Ausgestorbene TierartDer Elvis Presley des Waldes singt nie mehr
Totgesagt, vermeintlich wiederentdeckt, wieder totgesagt: Eine US-Behörde hat 23 Tier- und Pflanzenarten endgültig für ausgestorben erklärt. Unter ihnen auch der Elfenbeinspecht, der Ornithologen zum Weinen brachte.

Als im Februar 2004 ein Kajakfahrer namens Gene Sparling im Internet berichtete, dass er in einem Naturschutzgebiet im US-Bundesstaat Arkansas einem ungewöhnlichen Specht begegnet sei, versetzte er nicht nur Ornithologen in den USA in Freudentaumel. Denn es deutete alles darauf hin, dass es sich um einen legendären Elfenbeinspecht («Ivory-billed Woodpecker») handelte. Kein Tier wurde in den USA leidenschaftlicher gesucht als das Totgesagte.
Die Population des Elfenbeinspechts in den Vereinigten Staaten, der einst alte Wälder und Sümpfe des Südostens bewohnte, ging dramatisch zurück, als europäische Siedler und ihre Nachkommen Wälder rodeten – und die Vögel jagten. Die letzte bestätigte Sichtung fand 1944 in Louisiana statt.
Sparlings Beobachtung weckte das Interesse zweier erfahrener Vogelbeobachter. Wenige Tage nachdem sie von der Entdeckung gehört hatten, reisten die beiden Männer in das Sumpfgebiet des Mississippi, um den «Lord God Bird» (Herrgotts-Vogel) aufzuspüren. Diesen Beinamen verdankt der verehrte Vogel – mit eigener Website – angeblich den Ausrufen, die begeisterte Vogelkundler von sich gaben, wenn sie ihn sahen. Bereits am zweiten Tag sei der Vogel direkt vor ihren Augen aufgetaucht. Als beide vor Freude «Ivory-bill» riefen, hätten sie ihn wieder verscheucht, erzählten die Männer der «New York Times». Ob es tatsächlich ein Elfenbeinspecht gewesen war, bleibt unklar.
Denn der Verbleib des Spechts war unter Forschern seit langem ein Mysterium. Der Vogel war bereits um 1880 bedroht. Um 1920 galt er als ausgestorben, ein paarmal wurde er wiederentdeckt. 1967 wurde der Vogel als bedrohte Art eingestuft. Dass er Jahrzehnte später auch noch den Beinamen «King Woodchuck» erhielt, verdankt er Elvis Presley. Ähnlich wie beim «King of Rock'n'Roll», der nach seinem offiziellen Tod auch immer mal wieder gesichtet wurde, wurde auch der offiziell für tot erklärte Vogel hier und dort von Vogelnarren in den USA immer wieder erspäht.
Auch Ornithologen der Cornell University machten sich auf die Suche nach dem Specht. 2005 verkündeten sie im Fachmagazin «Science» stolz, dass in Nordamerika der Elfenbeinspecht immer noch lebe. Video- und Tonaufnahmen – auf denen unter anderem Klopfgeräusche zu hören sind – zeugten ihrer Ansicht nach von der Existenz des grössten nordamerikanischen Spechts.
Ein grosser Erfolg für die Forscher – und den amerikanischen Umweltschutz. Denn Gelder für ausgedehnte Schutzgebiete und langfristige Forschungsprojekte werden nur gesprochen, wenn eine attraktive Tierart, die es zu retten gilt, im Spiel ist.
Doch die Beweise des Cornell-Teams waren in der Fachwelt umstritten. Es entstand ein bizarrer Streit unter Specht-Experten: Im gleichen Fachmagazin bezeichnete der Vogelkundler David Sibley die Wiederentdeckung als Unsinn. Man habe Färbung und Grösse sowie das Flug- und Klangmuster des Vogels falsch interpretiert. Es handele sich um einen Helmspecht; der Elfenbeinspecht bleibe ausgestorben. Der Streit bekam Unterhaltungswert.
