Das blüht Schädlingen
Künstlich angelegte Wildblumenflächen im Getreide- oder Kartoffelfeld erhöhen die Artenvielfalt und helfen, Schädlinge zu bekämpfen.
Schmucke Blumenstreifen mit Kornblumen, Leindotter oder Mohn mitten in einer ausgeräumten Ackerlandschaft könnten schon bald zu einem Merkmal der Schweizer Landwirtschaft werden. Die bunten Blüten locken mit ihrem reichhaltigen Nektar- und Pollenangebot räuberische Wanzen, Florfliegen und Marienkäfer an, die dann die Schädlinge verzehren oder ihre Eier in deren Nester legen.
So funktioniert die biologische Schädlingskontrolle mittels Nützlingsblühstreifen: Seit 2015 gelten solche Blumenbeete im Acker als Biodiversitätsförderflächen, wofür die Landwirte im Rahmen der Direktzahlungsverordnung Subventionen erhalten.
Forscher der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope in Zürich-Reckenholz haben jetzt zwei neue Saatmischungen mit Wildblumen entwickelt, die ab diesem Jahr auf Schweizer Äckern angebaut werden können. «Ich bin optimistisch, dass die Landwirte diese Mischungen auch einsetzen werden», sagt Alexandra Cropt, Leiterin des Geschäftsbereiches Energie und Umwelt beim Schweizer Bauernverband SBV und dort zuständig für das Projekt Blühstreifen. «Das ursprüngliche Konzept wurde zusammen mit Bäuerinnen und Bauern erarbeitet und dient allen.» Die ersten 100 Mischungen hat die Saatgutfirma UFA zudem gratis abgegeben. Gleichzeitig ist ein Wettbewerb um den schönsten Streifen geplant, und eine Internetplattform «Blühende Lebensräume» wurde eingerichtet.
Ausgewählter Blumenmix
Ein Wettbewerb, Gratisaktionen und eine Nützlingsstreifenplattform – den Agrarforschern ist es wohl ernst mit der bunten Pracht im Acker. «Ideal wäre, wenn künftig jeder Bauer und jede Bäuerin bei der Anlage einer Kultur auch einen Blühstreifen ansät», sagt Agroscope-Mitarbeiterin Katja Jacot, die das Projekt betreut.
So weit ist es noch nicht. Zwar gibt es seit zwei Jahren Blühstreifenmischungen, die speziell Bestäuber anlocken sollen, doch das Projekt mit den Nützlingsmischungen ist neu. Vieles hängt von den im Mix enthaltenen Blumen ab, welche sorgfältig austariert sein müssen, um die gewünschte Wirkung zu entfalten.
Die Saatmischungen haben Biologen um Matthias Tschumi in Zürich-Reckenholz entwickelt. Tschumi beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit dem Thema und arbeitet heute als Postdoc in Schweden. «Seit in der Landwirtschaft die Berücksichtigung von Ökosystemleistungen immer wichtiger wird, hat auch diese Art von biologischer Schädlingsbekämpfung Auftrieb erhalten», sagt Tschumi.
Die offiziell zugelassenen Mischungen enthalten je 13 bis 16 Blumenarten.
Solche Mischungen müssen eine ganze Reihe Kriterien erfüllen: So müssen die Blumen schon möglichst früh im Jahr Nützlinge – aber keine Schädlinge – anlocken und ernähren, sie dürfen keine Problemunkräuter begünstigen, die den Streifen selber oder die angrenzenden Äcker belasten, und sie sollen die Artenvielfalt fördern. Und nicht zuletzt mussten die Forscher auch darauf achten, dass die Wildblumenwiese schön anzusehen ist, denn die Ästhetik als landwirtschaftlicher Wert hat neuerdings unter dem Begriff «Kulturelle Ökosystemleistung» in die offizielle Agrarpolitik Eingang gefunden.
