Das Bankgeheimnis wird weiter aufgeweicht?
Die OECD ist mit der Amtshilfe der Schweiz in Steuerfragen immer noch nicht zufrieden. Nun lockert der Bundesrat die Voraussetzungen für den Austausch von Informationen. FDP, CVP und SVP sind empört.
Der Bundesrat reagiert auf OECD-Kritik, wonach die Schweiz die Amtshilferegeln in Steuersachen zu restriktiv auslegt: Er will die Voraussetzungen zur Gewährung der Amtshilfe lockern, wie Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf bekanntgab. Definitiv entscheiden muss das Parlament.
Im März 2009 hatte der Bundesrat auf Druck aus dem Ausland beschlossen, das Bankgeheimnis aufzuweichen und die Amtshilfe in Steuersachen auf Fälle von Steuerhinterziehung auszudehnen.
Der Bundesrat versprach damals der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), fortan deren Regeln für Steuer-Amtshilfe anzuwenden. Im Gegenzug zum Abschluss von zwölf Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit dem OECD-Standard wurde die Schweiz von einer schwarzen Liste der Steuerparadiese gestrichen.
OECD-Regeln zu restriktiv gedeutet
Bei der Übernahme des Standards gingen Bundesrat und Verwaltung davon aus, dass die Schweiz nur Amtshilfe gewähren muss, wenn der nachfragende Staat Namen und Adresse der verdächtigten Person und den Namen der Bank nennt, auf welcher diese Person das Geld deponiert hat.
Diese Interpretation erweist sich nun als ungenügend. Die mit der Überprüfung der Schweizer Versprechen betrauten Experten des Global Forum über «Transparenz und Informationsaustausch in Steuerfragen» haben die Schweiz darauf hingewiesen, dass diese Deutung der OECD- Regeln zu restriktiv ist, wie Bundesrätin Widmer-Schlumpf vor den Medien sagte.
Nach Ansicht der ausländischen Experten muss die Schweiz auch andere Mittel zur Identifikation mutmasslicher Steuersünder zulassen. So sollen in gewissen Situationen etwa auch IBAN-Nummern reichen, damit die Schweiz Amtshilfe gewährt. Etwa dann, wenn der anfragende Staat im Rahmen einer Ermittlung auf diese Nummern stiess.
«Fishing-Expedition» ausgeschlossen
Nach wie vor ausgeschlossen bleiben sollen «Fishing-Expeditions», bei denen Staaten ins Blaue hinaus Anträge auf Steuer-Amtshilfe stellen. Die blosse Bankkontonummer soll deshalb in der Regel auch in Zukunft nicht reichen, um in der Schweiz Amtshilfe zu erhalten.
Von einer «erneuten Aufweichung» des Bankgeheimnis wollte Widmer- Schlumpf deshalb nicht sprechen. Es brauche auch in Zukunft eine eindeutige Identifizierung des Kontoinhabers und der Bank, betonte sie.
Widmer-Schlumpf wies zudem darauf hin, dass sie nicht davon ausgeht, dass die Zahl der Amtshilfegesuche wegen der neuen Interpretation zunehmen wird. Heute würden laut Schätzungen in 95 Prozent der Fälle die Namen genannt.
Drohung im Nacken
Die Neuinterpretation nicht vorzunehmen, war für den Bundesrat kein gangbarer Weg. Die Schweiz wäre Gefahr gelaufen, erneut auf einer schwarzen Liste zu landen. Laut Widmer-Schlumpf wäre auch mit Retorsionsmassnahmen zu rechnen, wenn die Schweiz die Forderung der OECD nicht erfüllt.
Die rechtliche Umsetzung des vom Bundesrat vorgeschlagenen Wegs ist einigermassen kompliziert. Dies rührt unter anderem daher, dass die 24 bislang unterzeichneten DBA in der Frage der Amtshilfe- Voraussetzungen unterschiedlich ausgestaltet sind und teilweise bereits der neuen Interpretation entsprechen.
Komplizierter Weg
Der Bundesrat schlägt nun als erstes vor, bis Ende Februar dem Global Forum eine Erklärung über das neue Verständnis der Amtshilfe- Regeln abzugeben. Diese Erklärungen will der Bundesrat später auch gegenüber den einzelnen DBA-Vertragspartnern wiederholen.
Für die tatsächliche Lockerung der Regeln braucht es aber grünes Licht durch das Parlament. So will der Bundesrat den Räten drei referendumsfähige Bundesbeschlüsse vorlegen, in denen die Neuinterpretation verankert wird.
