«Da merkte ich: Etwas stimmt nicht»
Admir Mehmedi bleibt auch im Erfolg der Nationalmannschaft selbstkritisch. Trotzdem erwartet er gegen Lettland den achten Sieg in Serie.

Denken Sie schon an die WM in Russland? Nein, nicht oft. Speziell im Sommer hatte ich anderes im Kopf. Meine Situation bei Leverkusen war schwierig: Wie geht es weiter? Ich schaute mich um, falls es nicht passen würde mit dem neuen Trainer.
Gehen Sie davon aus, dass die Schweiz 2018 dabei sein wird? Den zweiten Platz in unserer Gruppe und damit die Barrage haben wir nach dem Sieg gegen Andorra bereits einmal auf sicher.
Wir glaubten, Sie würden überzeugt Ja sagen – nach dem siebten Sieg im siebten Spiel, und weil die Schweiz in der Weltrangliste Platz 4 belegt. Davon lassen wir uns nicht blenden. Das mit der Weltrangliste glaubt ja fast niemand, weil wir an Turnieren noch nicht den ganz grossen Exploit geschafft haben und deshalb in der Wahrnehmung vieler, auch in Deutschland, als kleines Fussballland gelten. Dort wissen sie zwar, dass wir über viel Talent verfügen. Aber die Deutschen sagen nicht: Wow, die Schweizer!
Zu Unrecht? Wir haben in der Vergangenheit mehrmals bewiesen, dass wir gegen grosse Nationen bestehen können. Aber klar ist auch, dass wir von den Einzelspielern her nicht das Land sind, das sich zum Beispiel mit Deutschland oder Frankreich messen kann. Wir sind dafür als Mannschaft gewachsen.
Ist die bisherige Bilanz in der Qualifikation ein bisschen trügerisch, weil auch Siege gegen Andorra, Färöer oder Lettland darunter sind? Bei allem Respekt: Es gibt schwierigere Gegner, das zeigen Statistiken und Rankings, aber andere Nationen spielen auch gegen Teams von diesem Niveau. Und unter den Siegen waren auch die gegen Portugal und in Ungarn. Aber klar: Die Schweiz muss gegen Andorra, die Färöer und Lettland bestehen. Das muss unser Anspruch sein.
Und bestehen heisst nur eines: gewinnen. Ja.
Was zeichnet diese Nationalmannschaft aus? Der ausgeprägte Teamgedanke ist für mich das herausragende Merkmal. Mit dem Generationenwechsel 2011 stiessen viele junge, talentierte Spieler zur Mannschaft, Xhaka, Shaqiri, Rodriguez . . .
. . . Sie . . . . . . ja, und wir sammelten bis heute wertvolle Erfahrungen. Die über 30-Jährigen sind die Säulen. Jetzt kommen die nächsten Talente, die Embolos und Zakarias, die unbekümmert und bestens ausgebildet sind. Das alles passt einfach bestens zusammen.
Welche Rolle spielen Sie? Ich musste mich schon immer durchkämpfen, es hiess nie: Mehmedi ist mit Sicherheit dabei und zählt auch zu den ersten elf. 2014 war das schon so, als ich nach einer hervorragenden Saison mit Freiburg ein Aufgebot für die WM in Brasilien erhielt, aber zunächst nicht zum Stamm gehörte. Vor der EM 2016 dachten die meisten, ich würde in Frankreich überhaupt keine Rolle spielen. Trotzdem brachte ich es wieder hin. Ich mache mir nichts vor: Ich komme bei den einen gut an, bei den anderen weniger. Ich spüre nicht die Haltung: Der Admir muss doch einen Stammplatz haben.
Warum ist das so? Ich weiss es nicht, und es stört mich auch nicht. Es gehört irgendwie zu meiner Karriere, dass mir nie etwas geschenkt wird. Ich erziele zwar regelmässig meine Tore, bin aber nicht der Typ, der Pirouetten dreht und damit das Publikum begeistert. Ich bin nicht der Spektakelspieler. Aber ich glaube, dass meine Trainer die Qualitäten schätzen, die ich mitbringe.
Ist die grösste Ihr Arbeitsethos? Definitiv. Ich versuche alles, was ich habe, im Sinn der Mannschaft zu geben. Dieser Wille, diese Fähigkeit zu kämpfen, das hat mir immer wieder geholfen, schwierige Phasen zu meistern. Das war jetzt im Sommer bei Leverkusen wieder der Fall. Nicht alle haben mir das zugetraut, aber ich habe mich unter dem neuen Trainer Heiko Herrlich durchgebissen und die ersten zwei Partien bestritten. Es wird wohl auch bis zum Ende meiner Karriere so sein, dass ich kämpfen muss.
