser, Verlage und TV-Stationen. Es nutzt seine Marktmacht, um kritische Berichte zu unterbinden und prochinesische zu fördern. In Kirgistan hat es Universitäten mit Computern ausgestattet und betreibt in Bischkek zwei Konfuzius-Institute. Studenten können auf Regierungskosten zu Sprachkursen nach China reisen. Zum Frühlingsfest kochte Deng mit ihnen Teigtaschen.
Die Charmeoffensive ist nicht nur willkommen. Während die kirgisische Regierung die Hand aufhält, wächst die Wut der Bürger. Bereits 2017 gaben bei einer Umfrage 35 Prozent an, Chinas Wirtschaftseinfluss als Gefahr für Kirgistan zu sehen. Viele fürchten, dass sich die Regierung von Peking kaufen lässt.
Kritik beunruhigt KP
Zu einem Tief kam es 2018. Während die Temperaturen in der Hauptstadt unter minus 20 Grad sanken, fiel das städtische Heizwerk aus. 386 Millionen Dollar hatte China für die Sanierung zur Verfügung gestellt, durchgeführt hatte sie eine chinesische Firma. Die Opposition warf der Regierung Korruption vor und den Chinesen Schlamperei. Der damalige Premier und sein Kabinett mussten zurücktreten. Zwei Ex-Premiers landeten im Gefängnis. Kurz darauf sagte die Regierung ein Projekt mit dem Konzern Huawei ab, der in kirgisischen Städten die Verkehrsüberwachung installieren sollte. Offizieller Grund war ein Verstoss Huaweis gegen Vertragsdetails. Wahrscheinlicher ist, dass die Regierung neue Proteste fürchtete.
Den Diskurs heizen auch nationalistische Gruppen an. Im Dezember versammelten sich rund 100 Protestierende vor Chinas Botschaft in Bischkek, um gegen die Verfolgung der muslimischen Minderheit der Uiguren in China zu protestieren und gegen eine angebliche illegale Migration aus dem Nachbarland. Gerüchte, China würde für ausgelieferte Uiguren Prämien zahlen, machen die Runde. Das sind extreme Töne, doch viele Beobachter sehen eine wachsende, ausgeprägte Sinophobie.
Wachsender Widerstand gegen Chinas Aussenpolitik
Die Kritik im Ausland bleibt in China nicht folgenlos. Der frühere Diplomat und Mitglied der Beraterkammer CPPCC, Ye Dabo, stellte die Behauptung Ministerpräsident Li Keqiangs infrage, die Seidenstrassen-Initiative habe 2018 «wichtige Fortschritte» gemacht. Das sei «ein wenig übertrieben». Im strengen politischen Betrieb Pekings gleicht das einer öffentlichen Ohrfeige.
Der wachsende Widerstand gegen Chinas expansive Aussenpolitik beunruhigt auch die Kommunistische Partei. Letzte Woche bemühte sich Aussenminister Wang Yi um eine andere Interpretation. Man verstehe, dass im Entwicklungsprozess Bedenken aufkämen. Doch sei der Vorwurf übermässiger Einflussnahme im Ausland unbegründet. Die Seidenstrasse sei kein geopolitisches Instrument, sondern eine «Kooperations-Plattform». Die Teilnehmerliste des anstehenden Gipfels in Peking sei «Vertrauensbeweis» genug.
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