Und dann sagt das Opfer: «Diese Strafe hat er nicht verdient»
Ein Opfer verhilft einem Betrüger zu einer milderen Strafe. Dem bereits vorbestraften Pfleger bleibt nun das Gefängnis erspart.

Er kommt im Alter von acht Jahren mit der Mutter und den Brüdern in die Schweiz. Hier lebt er als vorläufig Aufgenommener, spricht bald bestens Deutsch. In der Schule ist er mässig erfolgreich, dennoch schliesst er später eine vierjährige Lehre als Fachmann Gesundheit ab. Und dann das: Während der Lehre folgt er dem schlechtestmöglichen Beispiel seines im Heimatland gebliebenen Vaters: Er wird spiel- und später auch noch kokainsüchtig.
Er bestiehlt seine Familie, bis ihn die Mutter aus der Wohnung wirft. Er missbraucht die Kreditkarte seiner Ex-Freundin. Und er bestiehlt Menschen, die er in seiner Funktion als Pfleger betreut. In einem Fall wird er von einer Videokamera gefilmt. In einem anderen Fall stellt ihm ein pensionierter Banker, der ihn schon länger des Diebstahls verdächtigt, eine Falle.
244'900 Franken übergeben
Die Verurteilung im November 2015 scheint auf ihn nicht die geringste Wirkung zu haben. Denn schon längst hat er eine andere, heute 77-jährige Frau, die er früher auch betreut hatte, an der Angel. Als der inzwischen 26-Jährige verurteilt wird, hat ihm die Frau bereits 189'000 Franken zukommen lassen. Am Schluss, Mitte August 2016, beträgt die Summe, welche die Seniorin ihrem Ex-Betreuer übergeben hat, 244'900 Franken.
Für die Staatsanwaltschaft ist die Sache glasklar. Da hat einer, der laut Psychiater nicht nur an Spiel- und Kokainsucht, sondern auch an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leidet, seinen Charme spielen lassen, erfolgreich Mitleid erweckt und das während der Pflegezeit entstandene Vertrauensverhältnis ausgenutzt.
So sah es auch das erstinstanzliche Bezirksgericht. Es verurteilte den Pfleger unter anderem wegen gewerbsmässigen Betrugs zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten und ordnete eine ambulante Suchtbehandlung während des Strafvollzugs an. Immer tiefer in Spielschulden geraten, habe er die alte Frau «schamlos um immer mehr Geld» gebeten und ihr versichert, das Geld zurückzuzahlen. «Überaus hartnäckig» habe er die ihm wohlgesinnte Frau ausgenommen.
«Strafe nicht verdient»
«Es war unverschämt, was ich getan habe», sagte der Mann, der nicht mehr als Fachmann Gesundheit arbeitet, gestern vor dem Obergericht. Aber er habe immer «auf den grossen Jackpot gehofft», der ihn aller Sorgen entledigt hätte. Die Rentnerin habe um seine Situation gewusst. «Das war klipp und klar besprochen.»
Das wollte das Obergericht von der Frau hören. Auf dem Rollator sitzend, erklärte sie, dass der Brief, den der Verteidiger des Beschuldigten aufgesetzt und den sie unterschrieben hat, tatsächlich ihrem Willen entspricht. «Ich fand das Urteil des Bezirksgerichts falsch», sagte sie. Die hohe Strafe sei für sie «ein Schock» gewesen. «Diese Strafe hat er nicht verdient.»
Die 77-Jährige sagte aber noch etwas Entscheidenderes: Sie habe um die finanzielle Notlage ihres Ex-Pflegers gewusst und ihm helfen wollen. «Ich wollte, dass er von diesen Schwierigkeiten loskommt.» Es sei ihr durchaus bewusst gewesen, dass das Geld vielleicht nicht mehr zurückkommt. «Das Risiko eines Verlustes war mir bewusst.»
Noch 10 statt 30 Monate
Warum ging sie überhaupt zur Polizei? Im Frühjahr 2016, bevor sie dem Mann nochmals in mehreren Tranchen 34'000 Franken übergab, habe er sie angelogen bei der Begründung, weshalb er weiterhin Geld benötige. Davor habe er «die Wahrheit gesagt».
Damit waren der gewerbsmässige Betrug und die im Zusammenhang mit der Lüge stehende Urkundenfälschung nur noch für eine Summe von 34'000 Franken nachweisbar. Das Obergericht änderte die unbedingte Freiheitsstrafe von 30 Monaten um in eine bedingte Freiheitsstrafe von 10 Monaten.
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