Gummischrot und FestnahmenRund 250 Personen demonstrierten im Kreis 4 – weit kamen sie nicht
Etwa 250 Menschen protestierten für bessere Bedingungen in der Pflegebranche und eine gerechte Verteilung der Covid-19-Impfstoffe. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort.
Nähe Bullingerplatz, mitten in Zürich. Samstag, kurz nach 15 Uhr. Ungefähr 250 Menschen haben sich zum Protest versammelt. Sie halten grosse weisse Stofftücher hoch, auf die mit roter Farbe Sprüche gemalt sind. Auf einem Tuch ist zu lesen: «Wir tragen eure Krise nicht».
Zum Protest aufgerufen hatte ein gleichnamiges Kollektiv. Laut eigenen Angaben «ein linker, widerständiger, revolutionärer Zusammenschluss aus Zürich». Ursprünglich wollten sich die Protestierenden auf dem Hardplatz treffen. Auf Instagram lud das Kollektiv Bilder von Stofftransparenten hoch. Auf einem war zu lesen: «Impfstoff für alle – sonst gibts Krawalle!» Damit spielte das Kollektiv auf die Tatsache an, dass die Industriestaaten bislang 60 Prozent der Impfstoffe gekauft haben, obschon sie nur 16 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Die meisten Menschen, die in ärmeren Ländern in Afrika oder Südamerika leben, werden dieses Jahr wohl kaum geimpft.
Polizei riegelte ab
Das Transparent kam aber gar nicht zum Einsatz. Denn die Polizei sperrte den Hardplatz mit einem Grossaufgebot ab – Dutzende Kastenwagen, Motorräder und ein Wasserwerfer waren unterwegs.

In der Folge trafen sich die 250 Menschen einige Hundert Meter weiter entfernt auf dem Bullingerplatz, von wo aus die Gruppe spontan durchs Quartier zog, durch den Kreis 4, vorbei an Spielplätzen und Hipstern, die in einer Schlange vor einem Café standen. Manche Polizisten rannten dem Umzug hinterher; andere versuchten, ihm den Weg abzuschneiden.
Nach einigen Minuten, an der Ecke Kanzleistrasse/Erismannstrasse, holte die Polizei den Umzug ein. Die Protestierenden rannten in alle Richtungen davon. Ein Demonstrant wurde von mehreren Polizisten überwältigt. An seinem Kopf waren Blutspuren zu sehen. Der Mann wurde später in einen Kastenwagen geladen und abtransportiert, zusammen mit einer Frau, die sich für ihn hatte einsetzen wollen. Auch das Knallen von Gummischrotgewehren war zu hören. Auf Twitter schrieb das «Ajour-Magazin», ein Organ der anarchistischen Bewegung: «Eskalation kam nur vonseiten der Polizei.»
In einer Mitteilung schrieb die Stadtpolizei Zürich später, das Gummischrot «musste (…) eingesetzt werden, als Demonstranten versuchten, eine Polizeisperre zu durchbrechen».

Nach dem Zwischenfall zogen noch einmal rund 100 Demonstrierende durchs Quartier. Doch nach und nach löste sich die Versammlung auf, und gegen halb fünf Uhr war das Ganze beendet.
Laut Polizei wurden «mehrere Dutzend Personen kontrolliert und weggewiesen». Fünf Personen seien vorläufig festgenommen worden, und jemand werde «der Staatsanwaltschaft zugeführt». Meldungen über verletzte Personen oder Sachbeschädigungen würden nicht vorliegen.
Streit zwischen Rykart und Fehr
In Zürich sind Demonstrationen mit mehr als 15 Personen nach wie vor verboten. Es ist kein Geheimnis, dass die Stadtzürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) das Verbot aufheben möchte, aber seit Wochen beim Kanton aufläuft (Lesen Sie hier mehr über den Streit zwischen der Stadt und dem Kanton).
Rechtlich basiert das Verbot auf einem Beschluss des Bundesrats. Demnach sind Grossveranstaltungen verboten. Politische Kundgebungen aber dürfen stattfinden, weil dem Bundesrat das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit wichtig ist. Doch Kantone können dieses Grundrecht einschränken, «wenn die epidemiologische Lage dies erfordert». Also wenn das Virus ausser Kontrolle zu geraten scheint. Und so hält der kantonale Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) am Demonstrationsverbot fest. Zum Ärger von Karin Rykart.
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