
Als Roger (sprich: Rodscher) Bigger Ende Oktober zu Wils Auswärtsspiel nach Genf reiste, war er gut gelaunt. Er traf sich mit Mehmet Nazif Günal zum Essen: dem Milliardär, dem der FC Wil gehört. Wil verlor nachher gegen Servette 1:2. Doch das Datum ist für Bigger heute aus einem anderen Grund denkwürdig geworden: Es ist das letzte Mal gewesen, dass er Günal sah.
In den letzten Tagen haben die Wiler Funktionäre um Bigger alles versucht, um Günal zu kontaktieren. Gescheitert sind sie auf allen Kanälen. Darum sitzen sie an diesem Mittwoch im Wiler Stadion und versuchen zu erklären, weshalb Günal seine Lust auf sein Engagement in der Ostschweiz verloren und sich über Nacht als Besitzer und Investor verabschiedet hat.
Ist es wegen des Stadions?
Bigger und Kollegen können an diesem Termin nur mutmassen. Hat es etwas mit der veränderten politischen Landschaft in Günals türkischer Heimat zu tun? Oder ist Günal doch eher verärgert darüber, dass das neue, 45 Millionen Franken teure Stadionprojekt in Wil nicht nach seinem Gusto vorangetrieben werden konnte, weil es von der Stadt gebremst wurde?
Sie haben keine Antwort auf ihre Fragen. Ihre Erklärungsansätze versanden im Ungewissen. Was sie einzig wissen: Sie stehen vor dem befürchteten Scherbenhaufen.
Vor ein paar Tagen haben sie erfahren, dass Günal seine Zahlungen umgehend einstellt und er seine Anteile von «76 oder 78 Prozent» an Wil (so genau kann das Bigger nicht beziffern) an irgendeine andere türkische Gesellschaft weitergegeben hat. Ansonsten stehen sie im Bergholz am Berg.
Das Wagnis mit den Türken begann im Sommer 2015, als Günal mit seinem milliardenschweren Bauunternehmen MNG in der Ostschweiz einfiel und grosse Träume weckte. Geplant war der Durchmarsch von der Challenge League via Super League in den internationalen Fussball. Altstars wie André Santos, Mert Nobre, Egemen Korkmaz oder Johan Vonlanthen wurden angelockt. 25 bis 30 Millionen steckte Günal in sein Wiler Projekt und finanzierte damit Löhne jenseits jeder Wiler Schmerzgrenze: 15'000 Franken im Monat waren plötzlich normal. Das Erstaunliche daran war: Günal zahlte immer pünktlich und deckte auch das Defizit von 10,5 Millionen aus der ersten Saison. Und doch wusste weiterhin keiner, wieso Günal das machte.
Diese Saison läuft es in Wil nicht besser. Der Trainer wurde viermal gewechselt. Günals politischer Statthalter in der Schweiz, Abdullah Cila, erhielt keine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung. Die Ergebnisse der Mannschaft blieben mager. Seit Biggers Essen mit Günal in Genf hat sie keines von sieben Spielen mehr gewonnen. Der Aufstieg in die Super League ist schon jetzt wieder unerreichbar.
Wiler Eskapaden
Bigger und Kollegen wollen ihren Verein unter allen Umständen retten, brauchen dafür aber die Hilfe der total 70 Angestellten. Die am besten bezahlten Spieler sollen auf 70 bis 80 Prozent ihrer vertraglich zugesicherten Gehälter verzichten. Denn mehr als 2 bis 2,5 Millionen an Ausgaben kann sich die neue Führung nicht leisten.
In Wil sind solche Eskapaden nichts Neues. Im November 2002 flog der Betrug des damaligen Präsidenten Andreas Hafen auf, der bei der UBS 48 Millionen veruntreut und davon 10 Millionen in den Club gesteckt hatte.
Ein gutes halbes Jahr später stieg eine ukrainische Gruppe um den früheren Spitzenfussballer Igor Belanow ein und kaufte für 1,15 Millionen Franken 51 Prozent der Aktien. Das Chaos griff vom ersten Tag um sich und führte zur Nachlassstundung im Frühjahr 2004. Nachdem er einst den Verein den Ukrainern verkauft hatte, kehrte Bigger als Präsident zurück und inszenierte sich als Retter. Jetzt stand er erneut im Mittelpunkt, als Wil an Günal verkauft wurde.
«Der 1570. reichste Mensch der Welt»
An diesem Mittwoch beruft sich Bigger auf die Expertise der Anwaltskanzlei Homburger und der Wirtschaftsprüfer von Deloitte, er verweist darauf, dass Günal laut «Forbes» «der 1570. reichste Mensch der Welt» sei. Am Ende nützen die schönen Worte von damals nichts: Bigger und Co. sind einem Investor aufgesessen, der ohne jeden Bezug zur Region gewütet hat.
Das grandiose Scheitern des Wiler Projekts tut dem Schweizer Fussball nicht gut, nachdem schon viele andere Projekte gescheitert sind. Für den FC Wil heisst es nur eines: Er ist wieder das, was er immer gewesen ist – ein kleiner Verein aus der Provinz. Die Verantwortlichen tun gut daran, das nie mehr zu vergessen.
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Der befürchtete Scherbenhaufen
Der FC Wil wurde von seinem ausländischen Besitzer fallen gelassen und kämpft nun ums Überleben.