Die nun offiziell zugelassenen Mischungen enthalten je 13 bis 16 Blumenarten. Die Frühlingsmischung zum Beispiel sollte nach dem letzten Frost im April ausgesät werden, schon nach vier bis fünf Wochen sollten die Frühblüher wie Buchweizen ihre Blüten öffnen. «Diese Arten sind wichtig, weil sie erstens den Boden schnell abdecken und so vor Unkräutern schützen und zweitens früh blühen und die Nützlinge schnell anlocken und ernähren», sagt Katja Jacot, die die letzten Tests ausgewertet hat. Die meisten anderen Arten sind einheimische Wildpflanzen, etwa Kornblumen, Klatschmohn, Ackersenf oder Leindotter. Dolden- und Kreuzblütler sind besonders geeignet, weil ihre Blütenstruktur den oft kurzen Mundwerkzeugen der Nützlinge entgegenkommt. Die Blumen sollen abwechselnd blühen und so das ganze Jahr über einen reichhaltigen Futtertopf an Nektar und Pollen darbieten.
Mit der rot leuchtenden Mohnblume haben die Forscher vor allem das letzte Kriterium, die Ästhetik bedient. «Auch wenn ihr Beitrag zur Anlockung von Nützlingen tendenziell geringer ist, ist der ästhetische Wert eine nicht zu unterschätzende Komponente für die Schweizer Landwirtschaft», sagt Matthias Tschumi.
Auf Kartoffeläckern zählten die Forscher 77 Prozent weniger Blattläuse.
Seit 2012 haben die Agroscope-Forscher in enger Zusammenarbeit mit Landwirten die zwei Mischungen auf über 150 Feldern in drei Meter breiten Streifen ausgesät und getestet. Dabei haben sie die Artenzahl und Menge sowohl der Pflanzen wie auch der Nützlinge und Schädlinge minutiös ausgezählt. Mit ermutigenden Resultaten: Im Blühstreifen, aber auch in den angrenzenden Feldern hatte es wesentlich mehr Nützlinge als in Feldern ohne Blühstreifen. Aber auch die Anzahl der gewachsenen Pflanzenarten war viel grösser geworden. «Insgesamt zählten wir mindestens 120 zusätzliche Arten, die spontan gewachsen sind», sagt Katja Jacot.
Die Nützlinge haben auch ihren Auftrag in der Schädlingskontrolle erfüllt: In den Weizenfeldern war die Rate des Getreidehähnchens – einer Käferart, die verschiedene Grasarten abfrisst – im Schnitt bis 54 Prozent tiefer als in den Kontrollfeldern. Bei den Kartoffeläckern zählten die Forscher auf Feldern mit Blühstreifen sogar 77 Prozent weniger Blattläuse. Die Reichweite der Nützlinge beträgt gemäss neueren Erhebungen etwa 50 bis 60 Meter, weiter weg sinken die Effekte auf das normale Ackerniveau ab. Idealerweise sollte deshalb in einem Feld alle 100 Meter ein Blühstreifen angelegt werden.
Weniger Insektizide
Weitere Auswertungen haben gezeigt, dass die Schadschwellen der Schädlingsinsekten in Feldern mit Blühstreifen weniger oft erreicht werden als in solchen ohne Blühstreifen. Das Schadschwellenkonzept besagt, dass Landwirte Pestizide erst einsetzen, wenn die Schädlingsdichte einen bestimmten Wert erreicht. Dieser variiert von Schädling zu Schädling und von Pflanze zu Pflanze. Wenn sich der Landwirt an die Schadschwellenpraxis hält, bedeutet das, dass damit Insektizidbehandlungen eingespart werden können.
«Das Konzept der einjährigen Blühstreifen ist ideal auf die kleinräumige Schweizer Landwirtschaft angepasst», sagt Katja Jacot. «Hier sind die Felder selten weit von den Überwinterungsquartieren der Nützlinge wie Hecken oder Waldrändern weg. Von dort können die Insekten zu den Blühstreifen gelangen und im Herbst, wenn der Blühstreifen wieder umgepflügt wird, wieder zurückkehren.»
Alexandra Cropt vom Bauernverband ist überzeugt, dass die Blühstreifen eine Win-win-Situation sind. «Was gut ist für die Biodiversität, ist auch gut für die Landwirtschaft», sagt Cropt. Der effektive Nutzen soll nun mit einem Monitoring erfasst werden. Nicht zu unterschätzen sei aber der Sensibilisierungseffekt bei den Landwirten, meint Cropt. «Wenn sie die schönen Blumenwiesen sowie den Nutzen für die landwirtschaftliche Produktion sehen, dann akzeptieren die Bauern das. Und wenn es den Leuten noch gefällt, umso besser.»
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