Der bittere Wille zur Eskalation
Das Parlament von Barcelona stimmt für eine katalanische Republik. Damit geht der Lebenstraum von Carles Puigdemont aber nicht in Erfüllung.

Man kann nicht behaupten, sie hätten klein beigegeben. Bis zur letzten Sekunde klammerten sich die Separatisten im katalanischen Regionalparlament am Freitag an ihren Traum von der Unabhängigkeit von Spanien. Während in Madrid der Senat schon die Absetzung der Regionalregierung vorbereitete, brachten die Parteien, die diese Regierung bilden, im Parlament von Barcelona trotzig ihren wohl letzten Antrag ein: die Einleitung des Prozesses zur Gründung «einer katalanischen Republik» als unabhängiger Staat, wie es etwas umständlich hiess. Dessen Annahme durch die Parlamentarier der separatistischen Mehrheit stand ausser Frage – die Opposition aus Konservativen (PP), Sozialisten und Liberalen boykottierte die Abstimmung und verliess den Saal.

Bedeutungslos war die Entscheidung sowieso, denn die spanische Verfassung lässt eine Sezession eines Landesteils nicht zu; wer mit Ja stimmte, machte sich sogar strafbar. Es ging also, wie so oft im Separatismus, um die grösstmögliche, volltönende Symbolhaftigkeit.
Die Debatte in Barcelona hatte zuvor turbulente Züge angenommen. Hunderte Bürgermeister ländlicher Gemeinden waren angereist und feuerten die Sezessionisten im Parlament an. Der Fraktionssprecher der liberalen Ciudadanos, Carlos Carrizosa, zerriss hingegen ein Exemplar der Unabhängigkeitserklärung und sagte, es handle sich um einen Putsch. Draussen auf der Strasse gaben sich Tausende Demonstranten dem Taumel der Begeisterung hin – dabei bestand dafür wenig Anlass. Katalonien hat am Freitag nicht etwa die Unabhängigkeit gewonnen, sondern die Autonomie verloren, zumindest bis zu den fälligen Neuwahlen.
Widerstand angekündigt
Fast zur gleichen Stunde nämlich verhängte der Senat in Madrid eine bisher einmalige Sanktion. Auf Antrag Mariano Rajoys verfügte die zweite Parlamentskammer die Aussetzung der katalanischen Autonomie und damit die Absetzung der Regionalregierung unter Carles Puigdemont. Zentrale Schaltstellen der Verwaltung Kataloniens werden nun von Madrid aus besetzt.
Die Sezessionisten kündigten Widerstand an. Sie würden die Autorität Madrids nicht anerkennen und weiter zu einer Regierung Puigdemont stehen. Für die nächste Woche wurde ein Generalstreik ausgerufen – jedenfalls sofern die Aussetzung der Autonomie Arbeitnehmerrechte tangiere, wie es zunächst von der Gewerkschaftsspitze hiess.
Carles Puigdemont hatte zu diesem Zeitpunkt die Zügel allerdings schon aus der Hand gegeben. Es war ihm Tage zuvor anzusehen gewesen, wie er darunter gelitten hatte, nicht als Erschaffer der katalanischen Unabhängigkeit in die Geschichte einzugehen. Früher waren ein cleveres Lächeln und Schlagfertigkeit seine Markenzeichen gewesen, nun wirkte er zerfahren. Puigdemont hätte seiner Kaltstellung nur zuvorkommen können, wenn er selbst Neuwahlen ausgerufen hätte. Dazu konnte er sich aber nicht durchringen. Er wollte zuvor sichergestellt wissen, dass dann Artikel 155 der Verfassung nicht in Kraft trete, Katalonien also seine Autonomie behalten würde. Als am Donnerstag klar wurde, dass sich Rajoy darauf nicht einlassen würde, sagte Puigdemont, alles weitere sei Sache des Parlaments. Ihm droht nun ein Prozess wegen Rebellion, darauf stehen bis zu 30 Jahre Gefängnis.
Puigdemont hatte schon in den vergangenen Wochen angekündigt, dass er sich aus der ersten Reihe der Politik zurückziehen werde. Er meinte damit wohl die Rückkehr in seine idyllische und wohlhabende Heimatstadt Girona, in der er als Bürgermeister viel bewirkt hat. Doch möglich ist nun, dass er eskortiert von Beamten der nationalen Polizei abtreten muss. Es wurde sogar kolportiert, Puigdemont wolle ins Exil nach Frankreich, ins Roussillon oder nach «Nordkatalonien», wie die Provinz bei katalanischen Nationalisten heisst.
Separatisten nie eine Mehrheit
Puigdemont war zwischen die Mühlsteine geraten: Madrid auf der einen Seite, seine wesentlich radikaleren Koalitionspartner auf der anderen. Puigdemont selbst ist ein eher liberalkonservativer Politiker, er gehört der Partit Demòcrata Europeu Català an, Nachfolgerin der Partei Convergència. Er wurde stetig unter Druck gesetzt von dem bulligen Oriol Junqueras, dem Vorsitzenden der Linksrepublikaner (ERC). Zusammen bildeten ihre Parteien das Bündnis «Gemeinsam für das Ja», abgekürzt JxSí. Dieses wurde im Parlament gestützt – und auch sehr wirkungsvoll erpresst – von der quirligen CUP, einer linksalternativen Partei, deren Aktivisten der Aufbau eines sozialistischen Staats ausserhalb der westlichen Strukturen vorschwebt mit verstaatlichten Banken und Betrieben. Der einzige gemeinsame Nenner dieser buntscheckigen Koalition war die Unabhängigkeit. Sie hatte 2015 zusammen nur knapp 48 Prozent der Stimmen bekommen – wie es den Separatisten überhaupt noch nie gelungen ist, eine echte Mehrheit in ganz Katalonien zu erringen, weder bei Wahlen noch bei verschiedenen Abstimmungen.
Dass die Separatisten nur eine Minderheit vertreten, war stets das Argument von Ministerpräsident Rajoy. Nicht zuletzt damit begründete er die harten Massnahmen gegen die Sezessionisten – vom Knüppeleinsatz bis zur Verhaftung von Aktivisten – und nun der Absetzung der Regionalregierung. Es gehe nicht darum, Katalonien zu unterdrücken, sondern zu retten. So argumentierte Rajoy auch vor der Abstimmung im Madrider Senat über die Aussetzung der katalanischen Autonomie am Freitag. Die Regionalregierung habe am 1. Oktober eine illegale Volksabstimmung abgehalten ohne demokratische Garantien.
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