«Das Anliegen ist schön verpackt. Aber es geht nur um Macht»
Erstmals war die Sitzung einer Kommission des Kantonsrats öffentlich. Es ging heftig zur Sache.
Winterthur, 11 Uhr, 29 Grad Celsius. Ein etwas verlorenes Grüppli schreibt in der riesigen früheren Sulzer-Giessereihalle Zürcher Parlamentsgeschichte. Zum ersten Mal darf Publikum einer Kommissionssitzung beiwohnen. Auf den zum 100-Jahr-Proporz-Jubiläum errichteten Tribünen für 500 Zuschauer nehmen unter anderen zwei Schulklassen Platz. Jean-Philippe Pinto (CVP), Präsident der 15-köpfigen Kommission, sagt «Bitte nehmt Platz» und stellt verdutzt fest, dass alle schon sitzen und ihm zuhören. «Wäre das doch jeden Freitag so», seufzt er.
Diese Sitzungen sind sonst geheim. Hier sollen alle frisch von der Leber reden und «dumme» Fragen stellen können, ohne sich zu blamieren. In der Kommission werden die politischen Geschäfte aber mehr als nur vorgespurt. Deren Entscheide werden im Plenum fast nie gekippt. In der (öffentlichen) Parlamentsdebatte, das gibt man hinter vorgehaltener Hand gerne zu, spricht man vor allem für die Galerie.
Die Kommission hat sich gestern ein zum Anlass passendes Thema ausgesucht. Claudio Schmid (SVP) will bei den Wahlen ein 3-Prozent-Quorum einführen: Erzielt eine Partei kantonsweit weniger Wähleranteil, kommt sie nicht ins Parlament. So wären letztmals die AL, EDU und BDP ganz rausgefallen – und die SVP hätte 6 Sitze mehr erzielt.
«Es geht dir nur um die Macht»
Zunächst stellt Silvia Rigoni (Grüne) den Antrag, Hochdeutsch zu sprechen. Pinto votiert für Mundart («wie immer») und lässt abstimmen: 10:5 für Schweizerdeutsch. Dann gehts zur Sache. Schmid warnt vor «unberechenbaren Splitterparteien» und argumentiert mit der Effizienz.
Störend sei auch, wenn sich eine Partei nur auf einen Wahlkreis konzentriere, um in den Rat zu kommen – heute reiche dafür ein 5-Prozent-Anteil in einem der 18 Kreise. Gleichzeitig bleibe eine Partei, welche überall 4 Prozent erziele, draussen, kritisiert Schmid und nennt ein Beispiel: Die Schweizer Demokraten (SD) haben bei der Zürcher Gemeinderatswahl 2006 ganz auf einen Wahlkreis gesetzt – mit Erfolg. Sie zogen zu dritt ins Parlament, während die Grünliberalen trotz höherem Wähleranteil leer ausgingen.
Vom heutigen GLP-Vertreter Jörg Mäder muss sich Schmid allerdings das anhören: «Claudio, du hast dein Anliegen wunderschön verpackt. Aber es geht dir nur um die Macht.» Mäder spricht sich gegen jegliche Zugangsschranken aus und kündigt gleich einen entsprechenden Vorstoss an.
Gespannt wartete man auf die Meinungsäusserung der drei Sozialdemokratinnen in der Kommission. Denn die SP hatte kürzlich in Zürich gegen die Abschaffung der 5-Prozent-Hürde gekämpft. Die kantonalen Genossinnen scheinen offener, obwohl auch die SP vom schmidschen Quorum profitieren würde. Renate Büchi kann sich gar eine Wahl ohne jegliches Quorum vorstellen. Céline Widmer (SP) findet die 3 Prozent zu hoch, verschliesst sich einem Quorum aber nicht grundsätzlich. Kurz: Ja zu Klein-, Nein zu Kleinstparteien.
Bei den kleinen Parteien ist der Fall klarer: «Claudio Schmid will uns abschaffen», sagt Walter Meier, dessen EVP stets quorumsgefährdet ist. Sonja Gehrig (GLP) spricht vom «Machtgetue der grossen bürgerlichen Parteien», Pinto von der «Arroganz der Macht», und Regula Kaeser (Grüne) lobt die Kompetenz der AL-Vertreter.
Dagegen halten die SVP-Vertreter und Martin Farner (FDP), der sagt, weniger Parteien im Rat bedeuteten ein grösseres Tempo und weniger Kosten. Die ebenfalls anwesende Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) hört zu, gibt kurze Statements ab und lässt einen Statistiker aufzeigen, dass im jetzigen Wahlsystem 99,3 Prozent der Stimmen zu einem Sitz führen, während mit einem 3-Prozent-Quorum 9 Prozent der Stimmen für den Papierkübel wären.
Zur Enttäuschung des Publikums gibts dann aber keine Abstimmung, sondern nur die Bitte Pintos an die Kommissionsmitglieder, ihre Parteien zu konsultieren. «Nach den Sommerferien gehts weiter», kündigt der Präsident an. Seine Bilanz nach dieser knapp zweistündigen Sitzung: «Es war weniger aggressiv, dafür disziplinierter als üblich.»
Kantonsrat in der «Fremde»
Am Nachmittag tagte das Plenum in der Halle – erstmals ausserhalb Zürichs (und nur zu Winterthurer Themen). Der Rat machte Druck für eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach der neuen Kantonsschule Büelrain und sprach sich für eine Erschliessung von Winterthurs neuem Zentrum Neuhegi-Grüze aus. Dabei stritt er zwei Stunden lang darüber, ob für eine Brücke auch eine Variante im Richtplan festgehalten werden soll – das Resultat: Ja. Um 17 Uhr, bei 35,8 Grad, war Schluss.
Wer weiss, vielleicht verschlägts den Kantonsrat 2030 ins Zürcher Oberland – zum 200-Jahr-Jubiläum des Ustertags.
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