Der Anfang der Abschottung
Die Finanzkrise 2008 hat sich mittlerweile in eine weltweite Rezession entwickelt. Unsicherheit, Angst vor Jobverlust und politische Nervosität herrschen überall auf der Welt.
Im Jahr 1930 verabschiedete der amerikanische Senat den Smoot-Hawley Tariff Act, ein Gesetz, das die Zölle auf rund 20 000 Importgütern erhöhte. Damit wurde ein globales Wettrennen nach immer höheren Zollbarrieren eingeleitet. Es brachte bald den Welthandel fast vollständig zum Erliegen und endete in der wirtschaftlichen Katastrophe der Grossen Depression. Die Finanzkrise 2008 hat sich mittlerweile in eine weltweite Rezession entwickelt. Unsicherheit, Angst vor Jobverlust und politische Nervosität herrschen überall auf der Welt.
Der Anfang der Abschottung
Eine Frage stellt sich deshalb immer dringlicher: Schlittern wir in eine Grosse Depression 2.0, und droht uns eine neue Welle des Protektionismus?
Offiziell wird Entwarnung gegeben. So heisst es in der Pressemitteilung nach dem Abschluss des G-20-Gipfels vom vergangenen Wochenende: «Wir unterstreichen, wie wichtig es ist, dass der Protektionismus zurückgewiesen wird und sich angesichts der Unsicherheit der Finanzmärkte kein Land nach innen wendet. Deshalb wollen wir in den nächsten zwölf Monaten darauf verzichten, neue Handels- und Zollbarrieren zu errichten, den Import zu erschweren und den Export mit illegalen Mitteln zu fördern.»
Anti-Globalisierer im Westen
Die Botschaft hören wir gerne, doch der Glaube daran fehlt. Im Westen wächst die Ernüchterung mit der Globalisierung. Das zeigen nicht nur Meinungsumfragen, sondern auch die politische Realität. In den USA wurden im Parlament Freihandelsverträge mit Südkorea und Kolumbien blockiert, im Wahlkampf hat der neu gewählte Präsident Barack Obama versprochen, das Freihandelsabkommen Nafta mit Kanada und Mexiko neu zu verhandeln. Auch in Europa befinden sich rechte und linke Anti-Globalisierer im Aufwind. Der «Wohlstandskrieg» des Westens gegen Asien ist dabei, politisch salonfähig zu werden.
Zur eigentlichen Nagelprobe des Freihandels wird derzeit die Entwicklung in der amerikanischen Autoindustrie. General Motors (GM), Ford und Chrysler liegen auf der Notfallstation. Ohne staatliche Unterstützung werden sie nicht überleben. Bereits hat auch die deutsche GM-Tochter Opel in Berlin um eine Milliardenbürgschaft nachgesucht. Rettungspakete sind in den letzten Monaten zwar einige geschnürt worden. Bisher galten sie jedoch ausschliesslich der Finanzindustrie. Das hat die Steuerzahler, nicht aber die Gralshüter des Freihandels auf die Barrikaden gebracht, denn damit werden nicht einheimische Arbeitsplätze geschützt, sondern das internationale Finanzsystem.
Die Autofirmen wollen auch
Jetzt ändert sich die Art der Rettungspakte. Sollten etwa die drei amerikanischen Autokonzerne mit Steuermilliarden fit gespritzt werden, dann ist die Wirkung ähnlich wie bei den Subventionen in der Landwirtschaft. GM, Ford und Chrysler sind in Schwierigkeiten geraten, weil sie schlecht gemanagt wurden. Betriebswirtschaftlich gesehen sind sie wirklich in einem jämmerlichen Zustand. Das zeigt ein Vergleich mit der Konkurrenz. GM hat acht verschiedene Marken, Toyota drei. GM hat 7000 Händler, Toyota 1500. Dabei haben die beiden auf dem amerikanischen Markt einen fast identischen Marktanteil von rund zwanzig Prozent.
Volkswirtschaftlich sind die einst allmächtigen drei aus Detroit ersetzbar geworden. Die meisten der bedeutenden Autohersteller haben heute auch Produktionsanlagen in den USA und könnten die Lücke rasch ausfüllen. In normalen Zeiten gäbe es also keinen Grund für Rettungspakete. Der «Economist» schreibt in seiner jüngsten Ausgabe denn auch unmissverständlich: «Detroit zu retten, ist eine Verschwendung von öffentlichen Geldern. Es wäre auch ein schlechtes Signal, denn es wäre eine Einladung an alle Unternehmen, sich in einer Rezession an den Staat zu wenden und Hilfe anzufordern.»
GM steht am Abgrund
Wir leben aber nicht in normalen Zeiten, sondern stehen am Abgrund einer Depression. Das bedeutet, dass Chrysler möglicherweise geopfert wird. GM und Ford hingegen werden nicht untergehen. Das wäre viel zu riskant. Allein bei GM würden 100 000 Jobs vernichtet, bei den Zulieferern ein Mehrfaches davon. Der schon stark geschwächte US-Arbeitsmarkt könnte dies nicht verkraften.
GM war lange der grösste Arbeitgeber der USA und hat bis heute Vorbildcharakter, wenn es um die Beziehung der Sozialpartner geht. Die Arbeiter in den GM-Betrieben sind gut bezahlt, sehr gut versichert und gewerkschaftlich organisiert. Ein Konkurs von GM oder Ford wäre ein sozialpolitischer GAU und ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Barack Obama in seinem Wahlkampf versprochen hat. Er hat sich für mehr soziale Gerechtigkeit, ein Gesundheitssystem für alle und höhere Löhne für den Mittelstand eingesetzt.
Diese Versprechen will er jetzt nicht auf dem Altar des Freihandels opfern. Das hat er bereits deutlich signalisiert.
Wie in den Dreissigerjahren verstärkt die Krise protektionistische Tendenzen. Doch ein Kraftakt wie der Smoot-Hawley Tariff Act ist derzeit nicht zu befürchten. Hingegen ist zu erwarten, dass auch für die reale Wirtschaft in nächster Zeit vermehrt Rettungspakete geschnürt werden müssen. Die globale Rezession hat die Nachfrage dramatisch einbrechen lassen. Wenn wir eine Wiederholung der Grossen Depression vermeiden wollen, muss der Staat vermehrt in die Lücke springen, und zwar im grossen Stil. Der neu gekürte Nobelpreisträger Paul Krugman rechnet über den Daumen gepeilt damit, dass allein die USA ein Stimulierungsprogramm von 600 Milliarden Dollar brauchen werden.
Protektionistische Rettungspakete
Rettungspakete und Programme zur Ankurbelung der Konjunktur sind ihrem Wesen nach protektionistisch. Das lässt sich nicht ändern. Sie werden mit nationalen Steuergeldern finanziert und sind deshalb nationalen Eigeninteressen verpflichtet. Gleichzeitig sind sie nötig, um einen Absturz der Weltwirtschaft in eine Depression zu verhindern. Handelspolitisch gesehen stehen wir deshalb vor schwierigen Zeiten. Es gilt, die nationale Volkswirtschaft so zu stimulieren, dass die Weltwirtschaft nicht kollabiert. Gleichzeitig sollten wir versuchen, einen Rückfall in den Protektionismus zu verhindern.
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