10’000 US-Dollar für Foto
Ornithologen fühlten sich an einen Donald-Duck-Comic erinnert, in dem Donald und seine Neffen ebenfalls die Frage «Elfenbein- oder Helmspecht?» diskutieren. Und im Mai 2006 wurde sogar ein Preisgeld von 10’000 US-Dollar für denjenigen ausgesetzt, der einen fotografischen Beweis über die weitere Existenz des Elfenbeinspechtes erbringen sollte. Ohne Erfolg.
Ob eine Tier- und Pflanzenart das Etikett «ausgestorben» trägt, ist vor allem eine Frage der Definition. Die Kriterien für diese Kategorie bestimmt die im Kanton Waadt ansässige Internationale Union zur Bewahrung der Natur, IUCN. Wenn eine Spezies lange nicht gesichtet wurde, obwohl Experten mit angemessenem Aufwand nach ihr gesucht haben, gilt sie als «extinct» – ausgestorben, ausgelöscht.

So setzte die Biologin Amy Trahan von der Bundesbehörde für Fischerei und Wildtiere letztlich den Schlusspunkt unter den Streit der US-Forscher. Auf der Grundlage der ihr besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse leitete sie für den Elfenbeinspecht die Streichung von der Liste der gefährdeten Arten ein. Das endgültige Todesurteil: «Das war wahrscheinlich eines der schwierigsten Dinge, die ich in meiner Karriere gemacht habe», sagte sie der «New York Times». «Ich habe buchstäblich geweint.»
Endgültig ausgestorben
Neben Vögeln erklärte die Bundesbehörde für Fischerei und Wildtiere am Mittwoch auch eine Fledermaus, zwei Süsswasserfische, acht Muschelarten und eine Pflanze für ausgestorben. Die Behörde leitete für die betroffenen Arten das Verfahren zur Streichung von der Liste der gefährdeten Arten ein.
Diese Nachricht «unterstreicht, wie menschliche Aktivitäten zum Rückgang und Aussterben von Arten führen können, indem sie zum Verlust von Lebensraum, zur Übernutzung und zur Einschleppung von invasiven Arten und Krankheiten beitragen», erklärte die Behörde. «Es wird erwartet, dass die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels diese Bedrohungen noch verschärfen werden», hiess es weiter.
Unter den insgesamt 23 ausgestorbenen Arten sind auch elf Arten aus Hawaii und Guam. Tiere, die auf Inseln leben, sind aufgrund ihrer Isolation leichter vom Aussterben bedroht als Festlandbewohner. Auf Hawaii und den Pazifikinseln gibt es mehr als 650 bedrohte Pflanzen- und Tierarten, mehr als in jedem anderen US-Bundesstaat. Viele davon gibt es nirgendwo sonst auf der Welt.
Wiederauferstanden von den Toten
Mehr als 350 vermeintlich ausgestorbene Tierarten wurden in den vergangenen 130 Jahren wiederentdeckt. Manche waren nur ein paar Jahre lang von der Bildfläche verschwunden, andere mehrere Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte. Man nennt sie Lazarus-Arten – nach jenem Mann, den Jesus in der Bibel von den Toten erweckt.
So war Wissenschaftlern der Quastenflosser lange Zeit nur als Fossil bekannt. Die grossen Fische seien vor fast 70 Millionen Jahren ausgestorben, vermuteten die Forscher. Dann entdeckte 1938 die Leiterin eines südafrikanischen Meeresmuseums einen Quastenflosser im Fang eines Fischerbootes.
Ähnlich erging es dem Kurznagelkänguru, das 36 Jahre lang als ausgerottet galt. Füchsen und der menschlichen Pelzmode sei es zum Opfer gefallen. 1973 las ein Australier einen Bericht über ausgestorbene Tiere, der auch das Kurznagelkänguru erwähnte. Der Mann aber kannte das Hinterland und berichtete von einer kleinen Gruppe der Beuteltiere in Queensland. Somit gehören auch das Känguru und der Quastenflosser zu den Lazarus-Arten.
(Mit Material der «Süddeutschen Zeitung»)
nag/afp/sz
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