Der amerikanischste Schweizer spielt in Vegas
Er ist anders als seine Landsleute in der NHL. Luca Sbisa ging einst als Junior nach Übersee und hat mit dem neuen Club Vegas Golden Knights nun bewegte Zeiten hinter sich. Eine Begegnung.
Luca Sbisa entschuldigt sich schon mal vorsorglich für eventuell «komische Sätze», die da folgen könnten: «Ich habe niemanden mehr zum Deutsch sprechen. Ich denke beim Reden darum mittlerweile meistens englisch und übersetze quasi auf Deutsch. Das kommt nicht immer gut heraus …» Wir sind in Summerlin, einem gut 20 Minuten lange Highway-Fahrt des Zentrums von Vegas entfernten Vorort.
Der Arbeitsweg von Luca Sbisa von Summerlin zur T-Mobile-Arena:
Hier wohnt Sbisa, hier liegt auch die frisch gebaute Trainingshalle der Golden Knights. Hier ist die Wüste um die Ecke, und hier ist es heiss. Das störe ihn weniger als seine Berner Sennenhündin Heidi, sagt Sbisa. Berner Sennenhund? Heidi? Das enttarnt den Schweizer, doch das wars dann auch schon. Sbisa, Verteidiger des neuen Clubs Vegas ist amerikanischer als alle anderen Schweizer NHL-Spieler.
Las Vegas statt Oberägeri
«Ich ging vor zehn Jahren nach Nordamerika, um Junioren-Eishockey zu spielen. Und ich bin geblieben», sagt Sbisa. Dieses Jahr kam er nicht einmal mehr im Sommer zurück in seine Heimat, dem Zuger Städtchen Oberägeri. Seine amerikanische Ehefrau Lauren heiratete Sbisa 2016, vor vier Monaten vervollständigte Söhnchen Nolan das Familienglück. Er wurde in die bislang hektischste Lebensphase des Papas hineingeboren.
Erst im Juni hatte Sbisa erfahren, dass er von Kanadas Westküste in die Stadt der Sünden in der Wüste Nevadas wechseln würde. Die neu gegründeten Golden Knights stellten ihr Kader im «Expansion Draft» zusammen, indem sie von jedem der 30 anderen NHL-Teams je einen Spieler «klauen» durften – bei den Vancouver Canucks wählten sie Sbisa.
«Der härteste Konkurrenzkampf»
Zwölf potentielle NHL-Verteidiger hamsterten die Golden Knights auf diese Weise, nur sechs dürfen aber auf ein Matchblatt. Die Gerüchteküche begann zu brodeln, mit zwei Spielern in den Hauptrollen: Dem Russen Alexej Emelin und Sbisa – und damit zwei der drei bestbezahlten Verteidiger der Golden Knights.
Es begann für den Schweizer eine Phase der Unsicherheit, täglich las er seinen Namen in möglichen Transfers, die bevorstehen würden. «Im August kam dann der Zeitpunkt, als wir uns wirklich begannen, Gedanken zu machen: Wir mussten abwarten, und mit einem Kleinkind kannst du nicht einfach so packen und gehen», erzählt Sbisa.
Weil es ihn wunderte, begann er mit Teamkollegen, die plötzlich auch Konkurrenten um einen Platz im Kader waren, über dieses Thema zu sprechen. Das half: «Denn ich merkte: Sie fühlten sich genau gleich wie ich.» Für Sbisa gab es ein Happy End einer Zeit, die er den «härtesten Konkurrenzkampf, den ich je erlebt habe» nennt.
Einer von sechs Captains
Sbisa hat nun nicht nur den Cut überstanden. Er wurde offiziell in den Kreis der Führungsspieler erhoben. Die Golden Knights verzichten in ihrer ersten Saison noch auf die Ernennung eines Captains. Sie setzen stattdessen auf zwei dreiköpfige Führungs-Teams – Sbisa gehört jenem Trio an, das bei den Auswärtsspielen die Captain-Rolle einnimmt.
Und er darf noch mehr: Sbisa ist in den ersten drei Spielen kein Lückenbüsser, sondern klar definierter Top-4-Verteidiger und jener goldene Ritter, der im Unterzahlspiel am häufigsten überhaupt aufs Eis geht.
Im ersten Heimspiel letzten Dienstag macht Trainer Gerard Gallant Sbisa und dessen Partner Nate Schmidt gar erstmals zum Top-Duo des Teams. «'Schmidi' schaut eher vorne nach dem Rechten, ich eher hinten», erklärt Sbisa die Rollenverteilung mit einfachen Worten. Seine offene Art kommt bei den Einheimischen an.
Einer jener lokalen Journalisten, die die Golden Knights überall hin verfolgen, beschreibt Sbisa so: «Luca ist ein wunderbarer Kerl, ich mag es, mit ihm zu reden. Er kennt das NHL-Spiel, er ist einfach zu coachen, er kennt seine Limiten und überschreitet diese nie. Ich liebe ihn!»
