China zieht in den Technologie-Krieg
Die USA boykottieren Huawei. Chinas Antwort? Das Land widmet ganze Städte der Forschung.

Es ist Sonntagabend in Shenzhen, der einzige freie Tag der Woche, der Smog hat sich verzogen, angenehme 28 Grad, der Verkehr strömt auf den von Palmen gesäumten Boulevards fast lautlos dahin, die meisten Taxis und Busse fahren mit Elektroantrieb. Nur auf dem Campus von Huawei ist etwas anders als sonst. Die Büros des Netzwerkausrüsters liegen etwas ausserhalb, abgeschottet hinter Eisenzäunen und Steinmauern, an den Toren Schlagbäume und Sicherheitsleute. Besucher werden mit einer schwarzen Maybach-Limousine abgeholt, die Fahrt führt dann durch hügelige Grünanlagen mit Teichen und gestutzten Hecken. Doch die Schranken bleiben seit Tagen unten. Die Zeit des Redens ist offenbar vorbei, es wird gearbeitet. Auch sonntagabends brennt Licht in fast jedem Büro.
Die Frontstadt im Tech-Krieg
Shenzhen ist zur Frontstadt geworden in einer Auseinandersetzung, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. China und die USA liefern sich einen Technologiekrieg, dessen Auswirkungen überall auf der Welt zu spüren sind: im Silicon Valley, im chinesischen Hinterland, auch bei Schweizer Unternehmen.
Das erste Schlachtfeld in dieser Auseinandersetzung ist Chinas ganzer Stolz, der Huawei-Konzern. Aus der Firma, die einst importierte Technik weiterverkaufte, ist ein Gigant geworden. Umgerechnet mehr als 100 Milliarden Franken Umsatz, führend beim Verkauf von Smartphones, vor Apple. Führend beim Verkauf von Equipment für Mobilfunk in aller Welt.
Aber seit gut einem Jahr warnen die USA ihre Verbündeten davor, beim Netzausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G-Technik aus China zu verwenden. Die Amerikaner befürchten, Huawei könne gezwungen werden, der Regierung in Peking Einblick in die Kundendaten zu gewähren. Auch Sabotage schliesst Washington nicht aus, etwa das mutwillige Abschalten von Teilen der digitalen Infrastruktur.
Die Chinesen wollen so schnell wie möglich digital autark werden. Keine US-Software mehr, keine Halbleiter aus dem Ausland.
Im Mai unterzeichnete US-Präsident Trump ein Dekret, das es den amerikanischen Behörden erlaubt, gegen ausländische Telekommunikationsunternehmen vorzugehen. Eine «Lex Huawei». Der Konzern und einige Tochterfirmen wurden auf eine Liste gesetzt, die sie verpflichtet, vor dem Kauf von amerikanischer Technologie eine Genehmigung der Regierung einzuholen. Google hat seitdem die Kooperation eingestellt. Die Chiphersteller Qualcomm, Intel und Broadcom haben ihre Lieferungen heruntergefahren – ein gewaltiges Problem für Huawei und die chinesische Industrie insgesamt.
Die Chips sind Herz und Hirn des digitalen Zeitalters, und sie sind zum Streitobjekt der Weltpolitik geworden. Für ihre Einfuhr aus Amerika, Korea, Japan oder Europa gibt China mehr Geld aus als für seine Ölimporte. Seit Jahren forschen chinesische Unternehmen daran herum. Sie versuchen, sich unabhängig zu machen. Bisher vergebens.
Einen Tag nachdem Trump seinen Bann unterschrieben hatte, schickte die Chefin der Chipsparte von Huawei eine E-Mail an ihre Angestellten: «Eine Supermacht unterbrach gnadenlos das technische und industrielle System der globalen Zusammenarbeit, traf die verrückteste Entscheidung und setzte Huawei auf die Liste der verbotenen Unternehmen.» Weiter schrieb sie: «Wir werden unsere Weisheit und unser Durchhaltevermögen einsetzen, um unter dem Druck des Verbots aufrecht zu stehen und voranzukommen! Noahs Arche wurde in Not gebaut.» Sie versuchen bei Huawei also, ein Chip-Rettungsboot zu konstruieren. Vielleicht ein Jahr haben sie dafür, so viele Chips dürften sie gebunkert haben. Die Zeit läuft.
Grosse Frustration in Washington
Ausgerechnet der US-Präsident hat die Zeit vorübergehend angehalten. Beim G-20-Gipfel in Osaka traf sich Donald Trump am Samstag mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Gut eine gedolmetschte Stunde Gespräch, viele Themen: Nordkorea, der Handelskrieg mit seinen Milliardenzöllen, die Bedenken um Huawei. Noch am Vortag hatten einflussreiche Politiker aus Trumps eigener Partei davor gewarnt, Huawei zum Teil der Verhandlungen zu machen. Der Konzern sei «eine Bedrohung der nationalen Sicherheit», sagte etwa der republikanische Senator Marco Rubio. Und was machte Trump?
