
Der Mann ist am Limit. Weil er das Gefühl hat, zwei Kapitäne der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft würden vor seinem Haus in Stäfa immer wieder absichtlich hupen, hat er sie sechsmal angezeigt. Mit Schiffshörnern hat der Pensionär ein Problem. Es handelt sich um denselben Mann, der bereits ein grundsätzliches Tutverbot beim An- und Ablegen im Hafen Stäfa erwirkt hat, was viele Stäfner erzürnt.
Man kann lachen über den Bürger, der ans Seeufer zieht und sich dort am Hornen der Schiffe stört. Doch ehrlich: Wir alle kennen Tage, an denen wir uns von der Welt angetutet fühlen.
In der Stadt sind es die Strassenreinigungsfahrzeuge, die einen wirklich paranoid machen können. Immer dann, wenn man das Kleinkind in den Mittagsschlaf wägelen möchte, biegt das Bürstenauto dröhnend um die Ecke, und der Nachwuchs steht im Buggy. Fies auch die scheinbar generatorbetriebenen Tankwagen der städtischen Pflanzenbewässerung, die gern frühmorgens in Wohnquartieren Blumentröge tränken. Der urbane Werktag ist eine Chilbi der Emissionsvehikel. Gleisputzfahrzeuge, die monströs die Tramgeleise schleifen, Leergut-Lastwagen, die die vollen Sammelstellencontainer per Kran in die Luft heben und in die Mulde donnern lassen. Lauter laute Wägelchen, die uns verfolgen.
Und das sind nur die Exzesse, Krachspitzen, die aus dem Grundlärmteppich ragen. «Wenn der Grundpegel leiser wäre, hielten wir auch die Putzwägeli besser aus», sagt Peter Ettler, Präsident der Lärmliga Schweiz. Die Liga kämpft seit 1956 für eine Reduktion des Alltagskrachs. Ihr Hauptfokus heute ist der motorisierte Verkehr: Sie fordert leisere Motoren, strengere Tempolimiten, aber auch bessere Reifen und Flüsterbeläge. Oft übertönten nämlich die Abrollgeräusche der Pneus die Motoren. Auch Teslas machen Krach.
Vorbei die Zeit, da mitten in der Stadt Fabriken schepperten und Jugendliche an Orten wie Birmingham zu Heavy-Metal-Musik inspirierten.
Die Schweiz und laut? Weltgewandte Menschen verdrehen die Augen. Zieht doch nach Mexiko-Stadt, Karachi, New York, dort brüllt der Lärm. Eben kürte die Studie eines Hörgeräteherstellers die lautesten Städte der Welt: Guangzhou in China, Delhi in Indien und in Europa Istanbul und Barcelona. Zürich aber war die leiseste der 50 untersuchten Städte, leiser als Oslo und Wien. Historisch wächst das Problembewusstsein sowieso. Vorbei die Zeit, da mitten in der Stadt Fabriken schepperten und Jugendliche an Orten wie Birmingham zu Heavy-Metal-Musik inspirierten. Heute regieren Lärmschutzverordnungen und Dezibel-Obergrenzen.
Die Lärmliga widerspricht. In der Schweiz seien die Autos schwerer und die Pneus breiter als anderswo, sagt Peter Ettlin. Das SUV-Problem. Zudem sei die Verdichtung der Schweizer Städte überdurchschnittlich. Laut dem Bundesamt für Umwelt leidet jeder fünfte Schweizer unter schädlichem oder lästigem Lärm, in der Stadt Zürich ist gar jeder dritte Bewohner übermässigem Strassenlärm ausgesetzt. Die Einrichtung von Tempo-30-Zonen allein hat die gewünschte Lärmberuhigung nicht gebracht.
Das Problem: Lärm zeugt von Lebendigkeit. Niemand will Verkehr und Bautätigkeit ernsthaft drosseln, weil das eine Stadt stillzulegen droht. Lärm ist der Sound der Zivilisation. Durch von Bauarbeitern immer wieder fröhlich neu verlegte Rohre fliessen unsere Abwasser wie Glasfaserdaten. In Autos, Bussen, Trams und Zügen rumpeln wir durch die Stadt und füllen sie mit Tätigkeit. Und am anderen Morgen kehren die Reinigungsfahrzeuge zusammen, was an Plastikgeschirr, Flaschen und Erbrochenem liegen blieb. Wer den Lärm infrage stellt, spielt mit der Vitalität.
Vielleicht gedeihen auch deshalb die Ersatzhandlungen. Beschäftigen Schiffshörner, Kirchen- und Kuhglocken die Gerichte und Gemüter. Weil der wirklich lärmige Normalbetrieb unantastbar ist.
Oder wir haben einfach einen Knall.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Das Leben ist zu laut
Es scheint übertrieben, Schiffskapitäne wegen übermässigen Hornens anzuzeigen. Aber fühlen wir uns nicht alle manchmal angetutet?