Das Dilemma mit den Zürcher Löwen
Zur artgerechten Haltung der Löwen im Zoo gehört die Fortpflanzung. Diese wird derzeit aber verhindert, denn dem Nachwuchs droht der schnelle Tod.
Sie sind putzig, solange sie klein sind. Und imposant als ausgewachsene Tiere. Wenn im Zoo Zürich die vier Indischen Löwen durch ihr Gehege streichen oder sich gar jagen, wie gerade eben, wird einem – selbst von Zäunen von ihnen abgetrennt – flau im Magen. Und wenn der Kater brüllt, ist definitiv klar, wer hier das Sagen hat.
Selbst Senior-Kurator Robert Zingg unterbricht seine Ausführungen vor den Medien wegen des Spektakels, welches die vier Tiere vollführen. Sie wissen offensichtlich: Es ist Zeit für Futter. Die Zürcher Löwen – ein Paar und zwei Töchter – sind offensichtlich voll im Saft. Und doch ist kein Nachwuchs geplant.
Pille für die Löwin
In den letzten Tagen ging die Nachricht von einem schwedischen Zoo durch die Medien, der im Lauf der letzten Jahre neun gesunde Junglöwen eingeschläfert hat, weil er keine geeigneten Abnehmer für sie fand. Dahinter steckt ein Dilemma, das laut Zingg auch den Zoo Zürich beschäftigt.
Die Fortpflanzung gehört eigentlich zur artgerechten Haltung der Löwen, doch gibt es derzeit in guten europäischen Zoos keinen Platz mehr für sie. Die Zoo-Verantwortlichen stehen also vor der Wahl: Entweder man lässt zu, dass Junge auf die Welt kommen, und tötet sie später, ohne dass sie leiden müssen, oder man verhindert mit Hormonimplantaten, dass es Nachwuchs gibt, was das Sozialleben der Tiere beeinträchtigt.
Nachbarschaftsstreit um Löwen
Der Zoo Zürich ist derzeit vom Europäischen Erhaltungszucht-Programm EEP angehalten, nicht zu züchten. Und hält sich schweren Herzens daran. Gleichzeitig sind seine Löwen für die Absicherung ihrer Art von grosser Bedeutung. Zingg spricht von einem «Back-up» für die Indischen Löwen, von denen es um 1884, bevor sie unter Schutz gestellt wurden, nur noch etwa ein Dutzend gab. Heute sind es etwa 650.
Bilder: Die Löwen haben Hunger
Und um sie wird in ihrem Heimatland vor Gericht gestritten. Die Regionalregierung des indischen Bundesstaates Gujarat, wo das erste Schutzgebiet, das Gir Wildlife Sanctuary, liegt, weigert sich nämlich aus Prestigegründen, Tiere an den Nachbarstaat abzugeben, obwohl diese dort geeignete Lebensräume finden würden und ihr eigenes Schutzgebiet an seine Kapazitätsgrenze gelangt ist. «Das ist eine politisch motivierte Blockade einer Naturschutzmassnahme», sagt Zingg.
Leben mit Raubtieren
Es gibt aber auch einen Bereich, in dem die Schweiz von Indien lernen könnte: beim Zusammenleben mit Raubtieren. Je mehr Löwen es in dieser Gegend gibt, desto öfters kommt es zum Zusammentreffen von ihnen mit den dort ansässigen Menschen. Umso mehr, als die cleveren Löwen den Menschen als Bioindikator für ihr Futter erkannt haben.
So brüllen die Indischen Löwen.
Um Wildschäden in ihren Kulturen zu reduzieren, vertreiben die Bauern an vielen Orten nachts die Huftiere von ihren Feldern. Die Löwen realisieren: Wo die Zweibeiner solchen Krach machen, ist meine Beute nicht weit, und warten jeweils in der Nähe, bis Hirsche oder Antilopen dahergehetzt kommen.
«Die Dorfbewohner und die Löwen kommen sich dabei oft sehr nahe, was von beiden Seiten respektvoll akzeptiert wird», sagt Zingg. Selbst wenn sich ein Löwe an einem Rind vergreife, werde ihm das nur «moderat übelgenommen». Und wenn es zu einer direkten Konfrontation zwischen Mensch und Löwe komme, werde sorgfältig abgeklärt, wie es dazu kam. «Natürliches Verhalten ist für sie kein Grund, einen solchen Löwen der Natur zu entziehen.»
Nun wird gefuttert
Nun ist Ruhe eingekehrt im Löwengehege des Zoos Zürich. Denn der Tisch ist gedeckt. Ein Stück Pferd, etwas Esel – und genug für alle da. Zwei-, dreimal knurrt der Kater noch, um den anderen den Meister zu zeigen, dann ist der König der Tiere ganz friedlich. Fast glaubt man, ihn wohlig schnurren zu hören.
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