Das letzte Rettungsschiff verliert die Flagge
Italiens Druck hat Folgen: Im zentralen Mittelmeer kreuzen bald keine privaten Lebensretter mehr.

Der nächste Hafen wird auch der vorläufig letzte sein. Das Rettungsschiff Aquarius, betrieben von den humanitären Organisationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée, verliert in kurzer Zeit zum zweiten Mal seine Flagge. Findet es nicht sehr schnell eine neue Heimat, muss es seinen Dienst an den Flüchtlingen in Not zwischen Libyen und Italien einstellen. Es ist das nunmehr einzige, das übrig geblieben ist im zentralen Mittelmeer. Noch ist nicht klar, wo die Aquarius anlegen darf. An Bord befinden sich 58 gerettete Flüchtlinge, unter ihnen Kinder und eine schwangere Frau. Ihnen droht eine Odyssee wie manchen Migranten vor ihnen, denen die italienische Regierung die Häfen verweigerte.
Die Aquarius fährt erst seit August unter panamaischer Flagge, nachdem Gibraltar sie aus seinem Schifffahrtsregister gestrichen hatte. Nun entzieht ihr auch Panama die Fahne wieder. Die Aquarius sei ein «politisches Problem» geworden, hiess es. Man sei aufgefordert worden, «sofort» zu handeln. Die Aufforderung, so sind die NGOs überzeugt, kam aus Italien. Rom habe «starken politischen und wirtschaftlichen Druck» auf Panama ausgeübt. «Der Entzug der Flagge», schreiben die Hilfsorganisationen in einem Communiqué, «verurteilt Hunderte Männer, Frauen und Kinder zum Tode, die verzweifelt nach Sicherheit suchen.»
Italiens rechter Innenminister Matteo Salvini stritt am Wochenende ab, Panama zu dem Beschluss gedrängt zu haben. «Ich soll angerufen haben? Ich kenne nicht einmal die Vorwahl von Panama», sagte er. In einem Tweet schickte er nach, dass er die NGOs, die den Schleppern helfen, fortan wegen Begünstigung illegaler Einwanderung anzeigen werde. Bei anderer Gelegenheit bezeichnete er die Hilfsorganisationen als «Taxidienste» auf dem Mittelmeer und als «Vizeschlepper». Beweise dafür, dass sie sich mit den libyschen Schleuserbanden absprechen sollen, wie Salvini es ihnen unterstellt, konnten trotz etlicher Ermittlungen bislang keine gefunden werden.
Spielball der Politik
Seit Italien die Häfen für Rettungsschiffe schliesst, haben sich nach und nach alle NGOs aus dem zentralen Mittelmeer zurückgezogen. Die katalanische Proactiva Open Arms etwa verlegte ihre Aktivitäten an die Meerenge von Gibraltar. Die Boote der maltesischen Organisation Migrant Offshore Aid Station kreuzen vor Bangladesh. Die Aquarius hatte ihre Mission im Februar 2016 gestartet und seitdem Zehntausende Migranten aus Seenot gerettet. International bekannt wurde der Name des Schiffs aber erst im vergangenen Juni. Damals beschloss Salvini, kaum war er im Amt, an der Aquarius ein politisches Exempel zu statuieren. Europa sollte erfahren, dass die neue italienische Regierung nicht mehr bereit sein würde, alle afrikanischen Zuwanderer, die den Kontinent auf dieser Route ansteuern, bei sich aufzunehmen, nur weil Italien geografisch einfach gerade am nächsten liegt. Die Migranten verkamen zum Spielball europäischer Divergenzen. Erst nach tagelangen Polemiken fand sich dann in Valencia ein Anlandehafen für die 629 Migranten. Die Aquarius wurde so zum Symbol der Politik der geschlossenen Häfen.
Wochenlang lag sie im Hafen von Marseille, bevor sie im August unter neuer Flagge ihre Operationen wieder aufnahm. Bei ihrer jüngsten Mission nahm die Aquarius Menschen auf, die auf zwei Gummibooten unterwegs waren. Wo genau, darüber wird jetzt gestritten. Die Italiener behaupten, die Aquarius habe die Migranten in libyschen Gewässern gerettet und sich dann geweigert, diese der libyschen Küstenwache zu übergeben. Der Kapitän des Schiffs aber beteuert, die Rettungsaktionen hätten sich in internationalen Gewässern zugetragen. Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée appellieren nun an «europäische Regierungen», damit die sich bei der panamaischen Schifffahrtsbehörde für sie einsetzten oder eine neue Zulassung eines anderen Landes begünstigten. Salvini twitterte unterdessen, die Aquarius sei ein «Geisterschiff».
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