Depeche Mode und der langsame Abschied
Das neue Album der britischen Elektroband ist (fast) da, und es ist ihr bestes seit langem. Hier der erste Eindruck, Stück für Stück.

Der Pop der 80er-Jahre:
Am 18. Juni werden Depeche Mode im Letzigrund in Zürich auftreten. Knapp 30'000 Billette für das Konzert sind schon verkauft, das wäre früher rassiger gegangen. Das Trio scheint seine besten Jahre hinter sich zu haben. Zwar macht die Band immer noch gute Platten und gibt grossartige Konzerte, wie ihre beiden Auftritte vor drei Jahren im Hallenstadion belegten. Dennoch ist ihr seit 1990 in den USA kein Top-Ten-Hit gelungen, und in ihrer englischen Heimat warten sie seit acht Jahren darauf. Das ist ungewöhnlich für eine Band, die über 100 Millionen Platten verkauft hat. Und die es auf Dutzenden von Hit-Singles fertigbrachte, das Eigenwillige mit dem Eingängigen zu kombinieren.
«Spirit» heisst das neue, vierzehnte Album. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass Sänger, Texter und Songschreiber Dave Gahan, Multiinstrumentalist und Songschreiber Martin Gore und Bassist und Keyboarder Andy Fletcher noch nie in ihrer Karriere eine dermassen düstere Sammlung von Liedern veröffentlicht haben. Zweifel, Einsamkeit und Gewalt dominieren die Texte, die Musik wirkt schleppend, langgezogen, Gahan klingt mit seiner dunklen, modulationsarmen Stimme, als habe er schon lange nicht mehr das Licht gesehen. Und so tönen die zwölf Songs auf dem neuen Album, das Mitte März erscheint:
1. Going Backwards: Eine zeitlupene, karg instrumentierte, von einer einfachen Melodie punktierte Ballade eröffnet das Album und gibt den Ton an, der über die ganze Platte gehalten wird. Wir bewegen uns rückwärts, singt Gahan, haben keinen Respekt und keine Kontrolle mehr. Ein insistierend resignativer Song, Popmusik für die Nacht. Man kann sich ihn sehr gut unter dem Sternenhimmel des Letzigrunds vorstellen.
2. Where's the Revolution: Die erste Single des Albums, was man verstehen kann. Der Song macht Gattig, die pulsierende Elektronik klingt elegant, der Refrain hat Zug. Aber selbst wenn die Botschaft des Songs im dazugehörigen Video ironisiert wird, ist sie trotzdem schwer zu ertragen, zumal keine Ironie anklingt: Kommt her, Leute, ihr enttäuscht mich, wo bleibt euer Aufstand? Ihr seid angelogen worden, man hat für euch entschieden, ihr seid nach Patriotismus süchtig (auf Englisch immerhin eleganter: «You're patriotic junkies»). Auch wenn der Song vor der Wahl von Donald Trump entstanden ist, klingt er wie ein Kommentar auf dessen Kampagne. Das macht die Kritik der singenden Multimillionäre nicht besser. Radical Chic nannte das Tom Wolfe, der amerikanische Schriftsteller. Schönes Stück, blöder Text.
Die erste Single des Albums: «Where's the Revolution». Video: Sony Music Entertainment
3. The Worst Crime: Wieder eine Ballade, konventioneller gehalten, aber schön zu hören. Das sparsame Arrangement bringt den Chorgesang zur Geltung.
4. Scum: Ein schnelleres, aufgeregtes Stück, das überdeutlich auf frühere Einfälle der Band verweist. Und ein Beleg dafür ist, dass die CD-Länge von 70 Minuten nicht nur Vorteile hat. Die Band hätte eine solche Nummer früher wohl weggeworfen.
5. You Move: Wenn es der Welt so schlecht geht, hilft auch die Liebe nicht mehr. Eine Liebeserklärung an die Vergangenheit einer Beziehung. Das Glück, das wir hätten haben können. Noch eine Ballade, wieder ist der Grundton düster und klingt der Sänger hoffnungslos. Eine kurze, auf Kraftwerk verweisende, also einfach eingängige Melodie schwingt sich kurz auf – und fällt wieder in sich zusammen.
6. Cover Me: «Ich fühlte mich besser», singt Gahan, immer noch auf die Vergangenheit fixiert. Seine Stimme klingt verhallt, als käme er aus tiefem Schlaf. Man könnte sich Sinatra als Sänger vorstellen. «Cover Me» bietet in seiner eleganten, knappen Instrumentierung einen Höhepunkt des neuen Albums. «Jenseits von Schwarz und Weiss», singt Gaham; die Musik auf diesem Album klingt nach dem Gegenteil: «Spirit» ist eine strenge Studie in Schwarz und Weiss.
7. Eternal: Diesmal singt Martin Gore, elektrische Streicher umhüllen ihn, das Stück bleibt ungewöhnlich kurz und darin stimmig.

8. Poison Heart: Das härteste Stück der Platte, ein schwerer Rhythmus treibt die Musiker voran, der Song wird von seinem eigenen Gewicht erdrückt, klingt unfertig, bleibt überflüssig.
9. So Much Love: Auf diesem späten Song klingen Depeche Mode am ehesten, wie Depeche Mode zu klingen pflegten: metallisch in der Instrumentierung, melodisch in ihrem Flair für Pop, rhythmisch für den Dancefloor. Toll gemacht.
10. Poorman: Und dann geht es noch weiter zurück in die musikalische Vergangenheit der Band – in die Jahre, als Vince Clarke noch an den Keyboards sass, bevor er mit Alison Moyet Yazoo gründete und später Erasure mit Andy Bell. Auch der Text klingt wie ein Sampling alter Zeilen. Trotzdem ein sehr schöner Song, möglicherweise der beste auf dieser Platte. Traurige Melodie, pulsierender Backbeat.
11. No More (This Is the Last Time): Der ganze Song klingt so, als wollten sich Depeche Mode mit diesem Album von ihrem Publikum verabschieden: Wir wiederholen den Prozess, wiederholen die Zeile, immer und immer wieder. Wunderschön gesungen, von durchgängiger Düsterkeit.
12. Fail:Zarte Melodie, schöner Song, aber nicht wirklich nötig.
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