Das bietet die «Republik»
Das lange und laut angekündigte Onlinemagazin ist gestartet. Eine Blattkritik.
Als hätten Sie es nicht erwarten können: Statt am Montag ist die «Republik» schon am Sonntag an den Start gegangen. Eine Sturzgeburt war es nicht; die ersten Artikel machten durchaus den Eindruck, dass die Autoren viel Zeit zum Ausbrüten hatten. Die hatten sie in der Tat, viele Monate Zeit; die Ungeduld der Leserinvestoren wurde durch ein effektives, von Selbstbeweihräucherung nicht freies Marketing geschürt, bei manchem bis zum Unmut («jetzt sollen sie endlich mal loslegen»).
Nun also ist «Republik» da, das Onlinemagazin für Abonnenten, das nach dem Willen der Macher den Journalismus retten soll und ein bisschen die Welt gleich mit. Der erste Eindruck: ein «Scoop» ist nicht dabei, eine tolle Startgeschichte, über die man einfach reden muss. Keine Exklusivrecherche, kein «Primeur». Dafür lange Essays und Erklärstücke, darunter gleich drei, die sich mit dem Thema politische Kommunikation befassen und der nicht ganz neuen Erkenntnis, dass unsere Entscheidungen, auch politische Wahlentscheidungen, nicht ganz so rational fallen, wie wir meinen, und dass das von gewieften Manipulatoren ausgenutzt wird.
Darum geht es sowohl in Constantin Seibts Grossessay «Demokratie unter Irrationalen» wie auch in Daniel Binswangers Kommentar «Nein heisst Ja» (beide zielen auch auf die No-Billag-Abstimmung) als auch im Interview mit der Sprachforscherin Elisabeth Wehling. Ja, auch das zweite Stück mit Überlänge, Adrienne Fichters Analyse von «Zuckerbergs Monster», handelt schliesslich von Manipulationen im amerikanischen Wahlkampf, die Facebook ermöglicht bzw. verschuldet hat.
Seibts monatelanger Äusserungsstau
Das ist eine thematische und intellektuelle Schlagseite, wie sie viele im Vorfeld befürchtet haben. Der Zweifel anderer Skeptiker daran, ob denn die kleine Schweiz so viele tolle Geschichten hergebe, die andere Medien verschlafen oder übersehen hätten, wird durch die beiden ersten Lieferungen jedenfalls nicht widerlegt. Wohlgemerkt: Die genannten Texte sind solide, gut geschrieben und angenehm zu lesen, aber sie reissen dem informierten Zeitgenossen auch nicht gerade neue Horizonte auf. (Das gilt besonders für den Beitrag über Angela Merkel und ihre Verhandlungskunst, die jetzt an ein Ende gekommen sei – wer weiss?) Ihre Länge, ganz sicherlich die von Seibts «Ich erklär Euch die Welt, aber endgültig»-Essay, ergibt sich nicht aus der Unverzichtbarkeit aller angesprochenen Themen und Aspekte, sondern wohl eher aus einem monatelangen Äusserungsstau des Autors.
Die «Community», die bewusst zum Kommentieren und Debattieren aufgefordert wird (und die das auf erfreulichem Niveau tut), liess dann auch gleich Erschöpfungssignale erkennen und verlangte: «Bitte in Zukunft kürzer werden.» Sie regte weiterhin an, Quellen zu nennen und Links zu setzen: eine sinnvolle Anregung, die aber dem Purismus der Macher widerstreben könnte.
Gegenpol zum schrillen Durcheinander von «Watson»
Damit zum Auftritt: Die «Republik» ist ein Onlinemagazin, das wie eine klassische Intellektuellenzeitschrift daherkommt, also «Merkur» oder Sartres «Les Temps Modernes». Angenehm, dass auf jedes optische Chichi verzichtet wird. Die Texte verlangen konzentrierte Lektüre, da will man wohl Ablenkungen im eigenen Medium vermeiden. Ruhe und Ordnung bestimmen das Erscheinungsbild; die Leseeinstellung bringt grosse Bilder oder bunte Cartoons, eine «Feed» genannte Übersicht zeigt, welche Artikel bisher aufgeschaltet wurden. In jeder Hinsicht, inhaltlich wie optisch, steht die «Republik» so am Gegenpol zum schrillen Durcheinander von «Watson».
Das muss jeden freuen, der vom Journalismus zuallererst Textqualität erwartet. Es stellt sich aber auch die Frage, ob einem Onlinemedium nicht mehr abzugewinnen ist als die endlose Aufnahmekapazität für Buchstaben – dass eine Zeitungsseite einmal voll ist, muss einer wie Seibt geradezu als Beleidigung empfinden. Diese Endlosigkeit mag für Autoren herrlich sein, das Lesepublikum (zumal wenn es am Handy liest) wird möglicherweise oft entnervt aussteigen. Die einzige originäre und originelle Onlineform ist der Audio-Foto-Essay von Dominic Nahr, der ohne geschriebenen Text auskommt.
Ein erstes Fazit: Bei der «Republik» schreiben kluge Leute kluge Dinge, ein bisschen ähnlich, ein bisschen eng im thematischen Fokus. Ein paar kürzere Formen, auch mal aus anderen Denkecken, täten dem neuen Konkurrenten gut. Aber es ist ja erst der Anfang. Noch warten etliche «Republikaner» darauf, ihre lang ausgebrüteten Geschichten endlich zur Welt zu bringen.
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