Da kommt man nicht mehr raus
Der Frankfurter «Tatort», der buchstäblich rund um einen High-Finance-Turm spielt, sprengt gewagt unsere Erwartungen.

Ist dieser Frankfurter «Tatort» nur die erste Hälfte eines Zweiteilers? Kommissarin Anna Janneke (Margarita Broich) macht ihrem frustrierten Kollegen Paul Brix (Wolfram Koch) keine Hoffnungen: «Es ist vorbei», raunt sie ihm im Finale von «Der Turm» zu, während sie beide noch von draussen durch die Glastüren des Hochhauses spähen und dem Informanten drinnen Zeichen geben. Doch der hat sich längst desinteressiert abgedreht.
«Der Turm» ist ein völlig unweihnachtlicher Schocker über die eiskalte Finanzwelt im Neoliberalismus. Es kommt nicht mal ansatzweise zum Happy End. Eine junge Frau wurde zerschmettert am Fuss eines hermetischen Bankenturms gefunden, halbnackt, mit Plastiktüte über dem Kopf; offenbar nach wildem Sex mit mehreren Partnern. Janneke macht Fotos von einer unscharfen Silhouette an einem der Fenster und zieht allein los, hinein in das als Monster gefilmte Bauwerk.
Regisseur und Drehbuchautor Lars Henning («Zwischen den Jahren») lässt uns oft aus der Froschperspektive auf das übermächtige, dunkle Ding mit den trüben Fensteraugen blicken. Ein ganzes Geflecht von Firmen hat dort seinen Sitz und betreibt mit Geldwäsche, Insidergeschäften und Ähnlichem eine Gewinnmaximierung, die über Leichen geht und über moralische Ansprüche ohnehin hinwegtrampelt. Alle spielen in der Logik des Systems mit, auch der Flüchtlingssohn, der sich zum gut bezahlten IT-Wunder hochgearbeitet hat, und die Seconda, die sich als freizügige Escortlady einen schicken Lifestyle finanziert; bis sie stirbt.
Die Unübersichtlichkeit im Kapitalismus
Im unübersichtlichen Gewirr aus anonymen Gängen und Räumen, Treppenhaus und Lift wird Janneke niedergeschlagen und landet mit Schädel-Hirn-Trauma im Spital. Brix versucht, zwei der Computernerds zum Reden zu bringen, die im Innern des Molochs arbeiten. Sein Vorgesetzter dagegen hat kein gesteigertes Interesse an Aufklärung: wieso, bleibt offen.
Überhaupt ist die Unschärfe unserer Wahrnehmung ein gar nicht mal so verstecktes Motiv des Films, der aus körnigen Fotos und Jannekes beeinträchtigtem Kopf eine Menge Material zum Thema Wahrheit generiert. Die Täter bleiben unbekannt, der Turm uneinnehmbar, und die Firmenanwältin (Katja Flint) resümiert trocken: «Man lässt sich nur kurz auf etwas ein, um etwas ganz anderes zu erreichen, und dann kommt man nicht mehr raus. Erst will man nicht mehr raus, dann kann man nicht mehr raus.» Das gilt auch für diesen «Tatort», der eigentlich keinen rechten Plot und keine Dramaturgie hat und von Albtraum bis Horrorhaus Stereotypen nutzt. Henning dreht das Format faszinierend und gewagt auf links.
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