Nach dem Gespräch mit Amtskollege Xi verkündete er: «Auf Bitten anderer Hightech-Unternehmen und von Präsident Xi habe ich mich einverstanden erklärt, dem chinesischen Unternehmen Huawei zu erlauben, Produkte von ihnen zu beziehen, die nicht unsere nationale Sicherheit betreffen.» Im Gegenzug habe China zugesagt, grosse Mengen Agrarprodukte aus den USA abzunehmen, sagte Trump. Sojabohnen gegen Chips, das scheint der vorläufige Deal zu sein, wobei nicht einmal im Ansatz klar ist, welche Bauteile Huawei wieder beziehen darf, denn auf der schwarzen Liste der US–Regierung verbleibt der Konzern vorerst.
In Washington ist die Frustration gross. «Wenn Präsident Trump zugestimmt hat, die jüngsten Sanktionen gegen Huawei aufzuheben, hat er einen katastrophalen Fehler gemacht. Es wird die Glaubwürdigkeit seiner Warnungen vor der Bedrohung durch das Unternehmen zerstören, niemand wird sie jemals wieder ernst nehmen», twitterte Senator Rubio. Statt um Sicherheit und Freiheit geht es auf einmal um Handel, Geschäfte, Zölle, um die Anliegen eines Geschäftsmanns. Es geht nicht mehr um eine Systemfrage, zumindest vorläufig nicht. Trumps Wankelmut kennen sie in Peking bestens.
Vor Kurzem war hier Niemandsland
Allzu viel wird die chinesische Führung deshalb wohl nicht auf die Worte des US-Präsidenten geben. Längst hat man damit begonnen, sich auf einen Technologiekrieg vorzubereiten. Der Plan: Die Chinesen wollen so schnell wie möglich unabhängig werden, digital autark. Keine amerikanische Software mehr, keine Halbleiter aus dem Ausland, keine Daten, die ausserhalb der Volksrepublik gespeichert werden.
Tief im Südwesten der Volksrepublik, in der abgeschiedenen Provinz Guizhou mit ihren malerischen Karstbergen, ist der IT-Nationalismus fast schon Realität. 40 Kilometer südlich der Hauptstadt Guiyang ist die neue Wirtschaftszone Gui'an entstanden. Bis vor kurzem war hier noch alles Farmland, wie früher in Shenzhen. Inzwischen sind die Strassen geteert, schnurgrade Chausseen, auf denen problemlos auch ein Mittelstreckenjet landen könnte. Die ersten Häuser stehen bereits, 20, 30 Geschosse hoch, hier sollen einmal Hunderttausende leben. Es gibt Schulen und Kindergärten, Bauarbeiter schweissen am Rohbau eines Einkaufszentrums. Nur Menschen fehlen noch. Und ihre Arbeitsplätze.
Chinesischer Daten-Nationalismus
Büros werden gebaut, viele davon unter Tage. Die Berge werden zu IT-Zentren. In einen der Karsthügel wurden mehrere Röhren getrieben, Hunderte Meter tief. Es ist das neue Datenlager des chinesischen Internetkonzerns Tencent. 300000 Server werden hier einmal stehen; die Konstruktion soll einem Luftangriff standhalten. Schon jetzt wird alles streng bewacht. Wer das Gelände betreten will, muss an einem Gesichtsscanner vorbei.
Ein Tal weiter entsteht das neue Datenzentrum von Huawei. 600000 Server sollen hier einmal untergebracht werden. Die Baustelle ist mit einem Sichtschutzzaun abgesperrt, aber man sieht trotzdem Kräne, Betonmischer, Bagger. Trennscheiben kreischen. «Big Data Valley», das Tal der Daten, nennt die Propaganda die Provinz. Kein Byte soll künftig mehr ausserhalb der chinesischen Grenzen gespeichert werden.
Guizhou als Rückzugsort, das gab es schon einmal in der chinesischen Geschichte. 1964 verlegte Mao Zedong die Produktion von Waffen und wichtigen Gütern ins Landesinnere, der Feind sollte es so schwer wie möglich haben. Schon damals unter anderem ins abgelegene Guizhou. Unter Xi Jinping kämpft China jetzt an der «Vierten Front». Und die ist digital.
Kein Microsoft, kein SAP
In einem Hochhaus in der Innenstadt von Guiyang haben sich chinesische IT-Unternehmen eingemietet. Auch Huawei betreibt hier ein Forschungslabor, im obersten Stockwerk sitzt die Firma China Electronics Technology Group, kurz CETC. Vom Fenster im 27. Stock aus sieht man die vielen neuen Hochhäuser in der Stadt, sie versperren den Blick auf die Berge. Man läuft über einen Teppich, in dem die Schuhsohlen einsinken. Als Faustregel gilt, je tiefer der Teppich, desto mächtiger die Organisation. CETC muss sehr einflussreich sein.
Gegründet im Jahr 2002, berät das Staatsunternehmen die Führung in Peking in IT-Fragen. Kein Microsoft mehr, kein SAP, alles soll selbst gemacht werden. Einer der Ingenieure bittet, Platz zu nehmen in einem Saal mit mehr als hundert Stühlen. Er startet eine Präsentation. Bei CETC forschen sie daran, wie die chinesische Regierung Quellcodes, Datenbanken, Sensoren nutzen kann, «um besser zu regieren», wie der Mann sagt. Vieles in der Präsentation klingt nach «1984» und George Orwell. Gesichtserkennungskameras an jeder Strassenecke, Sprachcomputer, die Telefonate routinemässig überwachen, und Daten, die zentral gespeichert werden. «Wir stehen auf der schwarzen Liste der USA», sagt er dann fast ein wenig stolz. «So sind nun einmal die Zeiten.»
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