«Mir fehlte die Bereitschaft, alles für den Fussball zu geben. Dann machte es klick»
Woher kommt diese Bereitschaft zu kämpfen? Es war nicht immer so. Als ich nach einer starken U-21-EM in Dänemark als 20-Jähriger das erste Aufgebot für die Nationalmannschaft erhielt, war das, wie soll ich sagen . . .? Ja, ich fühlte mich als «coole Cheib». Es lief alles, Transfer zu Kiew, ich verdiente gut – es war schon eine Phase, in der ich mir vorkam wie. . .
. . . ein Star? Ja, genau. Bis ich einmal nicht aufgeboten wurde (im Juni 2013 gegen Zypern), da merkte ich: Irgendetwas stimmt nicht.
Was konkret? Die Mentalität, die Bereitschaft, bei allem, was mit dem Fussball zu tun hat, hundert Prozent zu geben. Und dann machte es bei mir klick.
Machte es das einfach so? Oder gab es ein bestimmtes Erlebnis? Ich wechselte damals von Dynamo Kiew zum SC Freiburg und traf da mit Christian Streich auf einen Trainer, der mir erklärte, worum es im Fussball geht. Ich machte bei ihm eine harte Schule durch. Streich war für mich so etwas wie eine Schlüsselfigur in meiner Karriere. Ich ging nach Freiburg und hatte im Hinterkopf eine Haltung wie: Ah, ich komme aus Kiew zu einer kleinen Mannschaft, ich helfe denen ein bisschen, und ich meinte, das gehe relativ leicht.
Regen Sie sich heute über Admir Mehmedi von 2013 auf? Ja, definitiv. Ich bin aber froh, dass Christian Streich mit mir so umgegangen ist.
So einfach dürfte es damals aber nicht gewesen sein, als er Ihnen deutlich aufzeigte, worum es geht. Natürlich nicht. Aber es kommt immer darauf an, wie man eine Botschaft aufnimmt. Ich hätte auch sagen können: Was hat er gegen mich? Ich suche einen anderen Weg, dieser Trainer mag mich nicht. Aber ich spürte schnell: Streich meint es gut mit mir, er will mir helfen – und vielleicht stimmt ja bei mir etwas nicht, mit meiner Einstellung. Seither halte ich es so: Wenn sich die Dinge nicht entwickeln, wie ich mir das vorstelle, hinterfrage ich mich. Was kann ich besser machen, was muss ich anders machen?
Fehlte es Ihnen früher an Selbstkritik? Ab und zu, ja. Ich dachte: Dies und jenes stimmt nicht, der und der ist schuld.
Hat jemand nachgeholfen, diesen Prozess in Gang zu bringen? Ich sprach mit meinem Vater darüber, und er hat mir auch bewusst gemacht, dass ich für mich und meine Leistungen verantwortlich bin. Nicht die Medien, weil sie mich kritisieren, nicht der Trainer, weil er mir einen anderen Spieler vorzieht. Der Vater war immer kritisch mit mir, aber das war auch gut so. Und er ist heute noch selten zufrieden mit mir – er findet immer etwas, das er für verbesserungswürdig hält.
Es sei denn, Sie erzielen ein schönes Tor wie kürzlich gegen Bayern. Nicht unbedingt (lacht). Mein Vater rief mich an und sagte: Es wäre besser gewesen, wenn du die erste Chance verwertet hättest. Ehrlich! Aber mir tut das gut, nur so kann ich auch Fortschritte machen.
Mögen Sie die Schulterklopfer nicht? Bei mir ging es nicht ständig aufwärts, ich machte auch schon schwierige Phasen durch. Da gab es niemanden, der mir auf die Schultern klopfte. Und kaum schiesse ich ein Tor wie zum Saisonstart gegen die Bayern, dann melden sie sich wieder, da kamen gefühlte hundert SMS rein. Ich kann das alles gut einschätzen.
«Ich sah ein graues Haar und sagte zu meiner Frau: ‹Schatz, ich werde alt!›»
Wäre ein vorzeitiger Weggang auch so etwas wie eine persönliche Niederlage für Sie gewesen? Das kann man schon so sagen. Ich habe ja auch meinen Stolz. Wenn ich einen Club verlasse, will ich Spuren hinterlassen. Davonrennen ist nicht mein Ding.
