Das schlechte Gewissen des Rappers
Im Leben schlägt sich Jay-Z, der sich neuerdings Jay:Z nennt, mit Lappalien herum. Sein neuestes Album «4:44» ist aber grosse Kunst.

Leerzeichen, Bindestrich, Doppelpunkt: Meine Güte, wie schreibt sich dieser Mann denn jetzt? Die längste Zeit, von 1997 bis 2013, firmierte Shawn Corey Carter als Jay-Z mit Bindestrich. In dieser Form gewann der Rapper 17 Grammys, hatte Hits wie «Hard Knock Life», «Big Pimpin'» oder «99 Problems», wurde zigfacher Millionär, Modeunternehmer und Miteigentümer einer Brooklyner Basketballmannschaft, heiratete den Pop-Superstar Beyoncé Knowles, bekam mit ihr die Tochter Blue Ivy und wurde zum Modellfall desjenigen Rappers, der einst im Ghetto mit harten Drogen dealte, auch schon mal mit dem Messer ausrutschte, dafür dann drei Jahre Bewährung bekam, und trotz allem zum angesehenen Businessman aufsteigen konnte.
Dann erklärte Jay-Z, er wolle den Bindestrich in Zukunft weglassen, wobei die Musikpresse das nie so streng sah, und auch auf Tidal, dem Streaming-service, dessen Haupteigner Jay-Z seit Anfang 2015 ist, wurde man nicht verwarnt, wenn man weiter nach Jay-Z mit Bindestrich suchte.
Jay-Z verrät im Titeltrack auch, dass Beyoncé in den vergangenen Jahren diverse Fehlgeburten erlitten hat.
Vor zwei Wochen nun das Kommando zurück: Jay-Z heisst jetzt wieder offiziell Jay-Z. Wobei er für sein neues, seit Freitag exklusiv über Tidal zu streamendes Album «4:44» auch eine Ausnahme macht. Da schreibt er sich neuerdings mit Doppelpunkt, was typografisch auch viel besser mit dem Albumtitel harmoniert, also vielleicht hat ihm das sein Grafiker eingeredet? Oder Jay:Z wollte im Überschwang seines frischen Vaterglücks, er hat ja gerade mit Beyoncé noch Zwillinge bekommen, jeden Zwilling einzeln feiern: ein Pünktchen pro Geschwisterchen?
Samples zertrümmern
Nein, Jay-Z hat in einem Interview erklärt, der Albumtitel stamme daher, dass er nachts um 4.44 Uhr aufgewacht sei, weil ihn das schlechte Gewissen geplagt habe. Genauer: das schlechte Gewissen darüber, dass er seine wunderbare Frau Beyoncé betrogen habe. Man erinnert sich ja an «Lemonade», das Album, auf dem Beyoncé im vergangenen Jahr die Geschichte aus ihrer Sicht erzählte. Da ging es zu minimalistisch heruntergestrippten elektronischen R&B-Beats um Gefühle des Sitzengelassenwerdens, um «female empowerent» und um eine gewisse «Becky with the good hair», also: die Geliebte mit den schönen Haaren. «Lemonade» war ein stolzes, ein feministisches Statement, das schon jetzt seinen festen Platz in der Pop-Geschichtsschreibung gefunden hat.
Auf seinem neuen Album «4:44» ist Jay:Z mit Doppelpunkt nun also der grosse Divisor, der erklärt, wie er mit seinem Verhalten das Familienglück zu zerstören und die grosse Popkönigin unglücklich zu machen drohte. Er bereut dies sehr. «Ich verdiene dich gar nicht, du bist so viel erwachsener als ich, ich bin so schlecht in der Liebe» – «I suck at love», rappt er, 47, gerichtet an Beyoncé, 35. Wenn man glauben darf, dass diese Reime autobiografisch sind, verrät Jay-Z im Titeltrack auch, dass Beyoncé in den vergangenen Jahren diverse Fehlgeburten erlitten hat. Hier wird es sehr intim und fast schon boulevardesk, und wir waren ja auch mit den orthografischen Anweisungen noch gar nicht ganz fertig: Jay-Z will ab jetzt auch komplett in Grossbuchstaben geschrieben werden. JAY-Z oder JAY:Z oder wie?

