Das Model
Tamy Glauser ist als androgyner Typ gefragt – auch in der Trump-Ära?
Wenn Attraktivität in den Augen des Betrachters liegt, dann fragt sich natürlich: Wessen Augen? Bei Tamy Glauser sind es die Augen der berühmtesten Modemacher: Glauser ist das Gesicht von Louis-Vuitton-Kampagnen, Jean Paul Gaultier wählte sie persönlich aus. Kaum ein Schweizer Model ist erfolgreicher, und keines ist so eigenartig. Glauser ist schlaksig, hat markante Brauen und eine breite Nase, berühmt wurde sie als Kahlkopf. Mal wirkt sie wie ein abgehärteter Soldat, mal wie eine Muse von Simone de Beauvoir, mal wie ein gerissener Punk. Mit 31 Jahren eigentlich zu alt für den Job, scheint ihr unbestimmtes Äusseres die Branchengesetze aufzuheben. Derzeit ist Glauser in den USA, es ist gerade Fashion Week in New York – das erste grosse Schaulaufen der Branche in der Trump-Ära. Nächste Woche gehts weiter, wohin genau, weiss Glauser noch nicht: entweder Paris oder London. «Verschiedene Joboptionen», mailt sie.
Jahre des Zwielichts
Als letztes Jahr ihre Beziehung zur Ex-Miss-Schweiz Dominique Rinderknecht publik wurde, übertrug sich die Glauser-Obsession auf die hiesigen Illustrierten-Leser. Kein Promi wurde 2016 in der Schweiz häufiger gegoogelt als «Tamy Glauser». Da war Rinderknecht, die blonde, fröhliche Miss – wer aber war das seltsame Haute-Couture-Wesen, das wenig redete und wenn, dann ein merkwürdig schüchternes, verschlepptes Berndeutsch?
Vor zehn Jahren war Glauser, Tochter einer Nigerianerin und eines Schweizers, nach New York gezogen. Sie liess das Umfeld ihrer Jugend hinter sich – und damit die Orte, wo sie als länglich-bubenhaft Geratene gefoppt wurde. Als «ds Tämy» einmal einem Lehrer gesagt habe, ihr Ziel sei die Matura, habe der nur gelacht und gesagt: «Jetzt sei doch bitte mal realistisch.»
In New York verbrachte Glauser Jahre im Zwielicht: Sie arbeitete als Kellnerin, machte Promo für Clubs, schmiss Partys. Damit kam sie knapp durch, bis an der Wallstreet die Derivate verpufften und die Bilanzen krachten und bald klar wurde, wer die Zeche dafür bezahlen würde. Wie viele andere verlor Glauser ihre Jobs und konnte sich die Miete nicht mehr leisten. Manchmal habe sie ihr Essen gestohlen; es sei eine harte Zeit gewesen. «Damals hab ich gelernt, was Hungern bedeutet.» Auch das Modeln brachte erst wenig ein. Ihr Anblick habe die Designer irritiert, erzählte Glauser später der «Vogue»: «Was sollen wir mit ihr anfangen? Sie hat keine Haare!» Ende 2009 verliess sie New York und begann ein soziologisches Studium, lebte erst in Zürich, später in Berlin. Dort nahm sie eine Agentur unter Vertrag, die sie nach Paris weitervermittelte.
Die Botschaft ist klar
Mannequin-Typen kommen in Mode und geraten aus der Mode, nicht viel anders als Schuhformen oder Kleiderfarben. Tamy Glauser kam 2013 in Mode. Sie wurde von Givenchy engagiert, von jenem Traditionshaus, das bereits Audrey Hepburn, Jackie Kennedy und Beyoncé eingekleidet hat. Die Franzosen wollten Glauser allerdings nicht als männliche Frau, sondern als femininen Mann. Seither läuft sie auch auf Männer-Shows. Sie ist das Vorzeigemodel einer Branche, deren wichtigste Designer sich als Anwälte der LGBT-Szene verstehen («Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender»). Glausers Grenzgänge schienen sich in eine progressive Tradition einzureihen: ganz ähnlich, wie sich David Bowie als Zwitterwesen Ziggy Stardust oder Grace Jones als weibliche Kampfmaschine inszenierten. Die Botschaft ist klar: Das Geschlecht ist relativ.
Nun sei das Androgyne definitiv im Mode-Mainstream angekommen, halten Kritikerinnen fest; Glausers Auftritte würden über den Laufsteg hinaus in die Gesellschaft hineinwirken. Die Bernerin überstrahlt alle, die «Vogue» schreibt: «Andere Mädchen haben nun ihren Kurzhaarschnitt kopiert, aber Glauser bleibt eine einzigartige Erscheinung.» Wie fasziniert, ja geradezu besessen die Designer von Glauser sind, zeigte eine Szene an einer Modeschau in Mailand: Als Vivienne Westwood zum Schlussapplaus auf den Laufsteg trat, riss sie Glauser, die backstage verschwinden wollte, zurück auf die Bühne. Glauser schaute verdutzt, wusste nicht, wie ihr geschah – wie so häufig in ihrer Karriere, in der sie wundersam-rasant in höchste Höhen gewirbelt wurde.
