Darum kommt es im Frühling zu mehr Felsstürzen
Geologe Ueli Gruner erklärt, wieso von den Bergen zurzeit erhöhte Gefahr ausgeht.
Im italienischen Valle Vigezzo, das Domodossola mit dem Tessin verbindet, ist es am Sonntag zu einem Felssturz gekommen. Kennen Sie das betreffende Gebiet?
Ich war schon unterwegs in der Region, habe sie aber nie geologisch untersucht. Wie es dort um die Risikokultur steht, weiss ich nicht. In der Schweiz ist diese mittlerweile vorbildlich. Aufgrund von Bildern lässt sich vermuten, dass im Valle Vigezzo ein paar Schutznetze nicht ausgereicht hätten, um die Strasse zu schützen.
Zwischen St. Niklaus und Täsch im Wallis donnerte kürzlich ein 3000 Tonnen schwerer Felsbrocken fast aufs Gleis der Matterhorn-Gotthard-Bahn, zwischen Weggis und Vitznau im Kanton Luzern rollte ein Felsen von der Grösse eines Kleinwagens auf die Kantonsstrasse. Haben diese Ereignisse einen gemeinsamen Nenner?
Statistisch gesehen, kommt es im Frühling am häufigsten zu Felsstürzen. Der Wechsel von Frost und Tau schwächt die Felsmassen. Bei Kälte zieht sich der Fels zusammen, bei Wärme dehnt er sich aus. Wasser kann so durch Spalten eindringen, dort gefrieren und Druck auf das Gestein ausüben. Ein sehr kalter Winter kann dem Fels zusätzlich zusetzen, doch war es diesen Winter teilweise recht warm.
Wie lange hält diese Situation nun an?
Wenn die Meteorologen nicht mehr als Zehntagesprognosen machen können, so kann dies auch den Geologen nicht gelingen. Tendenziell ist die Situation im Sommer im Mittelland und in den Voralpen eher stabil. Einzelne Ereignisse wie letztes Jahr am Gelmersee sind aber trotzdem möglich. Nachdem es geregnet hatte, gefror dort der Untergrund, wodurch sich rund 150 Kubikmeter Fels lösten. Auch im Hochsommer kann es in den Alpen zu solchen Temperaturwechseln kommen. In den Hochalpen ist zudem der auftauende Permafrost ein Problem, was aber eher Berggänger betrifft als Verkehrswege.
In diesem Winter fiel aussergewöhnlich viel Schnee. Hat dies einen Einfluss auf den Permafrost?
Das ist schwer zu sagen. Der Schnee deckt die Felsen zwar teilweise zu, doch dürfte vor allem der Zeitpunkt der Ausaperung beziehungsweise die Länge eines warmen Sommers für das Auftauen des Permafrosts ausschlaggebend sein.
Was lässt sich tun, um Unglücke wie jenes im Valle Vigezzo zu verhindern?
Da nicht überall Tunnel gebaut werden können und Schutznetze oft nicht ausreichen, werden immer mehr Abschnitte entlang von Verkehrswegen systematisch überwacht. Mit Hand-, Laser- oder Radarmessungen lassen sich bekannte Hotspots im Auge behalten. In Norwegen wird bereits sehr oft auf grossflächige Radarüberwachungen gesetzt, was aber sehr teuer kommt. Stellt man Bewegungen fest, so kann man präventiv handeln und etwa eine Sprengung oder eine Vernagelung veranlassen.
Das Gebiet zwischen Weggis und Vitznau wird überwacht, trotzdem aber kam es zum Felssturz. Wie viel Sicherheit kann eine Überwachung bieten?
An einer Kantonsstrasse oder einer Eisenbahnstrecke entlang ist keine hundertprozentige Überwachung möglich. Auch sind nicht alle Veränderungen von aussen erkennbar. Wenn Wurzeln in einen Felsblock eindringen, sieht man das nur schlecht. Vieles lässt sich aber verhindern. Bei Bellinzona konnten wir dank frühzeitiger Erkennung einer Bewegung im Fels eine Sprengung vornehmen und einen teuren Unterbruch der SBB-Linie verhindern.
Was ist zu tun, wenn es trotzdem zu einem Felssturz kommt?
Als Erstes muss man schauen, ob noch mehr herunterkommt. Von einem sauberen Abbruch bis zu komplizierten Situationen ist alles möglich. Manchmal muss die Felswand heruntergeputzt werden, manchmal müssen Schutzvorrichtungen oder Überwachungsinstrumente installiert werden. Es darf nicht sein, dass zweimal am selben Ort etwas herunterkommt.
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