Ja, es ist fast schon ein bisschen schade, dass, was den Namen angeht, so viel Trubel um so wenig Substanz gemacht wird, während man diesen Vorwurf dem neuen Album gerade nicht machen kann. «4:44» ist ein Hammer von einem Album, schon allein musikalisch: Die zehn Tracks basieren, wie häufig im Hip-Hop, auf Samples, aber doch ganz anders. Normalerweise werden Samples wie Trophäen herumgetragen, sie werden so auf den Beat gesetzt, dass sie auf ihm thronen, weit über ihn hinwegstrahlen. Sie vermitteln so entweder, dass sie im Einkauf sehr, sehr teuer waren, oder dass sie deswegen wertvoll sind, weil sie sehr obskur sind und jemand verdammt stolz darauf ist, sie auf irgendeiner alten Platte ausgegraben zu haben.
Die Sample-Strategie des Chicagoer Produzenten Ernest Dion Wilson alias No I.D. ist aber eine ganz andere: Er zerstückelt bereits bekannte – man könnte sagen: klassische – Samples auf eine Weise, die absolut radikal klingt. Er zertrümmert das Audiomaterial in kleinste Teilchen und klebt es in nicht richtiger Reihenfolge neu zusammen. Es holpert und hubbelt, zudem filetiert Wilson das Material auch horizontal, trennt also den Mix wieder in Einzelspuren, sodass jede Stimme und jedes Instrument einzeln bearbeitet werden kann. Nina Simone, deren ikonischer Song «Four Women» (1965) die Grundlage zu «The Story of O. J.» bildet, singt so eine Oktave zu tief, während ihr Klavier noch richtig gestimmt ist. Das klingt befremdlich, toll, und es signalisiert: Wir behandeln unsere Samples ziemlich respektlos, wir machen sie uns untertan, aber wir sind nicht nur brutal, sondern durchdringen unser Material auch so intensiv wie sonst niemand. Es ist Ehrerbietung und Gefügigmachung zugleich.
Outing der Mutter
Über diesen Beats rappt Jay-Z, der für seinen relaxt fliessenden Duktus bekannt ist, dann in gewissermassen extra-relaxter Manier zum Beispiel darüber, dass seine Mutter lesbisch ist. «Smile» heisst der Track, er basiert auf einem Stevie-Wonder-Sample, und natürlich wird das für Aufsehen sorgen, gerade in der Hip-Hop-Welt, die sich nur sehr langsam von ihren eingeübten Homophobien trennt: Jay-Z outet seine eigene Mutter? Nein, er outet sie nicht, Gloria Carter kommt am Ende des Tracks selbst zu Wort und berichtet von der Freudlosigkeit eines Doppellebens voller Heimlichtuerei.
Wobei der sensationellste Track des Albums «Moonlight» ist. In ihm scheint Jay-Z sich auf die Debatte zu beziehen, die im Vorfeld zur jüngsten Oscar-Verleihung herrschte, als die Frage, ob «Moonlight» oder «La La Land» zum besten Film gekürt wird, zur politischen Frage wurde: Kann sich im rassistischen Hollywood das schwarze gegen das weisse Kino durchsetzen? Die Debatte klingt im Track dadurch an, dass er «Moonlight» heisst, während das Sample, auf dem er basiert, aus dem Fugees-Hit «Fu-Gee-La» stammt, Lauryn Hill singt also: «La-la-la-la.» Textlich geht es dann aber um den erbärmlichen Zustand von Hip-Hop. Jay-Z macht sich, ohne Namen zu nennen, über junge Trap- und Auto-Tune-Rapper wie Future oder Migos lustig: Ihr klingt alle gleich, reimt dieselben Reime und tragt dieselben Uhren, und so, scheint Jay-Z zu fragen, wollt ihr einen Oscar gewinnen?
Ja, hier spricht eindeutig ein «elder statesman» des Rap, jemand, der gar keinen Anlass dazu sieht, sich beweisen zu müssen. Sein Album ist Hip-Hop über Hip-Hop, also: Meta-Hip-Hop, und es ist geradezu unmachistischer Hip-Hop eines einstigen Obermachos des Genres. Es ist, man muss es sagen: grosse Kunst.
Jay-Z: 4:44 (Roc Nation)
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