Der blinde Fleck im Budget zum AKW-Ende
Wird das Tiefenlager für den Atommüll dereinst verschlossen, könnte das für die Steuerzahler teuer werden.

Wenn heute Dienstag das Aargauer Kantonsparlament tagt, kommt eine Frage aufs Tapet, die über die Kantonsgrenze ausstrahlt: Wer trägt die Verantwortung für ein Tiefenlager für radioaktiven Abfall, wenn die Anlage unter Boden dereinst gebaut und verschlossen sein wird? Es ist der Bund. Das zeigt die Antwort auf eine Interpellation von SP-Kantonsrat Max Chopard, die der Aargauer Regierungsrat in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Energie (BFE) verfasst hat. Chopard, der bis 2015 im Nationalrat sass, ärgert sich über diese Nachricht: «Die Atomindustrie ist fein raus. Das Langzeitrisiko tragen die Steuerzahler.»
Dass die Verantwortung an den Bund übergeht, ist im Kernenergiegesetz geregelt und damit offiziell bekannt. Die Öffentlichkeit dürfte sich dieser Tatsache jedoch kaum bewusst sein. Vielmehr herrscht verbreitet die Meinung vor, dass die Kraftwerksbetreiber das Atomende vollumfänglich sicherstellen – mit ihren jährlichen Zahlungen in den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds (Stenfo); das sind zwei Fonds, die sich unter Bundesaufsicht befinden.
Die AKW-Betreiber stehen aber nur bis zum Verschluss des Tiefenlagers in der Pflicht. Oder bis zum Tag, da die Überwachungsfrist abläuft; so sieht es das Gesetz vor. Swissnuclear, der Branchenverband der AKW-Betreiber, rechnet damit, dass das geplante Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle voraussichtlich Ende 2064 geschlossen und bis ins Jahr 2118 überwacht wird. Bei jenem für hochradioaktive Abfälle lauten die Termine Ende 2074 respektive 2126. Sicher ist das allerdings nicht. Das Gesetz macht keine Angaben zur Beobachtungsdauer. Swissnuclear beziffert die mutmasslichen Überwachungskosten für das schwach- und mittelradioaktive Lager auf 0,84 Millionen Franken, jene für das Lager für hochradioaktive Abfälle auf 1,2 Millionen Franken. Diese Ausgaben seien in der aktuellen Kostenrechnung des Stenfo enthalten und damit gedeckt.
Neuer Anlauf für Debatte
Ist die Anlage im Untergrund verschlossen oder die Überwachungsfrist abgelaufen, stellt der Bundesrat gemäss Gesetz fest, dass das Tiefenlager «nicht mehr der Kernenergiegesetzgebung untersteht». Der Bund kann in der Folge weitere Massnahmen anordnen, etwa eine Umweltüberwachung. Doch berappen müsste er diese Ausgaben selber, wie aus der Antwort auf Chopards Interpellation hervorgeht.
Nach Ansicht von Chopard braucht es nun eine Diskussion darüber, ob die AKW-Betreiber mehr Rückstellungen machen sollen – dies nicht zuletzt, damit unvorhergesehene Kosten nicht am Bund hängenbleiben. «Es ist nicht ausgeschlossen, dass nach dem Verschluss des Tiefenlagers Schwierigkeiten auftreten, etwa wenn Wasser eindringt oder sich Gas bildet.» Zudem müsse das Tiefenlager so oder so weiter kontrolliert werden. Für den SP-Politiker ist klar: Die AKW-Betreiber müssen in Zukunft mehr Rückstellungen tätigen. Die Ratsdebatte von heute Dienstag will Chopard nutzen, um die Debatte anzustossen – auch im Bundeshaus. Dort hatte das Anliegen bis jetzt keine Mehrheit. Ständerätin Anita Fetz (SP) etwa wollte die öffentliche Hand im Fall einer Rückholung radioaktiver Abfälle finanziell schadlos halten. Doch ihre Motion schmetterte der Ständerat 2011 ab.
Wie gross das finanzielle Wagnis des Bundes tatsächlich ist, bleibt offen. «Es ist nicht möglich, zum heutigen Zeitpunkt die Kosten zu schätzen», heisst es dazu in der Antwort auf Chopards Vorstoss. Ein Anhaltspunkt findet sich gleichwohl – in einer Anfrage an den Bundesrat, die der damalige Nationalrat Hans-Jürg Fehr (SP) 2010 gestellt hat. Der Bundesrat veranschlagte damals die möglichen Kosten auf zirka 3,5 Milliarden Franken – ein Betrag, der sich wohl weiter erhöht hat, ist doch der von offizieller Seite prognostizierte Gesamtpreis für das Atomende in der Zwischenzeit gestiegen.
Betreiber gegen weitere Kosten
Auf den Bund und damit die Steuerzahler könnte also eine ernste finanzielle Belastung zukommen. Das Bundesamt für Energie indes hält fest: «Der Bundesrat ordnet den Verschluss erst an, wenn der dauernde Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist.» Zudem: Sollte es während der ordentlichen Überwachungsphase zu Problemen kommen, müssten die Betreiber deren Behebung und allfällige Umweltschäden berappen. Swissnuclear hält dieses Szenario jedoch für «sicherheitstechnisch praktisch ausgeschlossen». Aus diesem Grund taxiert der Verband es auch als nicht «nötig», nach der Entlassung der Atommeiler aus dem Kernenergiegesetz eine weitere «Umgebungsüberwachung» durchzuführen. Dies bringe keine zusätzliche Sicherheit.
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