Den Populisten nützt der menschliche Drang zur Einseitigkeit
Wie kann man sich gegen Fake-News zur Wehr setzen? Das neue Buch «Lügen im Netz» gibt brauchbare Handlungsanweisungen.

Wetten, Sie sind ihnen schon begegnet? Vielleicht haben Sie sie sogar heute schon gelesen: Fake-News. Spätestens seit dem US-Wahlkampf 2016 ist der Begriff «Fake-News» aus der Diskussion um Medien und Medienkonsum nicht mehr wegzudenken. Sie sind Bedrohung und Waffe im oft bemühten «Informationskrieg» und werden als Kampfbegriff gegen etablierte Medien gebraucht, nicht zuletzt vom amerikanischen Präsidenten. Dabei sind sie erst einmal nichts weiter als «Lügen im Netz». So heisst das Buch von Ingrid Brodnig über die Manipulationsversuche, die uns vor allem in den sozialen Medien begegnen.
Die Publizistin aus Österreich mit Fokus auf Debattenkultur trägt in ihrem dritten Buch intelligent und lesenswert zusammen, was es über Falschmeldungen und Manipulatives im Web zu wissen gibt. Bei der Lektüre wird deutlich: Es gibt viele Graustufen, keine klaren Trennlinien zwischen Gut und Böse, und vor allem gibt es diverse Faktoren, die Einfluss nehmen auf den Erfolg von Manipulation. Der gewichtigste davon: der Mensch selbst.
Wie facettenreich Fake-News sein können, zeigt Brodnig mit den sieben Typen von Fehl- und Desinformation der Kommunikationswissenschaftlerin Claire Wardle auf. Von verhältnismässig harmloser Satire, die trotzdem irreführend sein kann, über bewusst hergestellte falsche Zusammenhänge bis zu erfundenen Inhalten begegnen uns im Netz Inhalte, die nicht immer gleich als falsch zu erkennen sind.
Der FPÖ-Chef hat mehr Reichweite als das grösste Boulevard-Blatt
Dass Fake-News nicht allein ein Problem des englischsprachigen Raums sind, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Am Beispiel einer 55-jährigen Frau aus Bayern zeigt Brodnig, wie hartnäckig sich gefälschte Nachrichten auch in Europa halten und wie sie das Vertrauen in etablierte Medien erodieren können. Zumal die selbst nicht davor gefeit sind, Fehlinformationen aufzusitzen und diese zu verbreiten.
Ausserdem gebe es auch in Österreich zahlreiche Beispiele für Manipulationsversuche in Wahlkämpfen, und zwar sowohl von der politischen Rechten (vulgo: der FPÖ) als auch von der Gegenseite. Die deutsche AfD kopiert die Medienstrategie der österreichischen Kameraden, allerdings noch nicht so erfolgreich: Der FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache beispielsweise hat auf Facebook eine deutlich höhere Reichweite als das beliebteste Boulevardblatt des Landes, die «Kronen-Zeitung».
Video: Keine Angst vor Fake-News?
Ein Fall sorgte für Aufregung - und war doch frei erfunden. (Video: Reuters)
Das hat mit dem dritten grossen Themenkomplex von Brodnigs Buch zu tun: dem Faktor Mensch. Populisten wie Strache, aber auch die AfD, US-Präsident Trump oder natürlich die Schweizer SVP profitieren davon, dass der Mensch ein emotionsgetriebenes Tier ist. Das lässt sich gerade in den sozialen Medien ideal ausnutzen: Wo immer starke Gefühle wie Angst, Neid oder Hass gekitzelt werden, eskaliert die Interaktion.
«Die menschliche Psyche ist ein zentraler Teil des Problems»
Was den Populisten darüber hinaus nützt: «Der menschliche Drang zur Einseitigkeit» (so der Titel eines Kapitels im Buch) – man will nur das sehen und hören, was das eigene Weltbild bestätigt. Das hat zur Folge, dass der Diskurs nicht nur im Netz in einzelne Lager zersplittert, die keinen Zugang mehr zueinander finden. Und dass man die eigene Meinung für die höhere Wahrheit hält. Die Autorin schreibt dazu kurz und prägnant: «Die menschliche Psyche ist ein zentraler Teil des Problems.» Dazu gehört auch, dass es bestimmte neuronale Gesetzmässigkeiten gibt, auf die wir nur bedingt Einfluss nehmen können.
«Lügen im Netz» ist angenehm flüssig und auch für Laien verständlich geschrieben. Die ganz grosse Stärke des Buches liegt aber in seinen letzten drei Kapiteln. Hier gibt Brodnig Hilfestellung, wie man mit all dem umgehen sollte. Auf der einen Seite nimmt sie Politik und Wirtschaft in die Pflicht: Es brauche zeitgemässe gesetzgeberische Eingriffe und transparentere Produktentwicklung; auf der anderen Seite zeigt sie, wie sich jeder Bürger gegen die Manipulation wehren kann. Dafür bedarf es lediglich eines wachen Geistes, hartnäckigen und präzisen Widerspruchs und des Vertrauens auf Fakten aus seriösen Quellen.
Ist deswegen jetzt alles schlecht im Netz? «Das Internet ist nicht die Ursache für das Erstarken der Rechten in vielen Ländern: Sehr wohl aber kann man sagen, dass ihnen diese digitalen Tools derzeit besonders gut nützen», stellt Brodnig klar. Raum zur Gestaltung gebe es nicht nur bei Akteuren aus Politik und Wirtschaft, sondern auch beim User selbst. Es müsse dafür eine Debatte stattfinden, wie das Netz der Zukunft aussehen soll. Dieses Buch ist ein guter Einstieg für alle, die sich an dieser Debatte beteiligen wollen.
Ingrid Brodnig: Lügen im Netz. Christian-Brandstätter-Verlag, Wien, 2017. 208 S., ca. 30 Fr.
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