Das war im letzten Sommer. Mode und Politik pflegten eine «Liebesbeziehung» («New York Times»); Michelle Obama war ein Liebling der Designer, als stilbewusste Frau und afroamerikanische First Lady. Mit Hillary Clinton würde, so die Erwartung, bald die erste Frau zum mächtigsten Menschen werden. Die grossen Namen von Ralph Lauren über Marc Jacobs bis Anna Wintour warben und spendeten für Clinton. Wirtschaftlich weniger radikal als ihr Parteigegner Bernie Sanders, gehörte die LGBT-Politik zu den wenigen Feldern, auf denen sich Clinton profilieren konnte. Im Wahlprogramm gab sie ihr viel Raum, versprach neue Rechte und staatliche Förderprogramme. Mit ihrem Slogan setzte Clinton auf eine Bündelung der Andersartigen: «Stronger Together».
Schwulenrechte, die «dumm machen»
Dann kam Trump. Mit ihm wählten die Amerikaner einen alten Mann mit einer Vorliebe für übergriffige Machofantasien: «Du kannst ihre Muschis anfassen.» Trumps Chefberater ist der Ideologe Steve Bannon, auf dessen Website Breitbart.com die Idee einer Transgender-Toilette als Teil einer linken Verschwörung attackiert wird, die Frau nicht mehr Frau und Mann nicht mehr Mann sein lasse. Eine typische «Breitbart»-Schlagzeile lautet: «Schwulenrechte haben uns dümmer gemacht.» Trump, Bannon und ihr Team stehen für eine Wiederbelebung des Primats des männlichen, weissen, protestantischen, heterosexuellen Amerikas. Sie sind ein Albtraum für die freigeistige Modeszene, auch in geschmacklicher Hinsicht: Trump trägt den immergleichen Brioni-Anzug und setzt ansonsten auf protzigen Luxus, Bannon läuft unrasiert und in braunen Khaki-Hosen durchs Weisse Haus.
Die New York Fashion Week, die morgen zu Ende geht, könnte ein Wendepunkt für die amerikanische Mode sein. «Ich bin überrascht, dass es bisher keine deutlichen Anti-Trump-Statements gab», sagte Glauser vor der Fashion Week. Womöglich habe die Szene Angst davor, mit Einreiseverboten belegt zu werden. Im ganz konkreten Sinn zeigt sich auf dem Laufsteg, welchen Weg die Branche künftig gehen will. Wie politisch Mode sein kann, bewiesen die rosa Mützen, die «Pussy Hats», als Kennzeichen der Frauendemos nach der Trump-Wahl – und auch an der Fashion Week gabs erste Proteste: T-Shirts, die auf Clintons grössere Wählerschaft verwiesen, und rote Mützen, auf denen «Make America New York» stand. Glauser, die Trump ebenfalls kritisch sieht, würde von Art und Denken her sehr gut zu solchen Aktionen passen.
Modeaffine Trumps
Allerdings haben sich die Modemacher bisher nicht durch besondere Widerstandsfähigkeit ausgezeichnet, und auch politisch sind sie anfällig für alle möglichen Trends. Hugo Boss schneiderte SS-Uniformen, Louis Vuitton baute massenhaft Büsten zu Ehren des Vichy-Tyrannen Philippe Pétain. Zudem verspricht der Slogan «America First» Erholung für eine Branche, die sich wie kaum eine andere im globalisierten Wettrennen aufreibt. Die Trumps ihrerseits nehmen die Mode verblüffend ernst: Während der Fashion Week sass Trumps jüngste Tochter Tiffany in der ersten Reihe, und Vater Trump attackierte öffentlich die Luxuskette Nordstrom. Diese hatte die Modelinie seiner Lieblingstochter Ivanka aus dem Sortiment gestrichen; Zielgruppe der golden schimmernden Präsidententochter-Mode sind Managerinnen.
Tamy Glauser wäre die Letzte, die sowas tragen könnte. Sie weiss: So unwirklich der Aufstieg war, so rasch kann der Fall kommen. Das Model gibt sich gelassen, sie kann sich viel vorstellen für die Zeit danach: Fotografie, Schauspielerei, soziologische Theorie. «Hauptsache, ich liebe es, und es kommt mir nicht wie Arbeit vor.» Erstmal steht aber Paris an. Oder London.
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