Darf man Erkältete meiden?
Die Antwort auf eine Frage zum Leben mit menschlichen Virenschleudern.

Jetzt beginnt wieder die Zeit der Einladungen – und leider auch die von Grippe und Erkältung. Letztes Jahr um diese Zeit sassen wir neben einer heiseren, stark hustenden Person am Tisch. Es gab keine Möglichkeit, den Platz zu wechseln. Wir sind beide über 70 und sehr ansteckungsanfällig. Prompt landeten wir einige Tage später krank im Bett. Gibt es in einem solchen Fall nur das Ausharren in der Hoffnung, nicht angesteckt zu werden, oder die Ausrede einer plötzlichen Unpässlichkeit und die Rückkehr nach Hause? H. und M.L.
Liebe Frau L. und lieber Herr L.,
niedergestreckt von einer unangenehmen Virusinfektion, antworte ich aus der Horizontalen. (Wieso gibt es nur Bürostühle, aber keine Bürobetten? Der Arbeitsmoral wären diese unbedingt zuträglich!) Ich stecke sozusagen voll im Thema drin.
Ermattet und entkräftet muss man in einem solchen Moment selbst mit robuster Konstitution erkennen: Es lässt sich schlicht nicht verhindern, dass man gerade im Winter mit Menschen in Kontakt kommt, die pfnüseln und krächzen und trompeten und dabei grossflächig diese winzigen Partikel verteilen, vor denen es einen grundsätzlich graust, die einen aber zusätzlich anstecken mit Zeug, das man nicht haben will. Dagegen lässt sich nichts ausrichten, und die Betroffenen können ja auch nichts dafür. Und wegen einer laufenden Nase, erhöhter Temperatur und ein bisschen Husten bleibt man nicht gleich daheim, da käme man sich vor wie ein Simulant.
Sie dürfen sich mit Fug und Recht in Sicherheit bringen, und vermutlich ist es auch klug.
Ein gewisses Entgegenkommen ist dennoch angebracht, und zwar in Form von diesem in dieser unserer kleinen Rubrik überaus beliebten Begriff namens Rücksicht. Wenn man eine akustische Zumutung ist – dauerndes Hochziehen der Nase und permanentes Husten können bei engen Platzverhältnissen wahnsinnig aggressiv machen, bei allem Verständnis, und bei einem Essen ist es zudem unappetitlich – oder, und das ist dann nichts weniger als eine Frage der Solidarität, erst recht älteren Mitmenschen gegenüber, um sein Ansteckungspotenzial weiss, bleibt man gewissen Anlässen oder dem Büro fern.
Demonstratives Märtyrertum ist nicht tapfer. Sondern unfein. Vor so jemandem dürfen Sie sich mit Fug und Recht in Sicherheit bringen, und vermutlich ist es auch klug. Wobei Sie sich womöglich um einen grandiosen Abend bringen, weil die Bazillen gar nicht weit genug gehüpft wären und Sie dafür auf Ihrer Flucht im Tram von der Person vis-à-vis angeniest werden – und schon ist der Mist geführt.
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