«...dann braucht es die Frauenquote eben doch»
Zwei Schweizer Studierende diskutieren über Emotionales – wie die Gleichstellung von Mann und Frau.

Es ist die Geste ganz am Schluss, die die eineinhalb Stunden davor so treffend zusammenfasst. Thomas Baumann zieht eine Flasche Wein aus seinem Rucksack und überreicht sie Valentina Achermann. Rosé aus dem Wallis, auf der Etikette eine stolze Eringer Kuh, «die gibt es bloss mit Hörnern», sagt Baumann. Natürlich ein Rosé, sagt er auch, weil es eben nicht nur Rot und Weiss gibt. Valentina Achermann und Thomas Baumann, das sind Klischees, die aufeinander treffen und sich am Sonntag im Progr in Bern gegenübersitzen.
Achermann ist 23, kommt ursprünglich aus Nidwalden, studiert im fünften Jahr Psychologie in Bern. Sie ist Mitglied der SP, Mitglied der Operation Libero, Mitglied der Gruppe Schweiz ohne Armee, dazu im Vorstand der StudentInnenschaft. Eine zierliche junge Frau mit langem braunem Haar und schwarzer Kleidung. Alles passt.
Baumann ist 24, kommt ursprünglich aus dem Aargau, aus einer SVP-nahen Arbeitgeber-Familie, wie er sagt, ein blonder, gross gewachsener Mann, militärgrüne Jacke, Jeans. Er studiert im vierten Jahr Veterinärmedizin in Bern, eine kleine goldene Kuh ziert das linke Ohrläppli. Alles passt.
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Video – Wenn Fremde über Politik reden
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Natürlich ist das oberflächlich, natürlich wird das weder der einen noch dem anderen gerecht. Aber so ist das nun mal bei dieser Übungsanlage: Der Computer «matcht» zwei zusammen, die bei vielen Fragen anders denken.
Soll die Schweiz mehr Flüchtlinge aufnehmen? Achermann:Ja. Baumann:Nein.
Soll sich die Schweiz der EU annähern? Achermann:Ja. Baumann: Nein.
Et cetera. Dass es nicht ganz so einfach ist, zeigt Frage Nummer 4:
Sollten homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen?Achermann:Ja. Baumann:Ja.
Und so ist dieses Gespräch, das die beiden führen, ein Lehrstück dafür, wie Verständnis geht. Dafür, dass Ja gegenüber Nein nicht immer heisst, dass sich die beiden nicht verstehen. Und es heisst auch nicht, dass sie sich nicht einig werden können. Es zeigt eigentlich nur: Man muss zusammensitzen und reden, man muss fragen und zuhören, man muss erklären und ausführen, damit es funktioniert.
Braucht es eine Frauenquote in den Chefetagen grosser UnternehmenAchermann:Ja. Baumann:Nein.
Achermann:Du lehnst eine Frauenquote ab. Weshalb? Baumann:Ich bin für Gleichberechtigung über alles, keine Frage. Muss ich ja auch: Über 80 Prozent der Studierenden in der Veterinärmedizin sind Frauen (lacht). Aber Frauen brauchen eine Quote nicht, die haben bessere Argumente. So eine Quote hat etwas Geringschätzendes an sich.
Man darf das Gespräch der beiden auch als Appell deuten, wie in diesem Land nach Lösungen gesucht werden soll; beide würden diesen Appell unterschreiben.
Achermann:In einer perfekten Welt braucht es diese nicht, da bin ich mit dir einig. Aber wir leben nicht in einer perfekten Welt: Wenn ich sehe, wie es heute läuft, dann braucht es die Quote eben doch. Nehmen wir das Beispiel Veterinärmedizin stellvertretend für den Wissenschaftsbetrieb: Da studieren über 80 Prozent Frauen, bei den Dozierenden liegt der Frauenanteil aber bei lediglich 20 Prozent. Baumann:Aus meiner Sicht ist es besser, die Strukturen zu ändern, statt auf eine Quote zu pochen. Anreize zu schaffen, damit Frauen Karriere machen können. Jobsharing wäre eine solche Massnahme, die die Vereinbarkeit von Karriere und Familie fördern würde. Achermann:Eine Quote ist in meinem Augen der Weg, um strukturelle Hürden zu überwinden. Es sind männlich geprägte Systeme, die so aufgebrochen werden. Irgendwann, hoffentlich, ist dann die Quote überflüssig.
Die Diskussion um die Quote führt über den Vaterschaftsurlaub – «da sind wir uns einig» – zur bevorstehenden Bundesratswahl.
Achermann:Ich bin für die Geschlechterkonkordanz. Daneben, dass eine Kandidatin, ein Kandidat kompetent sein muss, gelten allerhand Kriterien wie die Region oder die Partei. Weshalb sollte nicht auch das Geschlecht ein Kriterium sein? Baumann:Es ist ein Armutszeugnis, dass man das diskutieren muss.
Man darf das Gespräch der beiden auch als Appell deuten, wie in diesem Land nach Lösungen gesucht werden soll; beide würden diesen Appell unterschreiben. Denn so weit diese beiden Klischees auseinanderliegen, so weit liegen die Ansichten von Valentina Achermann und Thomas Baumann nicht auseinander. «Da bin ich mit dir einig», ist etwas, was man zwischen den beiden immer wieder hört, währenddessen sie eine Frage nach der anderen abarbeiten (zum Beispiel, wenn es um Kühe mit Hörnern geht). Und wenn sie sich nicht einig sind, nicht einig werden, dann können sie doch verstehen, weshalb der andere, weshalb die andere so denkt, wie er denkt, so denkt, wie sie denkt. Auch das verbindet.
Baumann:Wir sollten der Demokratie Sorge tragen. Wir sollten diskutieren, wie wir beide hier am Tisch. Das ist unser grösstes Gut. Achermann: Wir haben ähnliche Werte und Ziele. Wir verfolgen einfach andere Wege, um dorthin zu kommen.

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Video – «Verständnis für die Ansichten des anderen»
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