Die Helden
Beim 75-Jahr-Jubiläum des D-Days hinterliessen die einstigen Soldaten einen würdevollen Eindruck, findet Markus Somm
Es war die grösste Landungsoperation, seit der persische König Xerxes 480 vor Christus versucht hatte, Griechenland zu erobern. 2424 Jahre später, am 6. Juni 1944, landeten die Alliierten an den Stränden der Normandie, und über 150'000 meist junge Männer, vielleicht 19 oder 20 Jahre alt, gingen an Land, von denen noch am gleichen Tag Tausende starben. Amerikaner und Briten vor allem, aber auch Kanadier, Neuseeländer, Australier, Polen, Tschechen, Belgier, Norweger, Holländer, Griechen und Franzosen rannten in den Tod, um den Rest Europas zu befreien von einem der grössten Verbrecher der Weltgeschichte. Es waren junge Männer darunter, die diesen Kontinent noch nie gesehen hatten, nachdem ihre Vorfahren vor Hunderten von Jahren aus Europa vertrieben worden waren.
Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht ironisch, dass beim 75-Jahr-Jubiläum des D-Days, das diese Woche begangen wurde, erneut Leute zu Wort kamen, die im heutigen Europa nicht sehr wohlgelitten sind. Donald Trump, Nachkomme eines Deutschen, der sich vor dem kaiserlichen Militärdienst in Amerika versteckte, bevor der Kaiser sein Reich in den Ersten Weltkrieg trieb, oder Theresa May, die ihr Land aus der EU zu führen versuchte, was man ihr auf dieser Seite des Kanals immer noch übel nimmt. Mehr Eindruck als diese Wortmeldungen hinterliessen jedoch die Veteranen, uralte Männer jetzt, die fast nicht mehr gehen konnten, und dennoch tapfer zu einem Soldatengrab sich schleppten oder wankten, um einen Kranz niederzulegen. Wenn einer von ihnen dann mühsam den Körper streckte, um mit militärischem Gruss Leuten die Ehre zu erweisen, denen eigentlich gar kein Leben beschieden war, dann hat das etwas Bewegendes, Würdiges, das uns, die Nachgeborenen, die Glücklichen und Ahnungslosen, auch beschämt. Was haben wir getan, damit es dieser Welt besser geht? Was haben wir geopfert, damit andere leben können?
Vermutlich ist dieses Jubiläum das letzte, an dem noch Veteranen aufzutreten vermögen, was die britische Königin, dieses Monument der Würde, auch ansprach. Sie selber gehört dieser Generation an, die in Amerika als die «Greatest», die grösste bezeichnet wird. Schon bei den Feiern zum 60-Jahr-Jubiläum habe man gemeint, es sei das letzte dieser Art, sagte sie, doch offenbar «sind wir besonders widerstandsfähig». Auch die Queen setzte sich damals als 19-Jährige für ihr Land ein und diente als Fahrerin und Mechanikerin im militärischen Frauenhilfsdienst.
Wer sich militärisch nicht auskennt, kann kaum ermessen, wie schwer diese sogenannte Operation Overlord zu vollbringen war. Landungen sind grundsätzlich risikoreich und gelingen selten. Es gibt einen Grund, warum England in den vergangenen zweitausend Jahren nur zweimal erobert wurde, und es selber scheiterte, als es im 15. Jahrhundert Frankreich übers Meer angriff. Hitler ging lange davon aus, dass es nie zu einer Invasion im Westen käme, und als er merkte, dass es dennoch geschehen würde, war es zu spät, um die Küste ausreichend zu befestigen. Trotzdem bedeutete es ein Massaker für die Alliierten und die Deutschen zugleich, die nach wie vor zu den besten Kämpfern der Welt zählten. Hätten die Deutschen jetzt den Krieg eingestellt, einen Tag nach der Invasion, wären mehr als eine Million Juden und sowjetische Kriegsgefangene am Leben geblieben. Es ist unfassbar, wie lange die Deutschen loyal blieben gegenüber einem unfähigen Gefreiten, einem Rassisten und Menschenfeind, der am Ende auch ihr eigenes Land ruinieren sollte. Noch im Juni 1944 hatte von Rundstedt, Oberbefehlshaber West, Keitel, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, empfohlen: «Beendet den Krieg, Ihr Idioten!», aber Keitel überhörte das. Nicht ohne Grund nannte man ihn Lakei-tel. Doch auch Rundstedt blieb und kämpfte für Hitler bis zur Kapitulation. Nachdem die Alliierten schon am ersten Tag einen Brückenkopf an der Küste gebildet hatten, setzten sie bald eine Million Soldaten ab, die nun den Krieg nach Deutschland trugen. Es sollte fast noch ein Jahr dauern, bis die Deutschen endlich aufgaben.
Am 3. Juni, wenige Tage vor dem D-Day, hatte der britische Hauptmann Norman Skinner seiner Frau Gladys einen vorsorglichen Abschiedsbrief geschrieben: «Auch wenn ich alles geben würde, um wieder bei Dir zu sein, habe ich noch nie daran gedacht, den Job aufzugeben, den wir hier zuerst erledigen müssen.» Man fand den Brief in seiner Hosentasche. Captain Skinner war am Sword Beach gelandet, einen Tag später war er tot.
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