Damit hat Viktor Orban nicht gerechnet
Ein Medienmogul macht dem Premier die Wiederwahl streitig. Und das mit gravierenden Korruptionsvorwürfen.

Die bittersten Feindschaften wurzeln oft in alter Freundschaft. Was für Schlachten da geschlagen werden, lässt sich gerade im ungarischen Wahlkampf in schier endloser Fortsetzung beobachten. Vor der Parlamentswahl am nächsten Sonntag ist Viktor Orban dort ein Gegner erwachsen, der auf keinem Wahlzettel steht, aber seinen sicher geglaubten Triumph bedrohen könnte. Lajos Simicska heisst Orbans Nemesis, und der frühere Gefährte bringt den durchgehend seit 2010 regierenden Premierminister mit einer Kaskade von Korruptionsvorwürfen in Bedrängnis.
Simicska ist ein einflussreicher Mann, der seine Macht immer noch über ein Medienimperium ausspielen kann. Seine Tageszeitung «Magyar Nemzet» («Die ungarische Nation») bombardiert, unterstützt von seinem Fernsehsender Hir-TV und der Radiostation Lanchid, die Wähler mit Berichten über Machtmissbrauch und Nepotismus in Orbans Reich. Da geht es um Jagdausflüge eines hohen Regierungsmitglieds auf Kosten eines Geschäftsmanns, um einen Abgeordneten der regierenden Fidesz-Partei, der Direktor einer Offshorefirma sein soll, sowie um ein angeblich vom FBI aufgedecktes Geldwäsche-Geflecht, mit dem aus Budapester Regierungskreisen heraus EU-Gelder in Höhe von drei bis vier Milliarden Euro ausser Landes geschafft worden sein sollen.
All das sorgt für Aufregung, doch die grössten Wellen schlägt eine Affäre, deren Spuren direkt zu Orbans Familie führen. Es geht um eine Firma namens Elios, an der früher Orbans Schwiegersohn Istvan Tiborcz beteiligt war. Sie soll von 2009 bis 2014 regelwidrig Dutzende Aufträge für die von der EU geförderte Erneuerung der Strassenbeleuchtung in ungarischen Gemeinden zugeschustert bekommen haben. Die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf spricht Medienberichten zufolge von «einem organisierten Betrugsmuster» und empfiehlt der EU-Kommission die Rückforderung von mehr als 40 Millionen Euro.
Obwohl die Elios-Affäre schon seit längerer Zeit bekannt ist, entwickelt sie nun zusammen mit den anderen Vorwürfen reichlich Sprengkraft. Vor den Wählern ausgebreitet wird das Bild eines Landes, in dem sich eine kleine Clique rund um den Regierungschef schamlos bereichert. Zu den wundersamen Aufsteigern aus dem Dunstkreis der Macht zählt zudem noch Lörinc Meszoros, den man den «Strohmann» nennt. Er ist Bürgermeister von Orbans Heimatgemeinde Felcsut und darf als talentiertester Klempner des Landes gelten. Mit einem Bündel von Unternehmen ist er in den vergangenen Jahren zu einem der reichsten Männer Ungarns aufgestiegen.
Einst das Zimmer geteilt
Es ist ein Netz von Günstlingen, das unter Orban das Land überzieht – und wenn Lajos Simicska nun dagegen ankämpft, dann rührt seine Glaubwürdigkeit daher, dass er selbst einst die Spinne in diesem Netz war. Orban und er sind Schulfreunde, im Studium teilten sie das Zimmer, und als sie gemeinsam mit ein paar Mitstreitern 1988 Fidesz, den «Bund der Jungen Demokraten», aus der Taufe hoben, da nahm jeder der beiden die für ihn passende Rolle ein: Orban vorn an der Rampe, als Menschen- und Stimmenfänger, und Simicska im Hintergrund als graue Eminenz, die sich um die Finanzen der Fidesz-Partei und auch um seine eigenen kümmerte.
Als Baulöwe griff er staatliche Aufträge ab, als Medienmagnat sorgte er dafür, dass kritische Stimmen verstummten und Orban nach dem Machtverlust 2002 im Jahr 2010 ein Comeback gelang. Zum Bruch kam es nach der Wahl 2014, weil Simicska für Orbans Geschmack zu mächtig geworden war. Der Streit eskalierte schliesslich auf offener Bühne: Simicska beschimpfte Orban als «Wichser», warf ihm vor, eine Diktatur zu errichten, und drohte mit einem «totalen Medienkrieg».
Voll entbrannt ist der nun vor der Wahl am 8. April. Simicskas Medien unterstützen Orbans mutmasslich stärkste Konkurrenten von der Jobbik-Partei, die sich nach rechtsradikalen Anfängen nun moderater gibt. Der Jobbik-Slogan im Wahlkampf lautet: «Ihr arbeitet, sie stehlen.» Orbans Gegenwehr wird über die staatlich kontrollierten Medien als gross angelegte Ablenkungskampagne inszeniert. Statt auf die Korruptionsvorwürfe einzugehen, schürt er die Angst vor fremden Mächten wie dem Finanzinvestor George Soros, die Ungarn mithilfe einer Flüchtlingsflut in den Untergang treiben wollten.
Inzwischen dürfte es Orban dämmern, dass er bei einer Wahlniederlage nicht nur die Macht verlieren würde, sondern dass er am Ende sogar im Gefängnis landen könnte.
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