
Über den Zeitpunkt der Kommunikation kann man streiten. Am Donnerstag war der internationale Tag der Taubblindheit. Und just dieses Datum wählte der Bundesrat, um seinen radikalen Entscheid zum E-Voting bekannt zu geben: Die Landesregierung ist zum Schluss gekommen, dass die Systeme nicht sicher genug sind. Die geplante flächendeckende Einführung der elektronischen Stimmabgabe wird auf unbestimmte Zeit verschoben.
Gerade die Blinden fühlen sich im Stich gelassen. Es gibt schweizweit rund 320'000 sehbehinderte Menschen, die teils nur mithilfe anderer abstimmen können. Von E-Voting versprachen sie sich endlich mehr Unabhängigkeit. Konsterniert sind auch die Auslandschweizer. Sie schreiben sogar von «Verwehrung der demokratischen Rechte für jeden fünften Schweizer». Enttäuscht sind natürlich auch viele beim Bund. Die Bundeskanzlei arbeitet seit bald 20 Jahren an E-Voting; und der bundesnahe Betrieb Post hat Dutzende Millionen Franken in das elektronische Wahlsystem investiert.
Doch wer die Argumente für E-Voting prüft, merkt schnell, dass sich eigentlich alle über den Entscheid des Bundesrats freuen sollten. So bedeutet E-Voting nicht, wie oft gedacht, das Ende des Papiers. Die Abstimmungsunterlagen würden weiterhin per Post verschickt. Blinde Personen würden also auch mit E-Voting Unterstützung beanspruchen. Genauso würden Auslandschweizer weiterhin nicht ganz auf den Postverkehr verzichten können, um elektronisch abzustimmen. (Die Zahl der Betroffenen ist übrigens völlig übertrieben. Es gibt 140'000 Auslandschweizer im Stimmregister und 5,5 Millionen stimmberechtigte Schweizerinnen und Schweizer. Es ist also nicht jeder 5., sondern jeder 40. betroffen.)
Jetzt sind die Digital-Experten bei der Post oder beim Bund frei, sich mit den relevanten Themen auseinanderzusetzen.
Jetzt, da E-Voting nicht kommt, können blinde Personen den Moment politisch nutzen und alternative Ansätze fordern, damit ihnen beim Wählen mehr Unterstützung angeboten wird. Und die Auslandschweizer könnten durchsetzen, dass sie in den weltweit über 100 Botschaften künftig ihre Abstimmungsunterlagen herunterladen und ausdrucken dürfen.
Auch Bund und Post sollten sich freuen. Mit E-Voting stellten sie ihre Digital-Experten zu lange vor eine schier unlösbare Aufgabe. Damit elektronische Abstimmungssysteme den Ansprüchen unserer Demokratie genügen, müssen sie das Stimmgeheimnis garantieren. Gleichzeitig müssen sie die Nachprüfung ermöglichen, ob die Stimmen korrekt erfasst sind. Im Fachjargon heisst das «die universelle Verifizierbarkeit». Sie ist nichts anderes als die Quadratur des Kreises.
Jetzt sind die Digital-Experten bei der Post oder beim Bund frei, sich mit den relevanten Themen auseinanderzusetzen. Zum Beispiel mit der Einführung einer nationalen Referendums-Online-Plattform, um digitale Unterschriften zu sammeln. Oder der Bund könnte sich überlegen, ob er sich nicht doch stärker an der Entwicklung der elektronischen Identität beteiligen will. Ein Feld, das er kürzlich der Privatwirtschaft überlassen hat. Nächstes Jahr geht es dann um das relevanteste Digitalprojekt überhaupt: die Einführung des elektronischen Patientendossiers (EPD). Damit sollen alle Schweizerinnen und Schweizer ihre Krankenakten an einer Stelle zusammenführen können. Das EPD hat das Potenzial, die Kostenexplosion des Gesundheitswesens in den Griff zu bekommen.
Nein, das Ende von E-Voting ist für die Digitalisierung der Schweiz kein Rückschlag, sondern vielmehr eine Befreiung.
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Das Ende des E-Votings ist eine Befreiung
Die elektronische Stimmabgabe wird vorläufig nicht eingeführt. Gut so. Jetzt kann sich die Schweiz auf das Relevante konzentrieren.