
Auf wild schnaubendem Ross, mit Perlen und schimmernder Rüstung: So sehen viele Briten zu Beginn dieses Wahlkampfs Theresa May, ihre Premierministerin. Nicht auf Drachenjagd aber geht diese eiserne Lady. Auf einer Karikatur senkt sie die Lanze, um einem wehrlos am Boden liegenden Landsmann den Todesstoss zu versetzen. Das blaue T-Shirt des Betroffenen mit den goldenen Sternchen sagt uns, dass er «die 48 Prozent» repräsentiert, die letztes Jahr gegen den Brexit stimmten. Auf Mays Ritterschild, mit dem roten Kreuz des heiligen Georg, steht in schwarzen Lettern geschrieben: «Crush the Saboteurs», die Saboteure gehören zermalmt.
Mays Klagen über die Opposition
Besser lässt sich kaum ins Bild fassen, was sich just abspielt in Grossbritannien. Während drüben überm Kanal noch um die Zukunft Frankreichs und der EU gerungen wird, droht den Proeuropäern auf der Insel das (politische) Aus. In den von ihr ausgerufenen Unterhauswahlen will die Tory-Regierungschefin sich ein Mandat besorgen, das ihr in Sachen Spaltung Britanniens von Europa praktisch alles erlaubt. Schliesslich erwarte das britische Volk, meint May, «dass ich mit diesem Job jetzt endlich voranmache». Überhaupt habe sie die Wahlen ja nur deshalb ansetzen müssen, weil widerborstige Labour-Leute und Liberaldemokraten sie bei der Erfüllung ihres Auftrags ständig behindern wollten.
Mays Klage über die leidige Opposition war es denn auch, die der «Daily Mail» vorige Woche die Schlagzeile «Crush the Saboteurs» lieferte. Rupert Murdochs «Sun», die der «Mail» nicht gern nachsteht, rechnet fest damit, dass die Labour Party «ausgemerzt» wird bei dieser Wahl.
Von Oppositionspolitikern gefragt, ob sie an solchen Zeitungsberichten nicht Anstoss nehme, hat May beharrlich die «freie Presse» verteidigt. Ähnlich hatte voriges Jahr schon ihre Justizministerin Liz Truss reagiert, als drei High-Court-Richter, die die Befugnisse der Exekutive beschränkten, von der «Daily Mail» als «Volksfeinde» denunziert worden waren.
Freie Hand für die Chefin
Richter als «Volksfeinde»; Kritiker als «Saboteure»; die Opposition als «Störfaktor», den man sich vom Hals schaffen muss. Im Musterland der parlamentarischen Demokratie hält eine Sprache Einzug, die mit Demokratie und Meinungsvielfalt nicht mehr viel im Sinn hat. Schon der Referendumsbeschluss vom Vorjahr ist zur Keule gegen allen Widerspruch geworden. Mit Erfolg: Labour-Opposition und proeuropäische Tories ziehen bang die Köpfe ein, wann immer May einen «Volkswillen» beschwört, der nur von ihr interpretiert werden kann.
Und nun will die Tory-Chefin ihre persönliche Mission eines harten Brexit mit einem Wahltriumph besiegeln. Sie verlangt freie Hand «für die Entscheidungen, die ich fällen muss» beim Austritt aus der EU. Hinter ihr habe sich, sagt sie, die ganze Nation zu versammeln: All die «Uneinigkeit in Westminster» führe doch nur zu «gefährlicher Ungewissheit und Unstabilität» im Land.
Diese Bemerkung hat Mays Kritiker und «die 48 Prozent» aufhorchen lassen. Falls die Regierungschefin nur noch eine Einheitsmeinung im Parlament tolerieren wolle, finden besorgte Stimmen, begebe sie sich in bedenkliche Nähe zu Herrschern, die ebenfalls lieber ohne Opposition regieren würden. Sie schaffe sich ihr eigenes Erdogan-Sultanat an der Themse – oder, ins Englische übersetzt, ihr privates Vizekönigtum.
Nebulöses Terrain
Dass in diesem Zusammenhang als «Saboteur» zu neutralisieren ist, wer Theresa May keinen Brexit-Blankocheck ausstellen will, gehört zu den erstaunlichen Dingen, die sich derzeit in London ereignen. Ausgerechnet die britischen Konservativen als Erben der Russischen Revolution?
Wahr ist wohl, dass die an Volksabstimmungen wenig gewöhnten Briten zwischen ihrem Brexit-Referendum und ihrer parlamentarischen Demokratie auf nebulöses Terrain geraten sind – und dass Theresa May die allgemeine Verwirrung zur Reduktion parlamentarischer Mitsprache zu nutzen sucht.
Weniger um rivalisierende Wahlprogramme als um das Mass der Macht Mays geht es im Grunde bei diesen Wahlen. Abweichenden Meinungen soll künftig alle Legitimation entzogen werden. «Uneinigkeit in Westminster» soll es nicht länger geben. Ein gehorsames Unterhaus soll nur einfach bestätigen, dass Brexit genau das bedeutet, was Theresa May jeweils sagt.
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«Crush and Kill» mit Theresa May
«Volksfeinde», «Saboteure», «illegitime Opposition» gegen den «Volkswillen»: In Grossbritannien hat die antidemokratische Sprache Einzug gehalten.