Der Coup der Stromlobby
Mit gehörigem Druck erreichten die Energiekonzerne, dass die KMU und Haushalte die Schweizer Wasserkraft retten sollen. Jetzt wird der Ruf nach Alternativen laut.

Es ist einer der grösseren politischen Coups dieses Jahres: In der Energiekommission (Urek) des Nationalrats hat die Stromlobby den Aufbau einer neuen Subventionsmaschinerie zugunsten ihrer Wasserkraftwerke erreicht. Finanziert werden soll diese Stützung von den kleinen Stromkunden, also von Privathaushalten und KMU. Sie dürfen künftig nur noch Strom aus inländischen erneuerbaren Energien, primär Wasserkraft, beziehen dürfen – und das zu kostendeckenden Preisen. Die grossen Stromkunden hingegen, also die Firmen, werden von Zusatzkosten verschont. Diese Ungleichbehandlung stösst seither auf Kritik beim Gewerbe und bei Konsumentenschützern.
Jetzt zeigen Recherchen von Redaktion Tamedia, wie dieser umstrittene Entscheid am 25. April zustande kam. Die Kommission agierte unter dem Eindruck eines erheblichen Lobbyings der Energiekonzerne. Vor ihrem Entscheid hatte die Kommission die Chefs von Alpiq, Axpo und BKW angehört. Mehrere Nationalräte berichten, dass vor allem die Alpiq, die sich wegen der Strompreiskrise in grossen Schwierigkeiten befindet, in «dramatischen Appellen» um Hilfe gebeten habe. Zuvor hatten die Stromfirmen sich die Politiker zum Teil auch im privaten Einzelabrieb vorgenommen.
Die Alpiq hatte – zusammen mit der Axpo und vier weiteren Konzernen – der Kommission selber ein Subventionsmodell vorgeschlagen, das aber nicht mehrheitsfähig war. Mehrheitsfähig war jedoch die Abnahmegarantie für inländische Wasserkraft, deren Erfinder bisher nicht bekannt war. Recherchen zeigen nun, dass SP-Nationalrat Eric Nussbaumer in der Kommission den entsprechenden Antrag gestellt hatte.
Mehrkosten bis 530 Millionen?
Beruflich arbeitet Nussbaumer selber für eine Organisation der Energiewirtschaft: für Swisspower, den Verband der Stadtwerke. In der Kommission bekam Nussbaumer denn auch Support von seinem Arbeitgeber. Swisspower-Chef Ronny Kaufmann plädierte in einem Referat vor der Kommission für eine ausgebaute Variante von Nussbaumers Modell. Nussbaumer hält jedoch fest, dass er sein Konzept selbstständig entwickelt habe. Seinen Antrag habe er bereits am 9. Januar eingereicht, als sich Swisspower noch gar nicht damit befasst habe. Jedenfalls wurde Nussbaumers Antrag von den Kommissionsmitgliedern fast aller Parteien unterstützt. Einzig die FDP lehnt ihn ab. Bereits am 29. Mai wird das Plenum des Nationalrats das Modell beraten.
Nicht einmal das Bundesamt für Energie (BFE) kann derzeit sagen, welche finanziellen Konsequenzen das Modell haben wird. Man kläre dies immer noch ab, sagt eine BFE-Sprecherin. Laut einer bisher nicht veröffentlichten Schätzung der BKW, die das Modell ablehnt, wird dies den Strom für die Kleinkunden landesweit um 280 bis 530 Millionen Franken pro Jahr verteuern. Diese Schätzung hält Nussbaumer für stark übertrieben. Wenn überhaupt, so bewegten sich die Mehrkosten am unteren Ende der BKW-Schätzung, sagt er.
Nussbaumer begründet sein Modell mit einem Problem, das im Sommer 2016 entstanden sei. Bis dahin haben viele Energiefirmen den (teuren) Strom aus ihrer Eigenproduktion an ihre kleinen Kunden verkauft, die den Anbieter nicht frei wählen dürfen. Den grossen Kunden, die sich im teilliberalisierten Markt bewegen, haben die Stromfirmen hingegen (billigen) Importstrom weiterverkauft. Diese Praxis verbot das Bundesgericht im Sommer 2016. Dieser Entscheid drohte die ohnehin schwierige Situation gewisser Energiekonzerne noch weiter zu verschlechtern. Der Ständerat erhörte die Klagen der Stromkonzerne und beschloss im Dezember, das Bundesgericht zu übersteuern und die umstrittene Preispraxis der Konzerne wieder zu erlauben.
Die Energiekommission des Nationalrats fand hingegen, das gehe zu weit; darum sprach sie sich jetzt für Nussbaumers Alternative aus. Die Ständeratsvariante wäre für die Kleinkunden noch viel schlechter als sein Vorschlag, sagt Nussbaumer.
Es gäbe Alternativen
Doch damit überzeugt Nussbaumer die Kritiker nicht. Auf Ablehnung stösst vor allem die Ungleichhandlung der Gross- und Kleinkunden. «Wenn die neue Subventionierung, die wir ablehnen, wirklich nicht zu verhindern ist, muss wenigstens Opfersymmetrie gelten: Auch die Grosskunden müssen sie mittragen», sagt Henrique Schneider, der stellvertretende Direktor des Gewerbeverbands.
Jetzt konkretisiert sich der Ruf nach Alternativen. Eine Redaktion Tamedia-Umfrage bei Energieexperten der Universität St. Gallen, von Avenir Suisse, der BKW, der Schweizerischen Energiestiftung und dem Gewerbeverband bringt mehrere Optionen aufs Tapet, die erstens transparenter wäre und zweitens Klein- und Grosskunden gleich behandeln:
- Marktprämie erhöhen. In der Energiestrategie 2050 ist bereits eine Marktprämie von maximal 0,2Rappen pro Kilowattstunde Strom zugunsten notleidender Wasserkraftwerke vorgesehen. Bezahlt werden muss sie von Klein-und Grosskunden. Anstatt einen weiteren Stützungsmechanismus aufzubauen, könnte einfach diese Marktprämie erhöht werden.
- Kapitalspritze. Finanziell transparenter wäre auch eine direkte Kapitalspritze von Bund, Kantonen oder Privaten an die Not leidenden Stromkonzerne. Sobald es diesen wieder besser geht, müssten sie das Geld zurückzahlen.
- Quoten. Der Staat könnte den Stromlieferanten auch vorschreiben, eine bestimmte Quote mit erneuerbarer Elektrizität zu bestreiten, inklusive Wasserkraft. «Damit ist der Absatz der Grosskunden automatisch inbegriffen», sagt Peter Hettich, Professor an der Uni St. Gallen.
- Kapazitätsprämien. Anstatt Wasserkraft generell zu subventionieren, würden die Stromkonzerne gezielt dafür entschädigt, dass sie in ihren Wasserkraftwerken Stromreserven für knappe Zeiten bereit halten – also dann, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst. Für ein solches Modell plädieren zum Beispiel die BKW und die Schweizerische Energiestiftung.
- Verkauf. Die von der Wasserkraftkrise betroffenen Stromkonzerne könnten defizitäre Kraftwerke abstossen.
- Konkurs. Nichts spreche dagegen, unrentable Kraftwerke Konkurs gehen zu lassen, sagt Patrick Dümmler von der Denkfabrik Avenir Suisse. Dann läge es an ihren Eigentümern – Kantonen, Städten und privaten Aktionären – mit eigenem Geld eine Auffanggesellschaft zu bilden. So tragen jene Kreise die Kosten, die zuvor Jahrzehnte lang die Profite der Kraftwerke eingefahren haben.
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