Corinne Suter hätte fast ihren Fuss verloren
Weil die Abfahrerin nach einer Blutvergiftung die Symptome ignorierte, wäre es fast zum Drama gekommen. Es war eine Frage von Stunden.
Es klingt alles ganz normal. Am Skischuh hätten sie diesen Herbst etwas getüftelt bei Corinne Suter, sagt Abfahrtstrainer Roland Platzer. Die Schwyzerin sagt: «Ich brauchte eine neue Sohle, die davor war zu aggressiv, jede kleinste Bewegung wurde direkt auf den Ski übertragen.» Und ja, einen neuen Schuh habe sie auch noch gleich ausprobiert. Der Hintergrund aber ist dramatisch.
Im Juni trainiert das Schweizer Team auf dem Stilfser Joch, die Athletinnen springen über Wellen, bei der Landung prallen Suters Füsse gegen die Skischuhe, immer und immer wieder. «Aber es lief super, ich habe nichts gemerkt», sagt sie. Im Hotel, als die Füsse sich erwärmen, stellt sie fest, dass ihre Fussnägel mit Blut unterlaufen sind. Nichts Neues für sie, für Skifahrer generell, die oft viel zu kleine Skischuhe tragen, damit die Übertragung auf die Latten optimal funktioniert.
Doch die 24-Jährige kann nicht mehr gehen. Sie bittet die Physiotherapeutin, die Nägel mit einer Nadel aufzustechen, um den Druck zu lösen. Die Schmerzen weichen, am nächsten Tag steigt die Abfahrtsspezialistin wieder in die Skischuhe. Es ist ein Fehler.
Sie wollte nicht zum Arzt
Eine Wunde am rechten Fuss entzündet sich. Es ist Wochenende, und Walter O. Frey, Chefarzt von Swiss-Ski, weilt in Amerika. «Also den rufe ich jetzt nicht an», sagt sich Suter, «und am Wochenende gehe ich auch nicht zum Arzt.»
Sie kann jetzt nur noch an Krücken gehen, ein roter Strich läuft das Bein hoch bis zum Knie. Sie ringt sich durch, macht ein Foto des Fusses, schickt es Frey, die Antwort: sofort in den Notfall. «Er war gerade beim Einchecken und wäre danach neun Stunden im Flieger gesessen», sagt Suter. Nach seiner Rückkehr aus den USA wäre es vielleicht zu spät gewesen. Es war eine Blutvergiftung.
Doch auch als Suter im Notfall ankommt, weiss sie noch nicht um die Dringlichkeit, wartet in dem Abteil, in dem die weniger akuten Fälle versorgt werden, lässt noch vier Patienten vor. Als sich ein Arzt ihren Fuss anschaut, ist klar: Die Zeit drängt. Sie bekommt eine Infusion mit Antibiotika, eine nach der anderen. Vier Nächte muss sie bleiben, schläft 13 Stunden am Tag. Und die Ärzte sagen: Hätte sie das Wochenende abgewartet, hätten sie ihr wohl den rechten Fuss amputieren müssen.
Mit Finken im Kraftraum
Corinne Suter sitzt nun in einem tiefen Sessel an einem Zweiertisch im prächtigen Chateau-Hotel in Lake Louise. Darunter: zwei gesunde Füsse. Sie lacht, auch dann, wenn sie von der Zeit danach redet, von diesen zwei Monaten, in denen sie keine normalen Schuhe tragen konnte und in Finken im Kraftraum erschien. «Das sah vielleicht aus», entfährt es ihr. Sie weiss, sie hatte Glück.
Und irgendwie, findet Suter, hatte das Ganze auch sein Gutes. Die Pause habe ihr gutgetan, und dank des Malheurs hat sie am Skischuh herumgepröbelt, trägt jetzt eine etwas grössere Nummer, es passt. Bei den Testfahrten, sagen die Trainer, habe sie sich in hervorragender Verfassung präsentiert. Suter sagt: «Ich habe einen neuen Servicemann, neue Inputs, alles war sehr positiv.» Es soll wieder aufwärtsgehen.
In den letzten beiden Saisons hat sich Suter schwergetan. Nach einem wunderbaren Winter 2015/16, in dem sie mit sechs Top-10-Plätzen die Schweizer Aufsteigerin war, gab es viel Auf und Ab. «Ich wollte zu viel», sagt Suter, sie verkrampfte sich. Sie arbeitete mit einem Mentaltrainer zusammen, auch diesen Sommer über. «Es tut gut, mit einer Person zu reden, die nicht so emotional bei der Sache ist.»
Wenn für sie am Freitag in Kanada mit der ersten Abfahrt die Saison beginnt, will Suter umsetzen, was sie besprochen haben: Sie soll sich mehr auf sich konzentrieren. «Im Training», sagt sie, «funktioniert das. Ich besichtige und fahre so hinunter, wie es für mich stimmt.» Im Rennen aber, wenn die Fahrten der Gegnerinnen in den Vorbereitungsräumen oder am Start auf Bildschirmen zu sehen sind, ist sie abgelenkt. Sie beobachtet diese auch bei der Vorbereitung, hört die Funksprüche der Trainer. «Es ist nicht einfach, das auszublenden. Aber das ist jetzt meine grösste Aufgabe für diesen Winter», sagt sie.
Die grössere Hürde hat sie schon im Juni genommen.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch