Länderspiel Deutschland - SchweizShaqiri: «Das ist eine dumme Frage»
Neben Xherdan Shaqiri stehen Joachim Löw und die Erinnerung an das Spiel von 1950 im Zentrum, wenn die Schweiz in Köln gegen Deutschland den nächsten Anlauf nimmt, einen Exploit zu schaffen.
Die Bilanz der Schweiz gegen Deutschland liest sich unschön: 52 Spiele, nur 9 Siege, dafür 36 Niederlagen. Am Dienstag nimmt sie in Köln den nächsten Anlauf, daran zumindest etwas zu ändern (ab 20.45 Uhr hier im Liveticker). Auf dem Programm steht das vierte Spiel in der Nations League. «Wir versuchen immer, gegen einen solchen Gegner den Exploit zu schaffen», sagt Nationalcoach Vladimir Petkovic.
Viermal in Folge hat die Schweiz nun nicht mehr gewonnen, zuletzt gab es das 0:1 in Spanien nach einem harmlosen Auftritt. «Nicht alle waren zu hundert Prozent bereit», sagt Petkovic mit zeitlichem Abstand, «es fehlten zehn Prozent Mut.» Den braucht es auch am Dienstag – selbst gegen ein Deutschland in der Findungsphase.
Xherdan Shaqiri: Mit dem Herz das Land verteidigen

«Xherdan», fragt ein Schweizer Journalist am Pressetermin in Köln, «haben Sie noch Vertrauen in Ihren Körper?»
Immer wieder war Shaqiri verletzt, meist betraf es die Muskulatur an der Wade. Deshalb wurde er oft zurückgeworfen, letzte Saison spielte er bei Liverpool kaum und insgesamt sechzehn Monate nicht mehr für die Schweiz.
«Klar», antwortet Shaqiri, «sonst wäre ich nicht hier. Wer kein Vertrauen in seinen Körper hat, soll aufhören. Das ist eine dumme, unnötige Frage. Ich bin hundert Prozent einsatzbereit.»
Als er nicht beim Nationalteam war, sei «viel, viel, sehr viel» über ihn geschrieben worden, «das meiste war unnötig». Er habe nie mentale Probleme gehabt, und er werde mental auch immer stark sein. Wer ihn kenne, der wisse, dass er immer mit Stolz zur Nationalmannschaft komme. Er nennt sie eine «Herzensangelegenheit». Den Verdacht, Shaqiri habe mentale Probleme, hat vor einem Jahr übrigens nur einer in den Raum gestellt: Petkovic.
«Jeder, der für die Schweiz spielt, sollte Verantwortung haben, um sein Land verteidigen zu können.»
Nach aussen mag Shaqiri keine Schwächen zeigen, das hat er nie getan. Darum sagt er nun auch: «Ich bin mit einem guten Selbstbewusstsein zur Mannschaft gekommen.» Das Comeback wurde zuerst blockiert durch eine Corona-Infektion, die, wie sich herausstellte, allerdings schon älter war und auf den Mai oder Juni zurückging, so genau weiss Shaqiri das nicht mehr.
Am Samstag in Spanien gab er ein halbstündiges Comeback, es fiel diskret aus in einer Mannschaft, die offensiv nicht viel zu bieten hatte. Einen Shaqiri in bester Form braucht sie unverändert und unbedingt. Dafür fehlen ihm noch die Einsätze und Spielminuten. 83 Länderspiele hat er nun bestritten, nur drei weniger als Granit Xhaka. Er ist der Vizecaptain, der sagt, er kenne seine Verantwortung: «Jeder, der für die Schweiz spielt, sollte Verantwortung haben, um sein Land verteidigen zu können.»
Joachim Löw: Arrogant? Dünnhäutig? Oder weitsichtig?

In Deutschland rumpelt es wieder einmal. Karl-Heinz Rummenigge, Chef von Bayern München, kritisiert, dass es dem deutschen Verband um Geld und Vermarktung gehe, aber nicht um Fussball. Staatsanwälte führen Razzien bei hohen Verbandsfunktionären durch wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung.
Lothar Matthäus wiederum wundert sich, wenn Joachim Löw im Test gegen die Türkei Spieler einsetzt, die in ihren Clubs nur Ersatz sind. Wenn sich Matthäus wundert, ist der Aufschrei in Deutschland schon gross. Und wenn dann Löw kontert: «Mir ist egal, wer was sagt», wird ihm ein Anfall von Arroganz nachgesagt.
«Ich bin überzeugt von meinem Plan.»
Am Samstag nach dem zittrigen 2:1 in der Ukraine legte Löw in einem Monolog von viereinhalb Minuten nach: «Ich stehe über den Dingen, was Kritik betrifft.» Der «Kicker» warf dem Trainer darum vor, dünnhäutig und selbstherrlich zu sein. Löw setzt am Tag vor dem Spiel gegen die Schweiz zur nächsten langen Antwort an: «Wenn jemand sagt, der Löw ist dünnhäutig, kann er das tun. Ich bin überzeugt von meinem Plan. Ich möchte an der nächsten EM eine frische, hungrige, motivierte Mannschaft. Dann sind wir in der Lage, ein klasse Turnier zu spielen.»
5,8 Millionen verfolgten am Fernseher das 3:3 gegen die Türkei. Die Quote ist bescheiden und wird von Kritikern Löws dazu benutzt, schwindendes Interesse am Nationalteam aufzuzeigen. Sie ist aber noch immer besser als jene bei den Tests von Spanien, England oder Frankreich. «Es sind so viele Spiele», sagt Löw, «da schauen die Leute schon: Wo sind die Highlights?» Löw ist sich sicher: «An der EM ist die Nationalmannschaft wieder das Wichtigste im Land.»
Es wird das Turnier sein, an dem Löw gemessen wird und es um diese eine Frage geht: Gelingt ihm wirklich die Rehabilitation für das miserable Auftreten an der WM 2018?
Das Jubiläum: 70 Jahre nach der Entwicklungshilfe

Es war ein historisches Spiel an diesem 22. November 1950: das erste für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Schweiz war auf die Idee gekommen, den Deutschen als Erste zu verzeihen und sich dafür einzusetzen, dass sie im Fussball wieder von der Fifa aufgenommen werden. «Der Krieg, der das Land mit Stahl übergoss und seine Erde in Blut tauchte», schrieb das «SportMagazin», «hat in seinen verheerenden Auswirkungen auch die Fussballer versprengt.» Gegen die Schweiz fehlten viele Spieler, sie waren im Krieg gefallen oder noch immer in Gefangenschaft.
Noch einer fehlte an diesem Tag, dem 22. November 1950. Es war Fritz Walter, der Franz Beckenbauer des deutschen Fussballs jener Zeit. Er war verletzt, die Diagnose stellte Bundestrainer Sepp Herberger am Telefon. «Fritz», erzählte die «Welt» diese Episode einmal nach, «treten Sie mal gegen den Schreibtisch.» Walter tat es. Schmerzen. Herberger: «Dann geht es nicht.»
«Das ist die Wiedergeburt für unsere Nationalelf.»
Die Zuschauer kamen herbeigeeilt aus allen Ecken der zerbombten Republik. Nach offiziellen Angaben drängten sich 96’400 Menschen ins Stuttgarter Stadion, nach inoffziellen waren es 120’000. Die Stehrampen waren leicht befestigte Grasborde. Es schüttete aus Kübeln. Hunderte verletzten sich im Gedränge.
1908 waren die Schweizer der erste Gegner Deutschlands in einem Länderspiel gewesen, 1920 der erste nach dem Ersten Weltkrieg, 1990 der erste nach der Wiedervereinigung. 1950 leisteten sie ihren Anteil, dass Herberger pathetisch festhalten konnte: «Das ist die Wiedergeburt für unsere Nationalelf.»
Fast auf den Tag genau siebzig Jahre ist dieses Spiel in Stuttgart her, wenn die Schweiz jetzt wieder in Deutschland spielt. Eigentlich sollten Innenminister Seehofer und Bundesrätin Amherd die historische Bedeutung dieses Tages mit ihrer Anwesenheit betonen, in Corona-Zeiten haben sie aber abgesagt. Dafür wollen die Captains Manuel Neuer und Granit Xhaka vor dem Spiel nicht nur Wimpel tauschen, sondern auch Leibchen von damals.
1950 gewann Deutschland 1:0.
Thomas Schifferle ist seit 1979 Sportjournalist. Seit 1995 arbeitet er in der Sportredaktion bei Tamedia.
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