Der bewegte Realo
Kein Regierungsratskandidat steht weiter links als Walter Angst von der AL. Trotzdem sind sogar Freisinnige Fan von ihm.

Mitten in der Debatte um das Hardturmstadion ergreift Walter Angst das Wort und wäscht den «lieben Genossinnen und Genossen» die Kappe: «Eure Hochrechnungen sind ökonomisch reiner Blödsinn.» Zu angeblich illegalen Mieten sagt er: «Das hat irgendwann mal irgendjemand Jacqueline Badran in Bern erzählt – aber deshalb wird es nicht intelligenter.»
Es ist einer dieser Momente, für die «Wädi» bekannt ist. Wenn er im Gemeinderat spricht, ist es ruhiger als gewöhnlich. Für Statements wie das obige wird Angst denn auch von linken wie rechten Gemeinderäten gelobt. Er sei pointiert, sattelfest, kompetent, talentiert, eloquent. Die Szene zeigt aber auch, was einige an ihm kritisieren: Er überrolle Mitmenschen mit seinem Redeschwall, den Argumenten und seiner lauten Stimme. SP und Grüne stören sich daran, dass sich Angst oft aus Prinzip gegen sie stellt, um sich abzugrenzen. Markus Kunz (Grüne) sagt, die Zusammenarbeit mit ihm sei zwar gut, doch vergesse er nie, zuerst für die eigenen Interessen zu schauen. «Das ist manchmal mühsam.»
Einige Frauen kritisieren den 57-Jährigen als Macker. Doch Ezgi Akyol, die mit Angst in der AL-Fraktion ist, relativiert: «Wädi überrollt alle seine Mitmenschen so, wenn sie anderer Meinung sind, egal ob Frau oder Mann.» Er sei kein Macker. «Er räumt nach Sitzungen die Gläser weg. Das ist auch für AL-Männer nicht selbstverständlich», sagt Akyol.
Angst kann nicht einfach nur dabei sein, er gibt immer 120 Prozent. Sein langjähriger AL-Gefährte Niklaus Scherr erklärt sich dieses Engagement mit dem protestantischen Arbeitsethos aus Wädis Elternhaus. Angst ist als Nachzügler mit je zwei Brüdern und Schwestern in Wädenswil aufgewachsen. Sein Vater war Pfarrer der Gemeinde. Auf das protestantische Arbeitsethos angesprochen, lacht Angst erst sein unverkennbares, etwas unsicheres Lachen und sagt dann, sein Vater sei wenig zu Hause gewesen. Schliesslich räumt er ein: «Das Elternhaus hat mich schon geprägt.» Er selbst kümmert sich an zwei halben Tagen um sein drittes Kind, eine achtjährige Tochter aus zweiter Partnerschaft. An den anderen Tagen ist er selten zu Hause, aber fast immer erreichbar.
Im Schwarzen Block
Engagiert war Angst schon als Jugendlicher. Die Schule fiel ihm leicht, und umso mehr Zeit hatte er im Gymnasium Rämibühl für die Schülerorganisation. Mit 18 Jahren lief er 1980 bei der Demonstration gegen den Umbau des Opernhauses mit, als Teil des Kommunistischen Jugendverbands ganz vorne. Der darauffolgende Krawall zog ihn in seinen Bann. Nach der Schule blieb die Lehrerausbildung eine Nebensache. Angst arbeitete danach bloss einige Wochen an einer Schule. Er gehörte zu den Bewegten, die in den 80er-Jahren in Zürich kaum eine Demonstration ausliessen. Und auch später in den 90er-Jahren, als Angst bereits zweifacher Vater war und als Redaktor der kommunistischen Zeitung «Vorwärts» kaum Geld verdiente, zog es ihn oft auf die Strasse. Mehrere ehemalige Weggefährten erzählen, er habe sich im Umfeld des Schwarzen Blocks bewegt, wie die autonomen Demonstranten in den Medien beschrieben werden. Angst sagt, er sei – entgegen anderer Behauptungen – nie vermummt gewesen.

Als Sprecher des 1.-Mai-Komitees in Zürich und des Oltner Bündnisses, das sich gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos einsetzte, distanzierte sich Angst nie von der Gewalt, was ihm viel Kritik einbrachte. Die «Weltwoche» nannte ihn «den ‹Böölimaa› von Zürich». Viele Autonome verzeihen ihm bis heute nicht, dass er mit der Polizei verhandelte. Angst stört das nicht: «Wenn Bewegungen etwas auslösen wollen, müssen sie beweglich sein: im Inhalt konsequent, im Handeln pragmatisch.» Angst ging in die Realpolitik und sitzt seit 2002 im Gemeinderat. Seit er 2005 in der Geschäftsleitung des Mieterverbands sitzt, kümmert er sich vor allem um die Interessen der Mieterinnen und Mieter.
Im Parlament wird er mittlerweile so geschätzt, dass selbst der Zürcher FDP-Präsident Severin Pflüger sagt: «Ich bin Fan von Wädi Angst.» Zum Regierungsrat wählen wird er ihn trotzdem nicht, dafür sei er viel zu links.
In vielerlei Hinsicht ist Angst zum Realo geworden, doch in ihm steckt noch der Bewegte von damals.
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