«Das ist bitter für Wilders»
Korrespondent Stephan Israel über die Gründe des Wahlausgangs in den Niederlanden, die Reaktionen und die Folgen für die Wahlen in Frankreich und Deutschland.
In den Umfragen schien lange Zeit ein Wahlsieg von Geert Wilders möglich. Seine PVV erreichte nun lediglich 13,1 Prozent und liegt 8,1 Prozentpunkte hinter der VVD von Ministerpräsident Mark Rutte. Wie ist dieser Wahlausgang zu erklären?
Wilders Zustimmung geht regelmässig vor Wahlen zurück. Das hat sich in den letzten Umfragen vor dem Entscheid auch diesmal wieder abgezeichnet. Wilders ist vor allem Spektakel. Er hat mit seinen Parolen zwischen den Wahlen viel Aufmerksamkeit. Er will den Koran verbieten. Doch wie soll das gehen, etwa mit einer Koran-Polizei? Lösungen für die Alltagsprobleme hat Wilders nicht. Sein Wahlprogramm hatte Platz auf einer A4-Seite. Den Wahlkampf hat er fast ausschliesslich über Twitter geführt und hat bis kurz vor Schluss fast alle öffentlichen Auftritte und TV-Debatten abgesagt. Selbst Anhänger glauben nicht, das Wilders regieren will. Und keine Partei will mit ihm koalieren.
Wahlgewinn trotz Stimmverlusten: VVD geht als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen hervor. (Video: Tamedia/AFP)
Welche Rolle spielte der Erdogan-Effekt respektive die harte Haltung von Rutte?
Das hat den Rechtsliberalen von Rutte in den letzten Tagen den Schub verpasst, der jetzt zu dem doch recht deutlichen Vorsprung geführt hat. Bis zum Wochenende und dem Eklat um die Auftritte türkischer Minister in Rotterdam konnten die Rechtsliberalen vom langsamen Rückgang der Wilders-Partei in den Umfragen nicht wirklich profitieren. Der Erdogan-Effekt und Wilders' eher mässige Performance im einzigen TV-Duell mit Mark Rutte haben am Ende den Ausschlag gegeben.
Welchen Einfluss hatte die sehr hohe Wahlbeteiligung von 78 Prozent auf den Wahlausgang?
Viele Niederländer befürchteten, dass Wilders den Sprung auf den ersten Platz doch noch schafft. Das hat vor allem junge Leute in den grossen Städten stark mobilisiert. Davon konnten insbesondere die proeuropäischen Liberalen (D66) und Linksgrün profitieren. Ähnlich hat die Unsicherheit um den Brexit und das Chaos seit dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident gewirkt. Die grosse Mehrheit wollte keinen niederländischen Trump.
Wie hat die niederländische Öffentlichkeit den Wahlausgang aufgenommen? Was ist der Grundtenor der Kommentare der Medien?
Die Erleichterung ist gross. Auch der Stolz, dass die Niederländer mit der Absage an Wilders und dem Erfolg proeuropäischer Parteien Rechtspopulisten ein klares Zeichen gegen Intoleranz und Abschottung gesetzt haben. Mit einiger Verwunderung haben die Niederländer in den letzten Wochen realisiert, dass halb Europa auf ihre Wahlen schaut und die internationalen Medien das Duell zwischen Rutte und Wilders zum Testfall deklariert haben.

Eine Neuauflage der Koalition von VVD und Sozialdemokraten ist nicht möglich, weil diese ein Debakel hinnehmen mussten. Wie könnte die neue Regierung aussehen?
Es wird sicher vier oder sogar fünf Parteien für eine Mehrheit in der Zweiten Kammer brauchen. Ziemlich sicher dabei sein dürften die Christdemokraten, mit denen Rutte bis 2012 schon einmal regiert hat. Auch die proeuropäischen Liberalen D66 sind praktisch gesetzt. Darüber hinaus hat Rutte verschiedene Möglichkeiten, was seine Verhandlungsposition recht komfortabel macht. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Sozialdemokraten (PvdA) trotz massiver Verluste an Bord bleiben.
Die Grünen um Jesse Klaver haben massiv zugelegt. Klaver ist erst 30 Jahre alt. Welche Rolle wird der Shootingstar in der niederländischen Politik spielen?
Grünlinks gilt als weiterer möglicher Koalitionspartner. Klaver hat das bisher nicht ausgeschlossen. Er steht nach dem Niedergang der Sozialdemokraten an der Spitze der grössten Linkspartei in den Niederlanden. Eine Regierungsbeteiligung wäre aber nicht ohne Risiko, wie das Beispiel der Sozialdemokraten zeigt. Allerdings sind die Niederlande jetzt aus der grössten Wirtschaftskrise raus. Und die nächste Koalitionsregierung könnte einige der Härten zurücknehmen, die den Sozialdemokraten als Juniorpartner so geschadet haben.
Welche Oppositionspolitik ist von Wilders' PVV zu erwarten?
Wilders hat schon in der Wahlnacht gleich getwittert, dass er nicht aufgeben will. Und dass Rutte ihn nicht so schnell loswerden werde. Wilders versucht, das Plus von fünf Sitzen als grossen Erfolg darzustellen. Allerdings war der Rechtspopulist mit seiner Freiheitspartei 2010 schon einmal deutlich stärker. Um Wilders könnte es jetzt noch einsamer werden. Das Ergebnis ist für den Rechtspopulisten nach dem Höhenflug in den Umfragen bitter. Umso mehr, als Rutte ihn zum Teil mit seinen eigenen Waffen geschlagen und einige seiner Themen übernommen hat. In Erinnerung dürfte der Brief des Ministerpräsidenten bleiben, in dem er die Zuwanderer aufgefordert hat, sich an die niederländischen Gepflogenheiten anzupassen oder zu gehen. Die Konfrontation mit Erdogan scheint dem Rechtsliberalen ebenfalls ganz gelegen gewesen zu sein.
Die Parlamentswahl in den Niederlanden galt als Test. Was bedeutet das Ergebnis für die Wahlen in Frankreich und Deutschland in diesem Jahr?
Ein Triumph von Wilders hätte Marine Le Pen sicher noch einmal Auftrieb verschafft. Umgekehrt lassen sich jetzt aber nicht allzu viele Rückschlüsse ziehen. Der Front National ist in Frankreich viel stärker verankert; und Marine Le Pen versucht anders als Wilders, sich ein gemässigteres Image zu verpassen. In den Niederlanden waren mehr als ein Dutzend Parteien im Rennen um Plätze im Parlament. In Frankreich wird es im zweiten Wahlgang ein Duell geben, bei dem ähnlich wie in den USA zwischen Donald Trump und Hillary Clinton die Unabwägbarkeiten viel grösser sein werden.

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