Der einzige Schweizer in Fights
Auch darum ist Sbisa der amerikanischste aller Schweizer NHL-Spieler: Auch wenn er 2008 ein Erstrundendraft Anaheims war, steht Sbisa nicht für technische Finessen, sondern für simple Aspekte des Eishockeys: Ein grosser Verteidiger, aggressiv, der die Scheibe schnell aus dem eigenen Drittel spielt – er ist keiner, der mit den feinen Händen gesegnet ist. Zuhause in der Schweiz würde er niemals die gleiche Anerkennung erhalten.
Und Sbisa ist der erste und immer noch einzige Schweizer NHL-Spieler, der regelmässig die Handschuhe wegwirft und in Fights involviert ist. Weil er in der Rolle des Teamplayers aufgeht, der die Mitspieler beschützen und auch mal rächen will.
Aber auch, weil er selbst immer den harten Check sucht, sich dabei auch mal in Grauzonen begibt und sich danach den Aggressivleadern des Gegner stellen muss.
Luca Sbisa gerät hin und wieder in Fights:
So geriet Sbisa bereits an Fäuste schwingende Grobiane höherer Gewichtsklassen und bezog entsprechend Prügel. Dass er da nicht zurückweicht und bis zum bitteren Ende zurückgibt, wird hier respektiert.
In der Schweiz macht ihn das zum seltsamen Wesen, vielleicht auch darum ist Sbisa besser aufgehoben dort, wo er nun ist und auch bleiben will.
Der emotionale Höhepunkt
In Vegas hat Sbisa den bislang emotional bewegendsten Abend seiner Karriere erlebt. Dieses erste Heimspiel in der Geschichte der Golden Knights, es wurde mehr als nur ein Eishockeyspiel, der 5:2-Erfolg im «Wüsten-Derby» gegen die Arizona Coyotes mehr als bloss ein Sieg. Der Club hatte seit Wochen alles aufgegleist, um das Debüt zu einer euphorischen Show der Superlativen aufzublasen.
Doch dann kam der 1. Oktober, und neun Tage vor dem Spiel war alles anders. Für die Golden Knights, für ganz Vegas. Ein schwer bewaffneter Mann, der aus einem Zimmer im 23. Stock des Mandalay Bay Hotels minutenlang mit automatischen Waffen aus dem Fenster schoss und 58 Menschen tötete und 500 verletzte, die auf der anderen Strassenseite ein Country-Festival besuchten. Das hat die Stadt traumatisiert.
Sbisa hatte mit Ehefrau Lauren das Musikfest zwei Tage zuvor besucht, weil ihm Musiker einer auftretenden Band, die er in Vancouver kennengelernt hatte, Tickets schenkten. «Es war nur an dem Tag gültig», sagt Sbisa. Wäre es zufällig ein 3-Tages-Pass gewesen, sie wären auch an diesem schwarzen Sonntag hingegangen, erzählt Sbisa nachdenklich. «Ich will das Wort ‘Glück' in diesem Zusammenhang eigentlich nicht einmal in den Mund nehmen. Aber ja, wir hatten Glück.»
Immer wieder vorbei am Mandalay Bay
Die Erinnerung an diesen Abend lässt Sbisa nicht mehr los. Dafür sorgt auch sein Arbeitsweg an Match-Tagen. Die Fahrt von Summerlin zur T-Mobile-Arena, der Heimstätte der Golden Knights, führt unmittelbar am Mandalay Bay vorbei, majestätisch golden leuchtet das Gebäude unmittelbar neben dem Interstate-Highway 15. Sbisa wird nachdenklich: «Die Gedanken rund um den Amoklauf kommen immer wieder hoch, wenn ich hier vorbeifahre.»
Kein Spieler der Golden Knights trug körperliche Schäden davon, mit Deryk Engelland wurde nur einer mit Schicksalsschlägen von nahen Bekannten konfrontiert. Der Verteidiger lebt schon seit 14 Jahren in Vegas, er kam 2003 hierher, als die Stadt noch ein drittklassiges ECHL-Team beheimatete, lernte seine Ehefrau hier kennen – und blieb, auch wenn ihn die NHL-Karriere danach quer durch Nordamerika führte.
«Wir haben teilweise schwer verletzte Freunde von Deryk besucht», erzählt Sbisa und spricht von Begegnungen, die ihn tief berührt hätten: «Da werden dir die Relationen so richtig klar, was es heisst, wenn es dir wirklich schlecht geht.»
«Sie sind die wahren Helden, nicht wir»
Die Emotionen kamen beim ersten Heimspiel auch bei Sbisa noch einmal richtig hoch. Die Eröffnungs-Show erhielt ein komplett neues Drehbuch, im Mittelpunkt standen nebst Überlebenden des Massakers die Feuerwehrleute, Polizisten, Krankenschwestern und Ärzte, die an den Ort des Grauens ausrücken mussten.
«Sie sind die wahren Helden, nicht wir», sagt Sbisa. «Wir können bloss für Abwechslung im Alltag der Leute sorgen, Menschen, die immer noch permanent an diesen schrecklichen Abend denken müssen. Wenn dann diese Menschen im Spital sich bei uns Spielern dafür bedanken, dann ist das ein heftiges Gefühl. Dann haben wir wenigstens irgendetwas Kleines richtig gemacht.»
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