Der erste betrifft zehn DBA, über deren Ratifizierung der Nationalrat eigentlich in der Frühjahrssession befinden wollte. Da die zuständige Wirtschaftskommission die neue Ausgangslage genau prüfen will, wird das Geschäft nun erst in der Sondersession vom April behandelt statt wie vom Bundesrat gewünscht Anfang März.
In einem weiteren Bundesbeschluss wird das neue Verständnis auf die DBA mit den USA und Südkorea ausgedehnt. Und in einem dritten Bundesbeschluss wird die Interpretation für alle bereits in Kraft getretenen DBA verankert.
Der zu erwartende Widerstand im Parlament macht Widmer-Schlumpf Sorgen: «Ich hoffe wirklich, dass das nicht auch noch zu einem Wahlkampfthema wird», sagte sie.
Das gewählte Vorgehen ist nach ihrer Ansicht keine Garantie, dass die Schweiz nicht doch wieder auf eine Liste gerät. Sie gehe aber davon aus, dass man anerkenne, dass die Schweiz gewillt sei, den OECD-Standard auch wirklich umzusetzen.
Reaktionen:
Bürgerliche sind empört
Die vom Bundesrat vorgeschlagene Lockerung der Voraussetzungen zur Amtshilfe stösst bei den bürgerlichen Parteien auf harsche Kritik: Die FDP geisselt den Vorschlag als «Nacht-und-Nebel-Aktion». Die SVP spricht von einer «Salamitaktik zur Schwächung des Finanzplatzes Schweiz».
Die SVP fürchtet um die Privatsphäre der Bankkunden, wie die Partei mitteilt. Sie lehne eine erneute Anpassung und Uminterpretation der Doppelbesteuerungsabkommen dezidiert ab. Die SVP hofft nun aufs Parlament: Dieses müsse das «Einknicken des Bundesrats» korrigieren und die Forderungen ablehnen.
«Gefährliche Überreaktion»
«Allfällige Drohgebärden aus dem Ausland» fürchtet die SVP nach eigenen Angaben nicht. Diese seien entschieden zurückzuweisen, forderte sie.
Auch der FDP stösst der «verfrühte und unnötige Druck von einem OECD-Gremium auf die Schweiz» sauer auf. Nicht weniger bedenklich sei allerdings die «Gefährliche Überreaktion» von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, heisst es im Communiqué der FDP.
Bei einem begründeten Amtshilfegesuch einer ausländischen Behörde will die FDP weiterhin Kundenname sowie die konkrete Identifizierung der Bank vorlegen. Technische Fragen bezüglich der Auslegung des OECD-Musterabkommens müssten aber auf technischer Ebene gelöst werden, forderte die Partei. Die FDP will diese Fragen im März behandeln - in aller «Ruhe», wie sie betonte.
Automatischen Informationsaustausch verhindern
Ins gleiche Horn bläst die CVP: «Die CVP wird auf keinen Fall zustimmen, dass die OECD durch die Hintertür den automatischen Informationsaustausch einführt», sagte CVP-Finanzfachmann und Nationalrat Pirmin Bischof (SO) der SDA.
Den Vorschlag Widmer-Schlumpfs, die Voraussetzungen für Amtshilfe auf die Identifikation über ein Bankkonto auszuweiten, lehne die CVP vehement ab. «Es geht nicht an, dass die Schweiz künftig listenweise Kontonummern erhält und den OECD-Staaten aufgrund dieser Angaben Amtshilfe leisten muss», hielt Bischof fest.
Linke unterstützen gelockerte Regeln
Bei SP und Grünen rennt der Bundesrat mit den neuen Vorschlägen zur Amtshilfepraxis offene Türen ein. Die SP kritisiert aber, dass die Landesregierung nicht von Anfang an für eine international akzeptierte Amtshilfepraxis sorgte.
«Mir ist unerklärlich, wie es dazu kommen konnte», sagte SP-Nationalrätin und Finanzspezialistin Susanne Leutenegger Oberholzer auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA. Es sei bedauerlich, dass es immer mehrere Anläufe brauche. «Das hätte verhindert werden können.» Die Schweiz müsse endlich mit den schädlichen Rückzugsgefechten aufhören. Leutenegger Oberholzer erinnert daran, dass die Schweiz sich verpflichtet habe, den OECD-Standard zu übernehmen. Dies bedeute, den Standard so zu übernehmen, wie er von der OECD gedacht sei. «Fishing Expeditions» - Ermittlungen ins Blaue hinaus - seien damit nicht gemeint.
Weiter erinnert die SP-Nationalrätin daran, dass bei der Amtshilfe an die USA in Sachen UBS bereits das gegolten habe, was der Bundesrat nun einführen wolle. Die UBS-Kunden seien nicht ausschliesslich mit Namen identifiziert worden.
SDA/bru
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch