
Manchmal lässt einen selbst das Bundesverfassungsgericht wortlos zurück. Vor sechs Jahren war eine spannende Debatte über die Meinungsfreiheit in Gang gekommen, losgetreten von Jan Böhmermann, der eine «Schmähkritik» auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verfasst hatte. Eigentlich ein übles Machwerk aus der untersten Schublade («Am liebsten mag er Ziegen ficken»), das Oberlandesgericht Hamburg hatte Teile davon untersagt. Andererseits war das Gedicht eingekleidet in einen didaktischen Kontext, gemeint als Kritik an Erdogan.
Dazu hätte man gern ein paar erhellende Sätze des höchsten deutschen Gerichts gehört, zu den Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit, auch zur Frage, wie viel sich ein Politiker – und sei er noch so unbeliebt – gefallen lassen muss. Doch das Verfassungsgericht wies Böhmermanns Beschwerde ohne Begründung ab. Wortlos. Womit Erdogan gewonnen hat.
Die Gerichte sind Böhmermann nicht auf den Leim gegangen. Gut so.
Hätte sich das höchste deutsche Gericht vor Böhmermann stellen müssen? Eine Lanze für die Meinungsfreiheit brechen sollen? Böhmermanns «Schmähkritik» war die satirische Antwort auf Erdogans Versuch, deutsche Kritiker einzuschüchtern. Wegen einer Sendung im NDR hatte er den deutschen Botschafter einbestellt.
Böhmermann verkleidete sein Gedicht deshalb als Lehrstunde in Sachen Meinungsfreiheit. Man dürfe sich in Deutschland durchaus negativ über den türkischen Präsidenten äussern, «das ist erlaubt». Verboten sei hingegen «Schmähkritik», also zum Beispiel, den türkischen Präsidenten in einem Gedicht «Ziegenficker» zu nennen. «Das kann bestraft werden», textete Böhmermann. Und las seine Reime voller Beleidigungen vor, als Beispiel des Verbotenen.
Es ist also ein durchtriebenes Spiel mit dem Tabubruch, das Böhmermann gespielt hat, und es ist gut, dass die Gerichte ihm nicht auf den Leim gegangen sind. Wollte er wirklich nur die Grenzen der Meinungsfreiheit illustrieren? Oder ging es unter diesem fadenscheinigen pädagogischen Mäntelchen darum, diese Grenzen zu verschieben? Der Tabubruch ist immer noch die Währung, mit der man sich Aufmerksamkeit kauft.
So etwas darf man nicht sagen, auch nicht über unliebsame Präsidenten.
All die sexuell konnotierten Injurien («Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner») führen tief in die No-go-Area der Meinungsfreiheit. So etwas darf man nicht sagen, auch nicht über unliebsame Staatspräsidenten. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat kürzlich der Grünen-Politikerin Renate Künast recht gegeben, die sich gegen schlimme Angriffe in den sozialen Medien zur Wehr gesetzt hatte.
Hätte das Gericht nun Böhmermanns «Schmähkritik» erlaubt, die er ja listig selbst als verboten bezeichnet hatte, dann sähe es sich dem diplomatisch heiklen Vorwurf der Ungleichbehandlung ausgesetzt. Dass Künast beliebter ist als Erdogan, ist kein juristisches Kriterium. Und es hätte die Schleusen geöffnet für weitere Beleidigungskampagnen gegen Politiker, die schon jetzt oft kaum zu ertragen sind.
Und die Meinungsfreiheit? Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg, das nun das letzte Wort ist, lässt viel Raum selbst für Freunde der deftigen Sprache. Böhmermann durfte den Präsidenten «sackdoof, feige und verklemmt» nennen. Und selbst die Zeile «Er ist der Mann, der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt» bleibt erlaubt. Und zwar deshalb, weil es an die Niederschlagung von Demonstrationen in der Türkei erinnert, bei der die Polizei mit Gesichtsschutz auftrat. Der wortlose Beschluss des höchsten Gerichts ist eine Niederlage für Böhmermann. Aber nicht für die Meinungsfreiheit.
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Kommentar zu Jan Böhmermann – Das durchtriebene Spiel mit dem Tabubruch
Das höchste deutsche Gericht lässt Jan Böhmermann abblitzen mit seinem «Schmähgedicht» und seiner Beschwerde. Damit hat der türkische Präsident Erdogan gewonnen – und die Meinungsfreiheit.