Ausser in Kiew. Ja. Es war eine Erfahrung fürs Leben, aber ich merkte: Ich war als Fussballer irgendwie weg vom Fenster. Wer redete noch von mir? Es kam mir vor, als würden viele denken, ich würde gar nicht mehr Fussball spielen. Darum entschloss ich mich, vorzeitig zu gehen. Das gibt es halt auch: Manchmal passt es einfach nicht mehr.
Sie fühlen sich in Leverkusen wieder wohl, im Nationalteam ebenfalls. Was hat das bei der Schweiz mit Coach Vladimir Petkovic zu tun? Viel. Er schenkt mir Vertrauen, gibt mir viel Spielzeit. Ich finde, dass ich unter ihm torgefährlicher geworden bin, ich suche vermehrt den direkten Abschluss. Ich verstehe mich gut mit ihm. Er lässt die Spieler auch nicht so schnell fallen. Wenn einer im Club Probleme hat, verzichtet Petkovic nicht gleich auf ihn.
Valon Behrami sagte vor einem Jahr, dass sich Petkovic den Spielern gegenüber geöffnet habe. Teilen Sie diese Meinung? Absolut.
Wie hat sich dieses Öffnen gezeigt? Der Trainer hat den Spielern mehr Freiheiten gegeben. Am Anfang war er in der Kommunikation mit uns zurückhaltender, er führte weniger Einzelgespräche. Er schaute aus der Distanz zu, was vor sich ging. Jetzt möchte ich nicht gerade von einem Vater-Sohn-Verhältnis sprechen. Aber er pflegt doch eine engere Beziehung zu uns. Trainer und Spieler sind näher zusammengerückt.
Welche Reaktionen hat die Vertragsverlängerung mit Petkovic innerhalb des Teams ausgelöst? Die Überraschung hält sich in Grenzen. Ich sehe es als Anerkennung und Zeichen des Vertrauens des Verbandes für ihn, und das während einer Qualifikation. Er hat eine Mannschaft geformt, an der mittlerweile jeder Zuschauer Freude hat.
Haben Sie in der Nationalmannschaft lauter Kollegen um sich? Ja, das kann ich schon so sagen. Und ich glaube, es freut sich jeder, hier zu sein und Spieler zu sehen, die Kollegen geworden sind. Diese Abwechslung tut auch jedem gut. Nicht, dass wir durchatmen können, aber es ist doch eine willkommene Luftveränderung.
Gibt es keine Grüppchen mehr? Nicht, dass ich wüsste. Ich habe sowieso mit keinem Probleme.
Sind die Chefs immer noch vor allem Lichtsteiner und Behrami? Die Älteren sind es, Lichtsteiner, Behrami, Dzemaili, Djourou, Fernandes, die sind ja alle schon seit Jahren dabei.
Sie sind auch kein Neuling mehr, obwohl Sie erst 26 Jahre alt sind. 26 . . . Es geht Richtung 30.
Haben Sie schon graue Haare? Allerdings! Kürzlich entdeckte ich eines. Ich riss es aus, legte es in eine Serviette und gab sie meiner Frau. Sie dachte: Oh, was ist da drin, was schenkt er mir? Dann zeigte ich ihr, was ich hatte, und sagte: «Schatz, ich werde alt!» (lacht laut)
Im Mai sind Sie erstmals Vater geworden. Hat Sie die Geburt Ihres Sohnes verändert? Ich war bis dahin schon ein sehr ruhiger Mensch, aber seit unser Sohn auf der Welt ist, bin ich noch ruhiger.
Das ist fast nicht möglich. Doch, doch. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich manche freie Stunde mit Kollegen statt mit Frau und Kind verbrachte. Man sieht vieles anders. Wenn ich früher Männer einen Kinderwagen schieben sah, konnte ich mir kaum vorstellen, das auch einmal zu tun. Und was mache ich heute? Genau das. Oder wenn ich früher nach einer Niederlage nach Hause kam, war ich fix und fertig. Ich beschäftigte mich mit Fragen wie: Was passiert jetzt? Was macht der Trainer? Trifft es mich? Jetzt komme ich nach Hause, schaue, ob es dem Bub gut geht, und wenn es ihm gut geht, geht es auch mir bald wieder gut. Eine Niederlage ist nicht mehr wie ein Weltuntergang.
Wäre das auch eine Niederlage in Lettland nicht? Über so etwas will ich gar nicht sprechen, sondern all meine Energie darin investieren, dass wir auch in Riga unserer Favoritenrolle gerecht werden.
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